Folge 41: 28.-31.05.2004 - 13. Wave Gotik Treffen, Leipzig (Teil 3 / 4)

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 Teil 3 - Sonntag 30.05.2004:

Einen wunderschönen guten Morgen und herzliche Grüße aus dem Ritti Mobil!

Kinder wie die Zeit verfliegt! Eben noch ist man auf den Treffen-Parkplatz gerollt, da befindet man sich schon am dritten Tag des WGT. Irgendwie deprimierend oder? Zum Glück bot der heutige Sonntag mit seinem reichhaltigen Konzertprogramm überall in der Stadt wieder beste Gelegenheit sich über diesen Umstand hinwegzutrösten und so begann der heutige Morgen für mich mit der Erstellung eines ultimativen Schlachtplanes, der mir jedoch kurz nach seiner Fertigstellung durch eine Nachricht aus dem Ritti-Hauptquartier wieder jäh durchkreuzt wurde.

Meinen kühnen Plan überdenkend machte ich mich dann erneut auf den Weg zum Treffen-Café, welches mit seinen festen sanitären Einrichtungen eine reizvolle Alternative zum schnöden Dixi-Siff bot und darüber hinaus Gelegenheit gab, die müden Knochen für den bevorstehenden Festivaltag ein wenig zu sortieren. Vor dem Eingang des Vestibüls hieß es dann jedoch erstmal „Warten und Schmoren“, denn bei abermals göttlichem Festivalwetter knallte die Mittagssonne ziemlich vom Himmel und sorgte für eher ungewollte Hitzewallungen.

Im Café selbst, war die Atmosphäre relativ aufgeräumt. Kein Wunder, immerhin hatte es ja gerade erst geöffnet ;). Bei den wenigen Besuchern, die vereinzelt an den Tischen hockten, war jedoch eine gewisse Katerstimmung auszumachen. Relaxend genoss man die Ruhe vor dem neuerlich herannahenden Sturm und gönnte sich im Schatten einen Schluck Flüssignahrung. Frühschoppen par excellence, wenn man so wollte...

 Das Rundum sorglos -Paket:

Gegen 1 Uhr bekam ich dann Gesellschaft (Der Telefonanruf aus dem Hauptquartier zeigte quasi seine Wirkung) und wir beschlossen gemeinsam der Parkbühne einen Besuch abzustatten, wo heute das „Rundum sorglos“-Paket in Sachen hochfeiner Electromucke mit Cyber Axis, Rotersand, Icon Of Coil, Armageddon Dildos, Insekt, In Strict Confidence und Ex-Kraftwerk Mitglied Karl Bartos gebucht worden war. Somit galt es nun, schnellstmöglich einen Trambahnwagen zu kapern und in Richtung Clara-Zetkin-Park zu schippern.

Den anschließenden Fußmarsch legte ich dann in neuer Rekordzeit hin, sodass sogar noch etwas Zeit blieb, um die wunderschöne Stimmung der Parklandschaft aufzusaugen: Während das Leipziger Normalvolk in den Park kam um „Grufties zu gucken“, war auch hier noch die Entspannungsphase in vollem Gange. Faulenzend lagen und saßen mehr oder minder bunt geschminkte Figuren im Gras umher und ließen es sich gut gehen. Doch diese Idylle wurde alsbald zerrissen!

 Cyber Axis:

Lautes Dröhnen drückte aus dem Inneren der Parkbühne hinaus in die Welt und verkündete den Beginn der Festivitäten. Mit eiligen Schritten hastete ich daher in Richtung Eingang, um nach bestandener Gesichtskontrolle dem Spektakel beizuwohnen, welches mir da so verlockend entgegenschwoll.

Doch die Opener des heutiges Tages, Cyber Axis, hatten alles andere als ein Spektakel auf ihrer Seite, denn abgesehen vom strammen Electrometal-Sound der Band und den drei Musikern hatten sich nur wenige Besucher in die Parkbühne gesellt, von denen die Hälfte ziemlich unbeteiligt auf den Rängen hockte und sich die Sonne auf den Pelz scheinen ließ, während die andere Hälfte in lockerer Runde vor der Bühne die Stellung hielt, um wenigstens ein bisschen Stimmung zu sorgen.

Sänger Oliver Müller und sein Keyboard-Kollege Axel Kleintjes nahmen die Situation jedoch mit Humor und verstanden sich selbst als „freundlicher Weckdienst von Nebenan“. Während mit „Totally Wasted“, „Skin“, „What would Jesus Do“ und der Single „The Prophecy“ vornehmlich Stücke vom aktuellen Album „Skin“ dargeboten wurden, garnierte Herr Müller sein gesangliches Schaffen in den Pausen immer wieder durch spitze Bemerkungen á la „Boah ihr seid ja noch richtig müde...dann spielen wir jetzt mal was zum Kuscheln“, nur um dann einen musikalischen Tritt vors Fressbrett herauszukramen, der die Parkbühne in ihren Grundfesten erschütterte.

Wie man es drehte und wendete, Cyber Axis gaben richtig Schub und so verwunderte es nicht, dass sich die Kulisse allmählich füllte. Doch während die ersten Fans ihre Band abfeierten, gab Oliver weiter Saures: „Ihr könntet ja wenigstens aufstehen“ forderte er und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren dass heute nur Balladen gespielt würden, was natürlich umgehend geändert werden müsse.

Wie man es drehte und wendete, irgendwie hatte das Ganze etwas und selbst das Kylie Minogue-Cover „Can´t Get You Out Of My Head“ schmiegte sich in seiner elektronisch-melodiösen Rockfassung wohltuend schneidig ans Gehör an, sodass Cyber Axis am Ende schon etwas unter Wert geschlagen wurden. Mir hat die Show in jedem Fall gefallen und so war ich gespannt, was nach Olivers augenzwinkernd gemeintem Abschlussratschlag „Viel Spaß noch und benehmt euch!“ heute noch alles passieren würde.

 Rotersand (Herz für Tiere):

Mit der nächsten Band des Tages, Rotersand, legte das WGT nun den ektronischen Weichklopfgang ein. Hämmernde Beats und der markante Gesang von „The Fair Sex“-Mitglied „Rasc“ sollten nach einem kurz gehaltenen Changeover über die Parkbühne gehen. Wenn, ja wenn, nicht ein unbedachter Festivalbesucher sich als echter Tierfreund hervorgetan hätte und seinen Hund bei brütend heißen Temperaturen im geschlossenen Auto hätte japsen lassen. Somit musste erstmal eine kleine Ansprache her, in welcher der Unhold unmissverständlich dazu aufgefordert wurde, sein Tier postwendend aus seiner Misslichen Lage zu erlösen. Spontane Entrüstung entlud sich über diesen feigen Akt der Tierquälerei und zeigte: „Auch Grufties haben ein Herz für Tiere!“.

Keine 5 Minuten später war der Unmut dann vergessen, als Rotersand die Bühne betraten und Rasc seine Beobachterrolle im Publikum gegen die des musikalischen Frontmannes eintauschte, während sich seine Mitstreiter Krischan und Gun hinter der Technik verschanzten.

Im vergangenen Winter ob ihres Debütalbums „Truth is Fanatic“ überschwänglichst von der Journaille abgefeiert, wurde das Trio seinen Lorbeeren jedoch mehr als gerecht. Mit der Wucht einer Dampframme hämmerten sich einem die Beats ins Stammhirn und nahmen von dort aus den direkten Weg ins Tanzbein. 2-Meter-Leuchtturm „Rasc“ zog dabei die volle Aufmerksamkeit auf sich und vermochte es durch seine explosive Bühnenperformance im Schattenboxstil das Publikum postwendend mitzureißen. Allerdings sei nicht verschwiegen dass er zu Beginn mit leichten Stimmproblemen zu kämpfen hatte, die er aber rasch in den Griff bekam.

Nach dem Opener „Almost Violent“ setzte es sofort ein erstes Highlight, das zeigte, dass Rotersand keinesfalls dem Müßiggang verfallen sind: präsentiert wurde eine neue Version des Albumtracks „Lifelight“, die im Vergleich zum Original, (entschuldigt bitte den Ausdruck), „mordsmäßig Arsch trat“. Hier verdeutlichte sich erneut, welche Sonderstellung Rotersand in Sachen clubtauglicher Electromucke derzeit einnehmen, da es ihnen scheinbar problemlos gelingt wuchtige Härte mit melodiöser Tragweite zu einem absolut unkitschigen Ganzen zu vereinen, dass dem oft beargwöhnten Genre des „Future-Pop“ einen völlig neuen Anstrich verpasst.

Leider war das Glück „Rotersand“ nur von kurzer Dauer. Denn sowohl die XXL-Versionen der Stücke als auch die knappe Spielzeit, ließen nur eine handvoll Titel zu. Was dann allerdings zu hören war wusste zu gefallen: „Electronic World Transmission“ durch eine effektbeladene Gitarre begleitet, pumpte ordentlich los, der Clubhit „Merging Oceans“ animierte die Massen zum hypnotischen Tanz und das finale „Sonic Agony“ holte nochmal 110% aus der Soundanlage der Parkbühne heraus, deren Sound im Vergleich zum gestrigen Agra-Brei eine regelrechte Offenbarung darstellte.

Wie man es aus drehte, die Show von Rotersand schmeckte nach mehr und das Publikum forderte lauthals Nachschlag. Leider konnte dem aus oben genanten Gründen nicht entsprochen werden, was nicht nur den Fans leid tat.

 Icon Of Coil:

Kommen wir nun vom schmackhaften Electromenü aus Deutschland zu einer Band, die momentan im Elektronikbereich zu den absoluten Abräumern zählt und dem WGT heute ihren ganz eigenen Stempel aufdrücken sollte: Icon of Coil!

Die Norweger um Frontmann Andy LaPlegua, deren letztes Album „Machines Are Us“ einschlug wie die sprichwörtliche Bombe, waren in zweierlei Hinsicht ein Phänomen. So brachten sie nicht nur das Kunststück fertig auf der vollbesetzten Parkbühne zur besten Kaffeezeit einen wahren Partyorkan zu entfachen, sondern glänzten, für eine Elektroband nicht selbstverständlich, mit Live-Kompetenz und Improvisationsvermögen.

So dauerte es bei brütender Hitze und stimmungsvollen Openern wie „Remove/Replace“ und „Android“ keine 10 Minuten, bis aus einem anfänglich harmlosen Tonaussetzer ein handfester Technikkollaps erwuchs und dem Gassenhauer „Access & Amplify“ sprichwörtlich der Saft ausging. Doch Mr. LaPlegua schaltete schnell und entschloss sich spontan dazu die peinliche Panne mit einer eilig improvisierten „Akustikversion“ zu überspielen und den Song ohne Einsatz der Sequencer in balladesker Reinform zu beenden, wofür es im Anschluss Standing Ovations regnete. Respekt, da hätte nicht jeder so die Nerven behalten geschweige denn noch einen flotten Spruch á la „Wenns hart kommt müssen wir das mit jedem Song machen“ zu bringen.

Der Rest des knapp 45minütigen Sets rekrutierte sich dann zum großen Teil aus Stücken des aktuellen Albums, wobei auch hier nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die treibenden Arrangements von Songs, wie „Dead enough for life“ oder dem abschließenden „Pursuit“ das Letzte aus dem Publikum herauskitzelten und live im Vergleich zur Konservenfassung deutlich mehr Energie freilegten. Mit der Stimmung am Siedepunkt verabschiedete sich das norwegische Trio von seinen Fans und durfte sich gewiss sein, im weiten Rund der Parkbühne bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Hut ab vor dieser Leistung!

 Armageddon Dildos:

Wie die meisten Bands an diesem Tag, hatten auch die nachfolgenden Armageddon Dildos ein echtes Special in der Hinterhand. Wobei sich in ihrem Fall die Besonderheit bereits durch die bloße Anwesenheit begründete. Denn die ehemals von Uwe Kanka und Dirk Krause ins Leben gerufene Band hat doch allen ernstes das Kunststück fertig gebracht, sich trotz eines Status als EBM-Klassikers mit Hits wie „EastWest“ oder „Homicidal Maniac“ in 15 Jahren Bandgeschichte erfolgreich den Bühnen des Wave Gotik Treffens zu entziehen. Oder um es kurz zu machen: Armageddon Dildos beim WGT 2004 – Das war eine waschechte Premiere!

Und obwohl Herr Krause inzwischen nicht mehr zum Gespann der apokalyptischen Sexspielzeuge gehört, wusste Altmeister Kanka genau wie er dem Publikum beikommen konnte:

In Begleitung seiner Tochter und zwei Herren an Keyboard und Gitarre enterte er von Beifall begleitet die Bühne, nur um sie kurz darauf auch gleich wieder zu verlassen und in den Graben zu hüpfen. Dort angekommen begann er sogleich eine „emotionale Bindung“ zum Publikum aufzubauen, indem er kurzerhand die halbe erste Reihe abknuddelte und, egal ob Männlein oder Weiblein, anfing Herzlichkeiten auszutauschen. So ein Schlawiner!

Auch im weiteren Verlauf der Show hatte „Uns Uwe“ so einige Stunts im Repertoire, was neben einem ausgedehnten Marsch durch den Zuschauerraum auch einen akrobatischen Kletterakt am Bühnenmast mit einschloss, sodass man sich durchaus fragen konnte, ob es nicht Rogue von den Crüxshadows war, der sich hier vor seinem späteren Auftritt in der Agra Halle einen kleinen Appetithappen holte.

Neben all der Kletterei wurde natürlich auch ein wenig musiziert, was sich in einem kompakten „Best Of Armageddon Dildos“ niederschlug, welches neben den Speerspitzen „Homicidal Maniac“, „East West“ und „Resist“ auch einige Titel der aktuellen Scheibe „Morgengrauen“ enthielt und sich damit dem hohen Niveau des bisherigen Tagesprogramms anpasste.

 Der Biergarten am Ende der Welt:

Obwohl die Show der Armageddon Dildos einen nicht zu verachtenden Unterhaltungswert mit sich führt, zog ich es etwa zur Halbzeit vor meinen Aufenthaltsort in den angrenzenden Biergarten zu verlegen. Zuviel Sonne ist schließlich nicht gesund und auch in 30 Metern Luftlinie von der Bühne entfernt, war noch einwandfrei zu vernehmen, was auf der anderen Seite der Mauer vor sich ging.

Im Garten angekommen befand mich auch gleich wieder in guter Gesellschaft. Die Bänke voll besetzt mit Besuchern jedweder schwarzgewandeter Couleur, waren auch Hannovers Plattenreiter Kai Hawaii und seine Frau Arielle anzutreffen, die gemeinsam mit Grenzwellenreiter Ecki Stieg und einigen Freunden ihre gestrige DJ-Nacht in der Agra-Halle ausklingen ließen.

Generell war die Parkbühne heute ein Hort der Begegnungen und der „Promis“ zum Hallosagen. Denn neben den DJs an der Grillbude waren auch die Jungs von Rotersand und :[S.I.T.D.]: (Tom und Carsten) anzutreffen, sowie „The Fair Sex“-Frontmann Myk Jung beim betreiben des Merchandisingstandes und VNV Nation Boss Ronan Harris, samt frisch belegtem Brötchen den angesetzten Festivitäten beiwohnte. Somit hatten sich auch die Herren von „Insekt“ eine illustre Runde ausgesucht, um nach einer längeren Pause erstmals wieder live aufzutreten.

Da mir, das gebe ich zu, „Insekt“ bisher noch in keiner Weise untergekommen waren, gestaltete sich mein persönliches Konzerterlebnis als ziemlich außergewöhnlich:

 Insekt:

Immernoch gemütlich im Biergarten hockend, hörte ich wie drüben auf der Parkbühne die Umbauarbeiten für den Auftritt der belgischen EBM-Combo vonstatten Gingen und anschließend der Ansager ein paar taktvolle Worte zur musikalischen Auferstehung des dynamischen Duos verlor. das Gesagte zur Kenntnis nehmend harrte ich weiter der Dinge und bereitete mich seelisch schon auf das Konzert von In Strict Confidence vor. Doch dann brach nebenan plötzlich der Sturm los:

Die eigenwillige Kombination aus teils heftigen Industrialbeats und einem deutlich vernehmbaren Schlagzeug machte mich neugierig. Was konnte das sein, das da so griffig vor sich hin lärmte? Und wer zum Geier war der Irre, der da wie von Sinnen ins Mikrofon brüllte? Doug McCarthy konnte es wohl kaum sein, denn der war ja gestern schon dran. Also half es nix! Hoch den Arsch und ab zur Bühne!

Wieder im Allerheiligsten angekommen gestaltete sich zunächst ein recht aufgeräumtes Bild. Die Mega-Massen vom Icon Of Coil-Gig hatten sich inzwischen verflüchtig und sorgten für angenehme Bewegungsfreiheit auf den Rängen, die eine nicht unerhebliche Zahl Electroheads bereits ausnutzte um kräftig abzuhotten. Doch auch knappe 1 Meter 50 über dem Boden ging ganz schön die Luzie ab:

Mario Vaerewijck und Eric van Wonterghem, so die Namen der beiden Herren aus Frittenbäckerhausen, gaben richtig Späne, bzw. Eric agierte mit stoischer Gelassenheit an seiner Technikburg, während Super-Mario samt Brille und David Lynch Gedächtnisfrisur gleich mal für 2 um sich haute und durch eine wahllos zusammengewürfelte Tanzchoreographie immer wieder aufs neue zu faszinieren wusste. Denn mal schob er in gebückter Haltung den Mikroständer vor sich her, dann wieder sprang er mit tollkühnen Kampfsporttritten über die Bühne, nur um im nächsten Moment wie das sprichwörtliche „Heldendenkmal“ in Pose zu verharren. Langweilig wurde es in diesem Punkt ganz sicher nicht und auch musikalisch war für Abwechslung gesorgt.

So hatten Insekt neben einigen brachialen Momenten auch einen Coversong aus dem Hause Depeche Mode am Start, Personal Jesus um genau zu sein, bei dem zwangsläufig etwas gemäßigtere Töne aufgefahren wurden. Das Publikum reagierte ob des Klassikers einmal mehr mit antrainierter Verzückung. Denn nach meinen bisherigen Beobachtungen scheint es in der Tat so zu sein, dass, wann immer ein Depeche Mode Song zu Gehör gebracht wird, die Leute regelrecht aufblühen und einen pawlovschen Partyreflex zeigen. Gott weiß warum!

Im Falle von Insekt wirkte die Nummer jedoch eher als Mittel zum Zweck um mehr Leute vor die Bühne zu locken, denen man dann fröhlich den eigenen Stoff um die Ohren hauen konnte. Denn was Insekt live ausmachte war nicht das Covern ausgelatschter Evergreens, sondern vielmehr das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine, welches hier eindrucksvoll praktiziert wurde. So tauschte Mario von Zeit zu Zeit den Platz hinter dem Mikro ein, um sich mit dem Rücken zum Publikum an das bereitstehende Schlagzeug zu setzen. In Kombination mit den wuchtigen Electrobeats aus Erics Synthiabteilung entstand eine eindrucksvolle Soundkulisse, die sich in der hier dargebotenen Form vermutlich kaum auf einem Tonträger wirkungsvoll einfangen läßt. Insofern hatte das Konzert der Belgier nicht nur echten Live-Charakter, sondern bot gleichzeitig etwas, das man nicht alle Tage serviert bekommt. Auch wenn nicht alle Besucher der Parkbühne etwas damit anfangen konnten nennt man so eine Show in der Regel einen Idealfall!

 In Strict Confidence:

Mit dem Abgang der belgischen Insektenzüchter machten sich bereits Dennis Ostermann und seine Kollegen von In Strict Confidence für den vorletzten Auftritt des Tages bereit. Dafür dass die Band bis vor kurzem noch nicht wusste ob sie überhaupt am WGT teilnimmt, begab man sich jedoch zeitig an den Start, um vor „ausverkauftem“ Haus mit alten Hits und jungen Heldentaten zu glänzen.

Wie schon im Frühjahr auf dem Dark Generations Festival, überzeugten ISC besonders durch ihre Live-Power. Schlagzeug und Gitarre nicht aus der Konserve geliefert zu bekommen gestaltete sich als unschätzbarer Zugewinn, der dem Geschehen erst die richtige Dynamik verlieh. Dynamik, die Dennis Ostermann im Gegensatz zum Gig im April merklich besser umsetzen konnte und ganz ohne „verbale Frustfouls“ (bedingt durch organisatorische Pannen) eine Klasse Show ablieferte. Ebenfalls mit von der Partie war wieder ex-Chandeen Sängerin Antje Schulz, die an Herrn Ostermanns Seite tadellosen Job als „Engelsstimmchen“ hinlegte, was vor allem den Herren der Schöpfung gut gefiel ;).

Das musikalische Line-Up des Konzertes gestaltete sich gleichermaßen illuster. Den Fokus naturlich auf das aktuelle Album „Holy“ gerichtet, setzte es Stücke wie „Another Night“, „Closing Eyes“, „7 Lives“ und den Singlehit „Babylon“. Nebenbei blieb aber auch immer wieder Zeit für ältere Kracher. So wurde neben den Openern „Kiss your shadows“ und „Engelsstaub“ natürlich auch der Überhit „Zauberschloss“ aufgefahren, bei dem Dennis seine feiernde Fansschar ironisch fragte: Na, kennt ihr das noch?“.

Doch damit nicht genug: Ein Sahnebonbon hatte man sich noch fürs große Finale aufgespart und zwar das ISC / Melotron Duett „Brüder“! Doch was rund um diesen Song auf der Bühne abging bringt mich als Autor dieses Konzertreviews ganz schön ins Schwitzen. Von daher möchte ich betonen, dass die folgenden Zeilen meinen persönliche Eindruck widerspiegeln und keinen Anspruch auf Gemeingültigkeit erheben.

Zunächst begann eigentlich alles ganz harmlos. Dennis Ostermann wendete sich vertrauensvoll an sein Publikum und gestand witzelnd: „Wenn es keine Frauen mehr gäbe wäre ich Schwul“. Soweit so gut! Dann allerdings bat er seinen Duettpartner Andy Krüger auf die Bühne, der brav in Richtung Bühnenmitte gewatschelt kam und Dennis irgend etwas mitzuteilen versuchte. Dieser reagierte jedoch eher verwirrt und wendete sich gequält grinsend mit den Worten „Ich versteh nix, aber der hat eh schon ein paar getrunken“ an sein Publikum.

Das Duett selbst ging dann auch ziemlich in die Hose. Obwohl von den Fans als druckvolle Tanznummer abgefeiert, wirkten die „Brüder“ alles andere als eineiig Zwillinge. Stattdessen hatte ich den Eindruck, dass Melotron-Andy immer einen Schritt hinterher hinkte und textlich mehrmals knapp am Aussetzer vorbei schrammte. Obwohl ich den Füllpegel des seltsam umhertanzenden Sängers nicht genau einschätzen konnte, beschlich mich das Gefühl, dass er schon ordentlich einen getankt hatte und nur mit Mühe mit dem Geschehen um sich herum Schritt hielt.

Irgendwie rettete er sich aber doch über die 5 Minuten hinweg und so verabschiedeten sich In Strict Confidence gemeinsam mit einem fröhlich-zappelnden Herrn Krüger vom einhellig berauschten Publikum. Ich für meinen Teil!!! fand das Finale jedoch ziemlich peinlich und bin der Meinung, dass besoffene Musiker nur dann auf die Bühne gehören, wenn sie wenigsten noch ihren Job halbwegs auf die Reihe kriegen. Die Leistung des Herrn Krüger bewerte ich als indiskutabel und unprofessionell! Falls jemand von Euch das anders erlebt hat ist das im wahrsten Sinne des Wortes „euer Bier“ ;).

 The Return of the living Karl:

Kaum hatten sich ISC von ihren Fans verabschiedet, lichteten sich die Reihen vor der Bühne zusehends. Wie schon gestern bei :[S.I.T.D.]: und Fixmer/McCarthy vollzog sich ein musikalischer Generationswechsel. Die jungen Hüpfer verließen nun die Front und räumten das Feld für ein reiferes, nicht rein schwarz gefärbtes Publikum. Und leider befanden sich unter den Abgängern auch einige Katastrophentouristen, die sich bewusst auf den Weg ins Haus Auensee machten, um dort getreu dem Motto „Schadenfreude ist die schönste Freude“ auf weitere Ausfälle von Melotron-Andy zu spekulieren. Ob man solche Leute nun unbedingt als Fans bezeichnen muss sei jetzt mal dahin gestellt, doch wer den Schaden hat braucht nun mal für den Spott nicht zu sorgen.

An der Parkbühne hingegen war alles im grünen Bereich. Die Stagecrew, übrigens tatkräftig unterstützt von Armageddon Dildo-Uwe Kanka, machte sich zügig ans Werk, um das Geläuf für den Headliner des Tages, ex- „Kraftwerk“ Mitglied Karl Bartos, vorzubereiten. Dabei wurde zunächst einiges an Technik herangekarrt: Keyboards, Synthies, diverse Fernsehmonitore, ein Videoschnittgerät, Leinwände sowie eine Kamera, die das Pult von Karl Bartos anvisierte. Doch bevor die Show beginnen konnte musste jedoch noch eine Kleinigkeit erledigt werden. Scheinbar hatte jemand beim letzten Auftritt des Altemeisters vergessen die VHS-Tapes der Projektionen zurückzuspulen und so fühlte man sich bei herunterzählen Videorekorders gleich mal in die 80er Jahre zurückversetzt, als noch niemand von DVDs sprach und ein CD-Player höchstens mal in 2 von 10 Haushalten stand. Ein nettes Detail am Rande!

 Karl Bartos:

Um Punkt 21 Uhr hatte die Warterei dann aber ein Ende und die letzten der aus ganz Europa kommenden Zuschauer erhoben sich von den Stufen vor der Parkbühne, während Karl Bartos in Begleitung eines zweiten Keyboarders und eines Video-Operators auf der Bildfläche erschien und das Wunder von Leipzig mit mathematischer Schlichtheit seinen Lauf nahm!

Die anbrechende Dämmerung vor Augen eröffnete Bartos mit „Computerwelt“ und stellte postwendend klar, dass er auch nach der Abspaltung von Kraftwerk keinesfalls seine Wurzeln aus den Augen verloren hat. Ganz im Gegenteil! Gepaart mit Stücken seines aktuellen Solowerks „Communication“ legte er besonderen Wert darauf alte Kraftwerk-Reißer in beinahe beängstigend Retromodernem Stil neu zu inszenieren und den zahlreichen Electro- und Synthipopacts (die mitunter auch hier am WGT auftraten) knallhart ihre Wurzeln aufzuzeigen, bzw. sie mit den eigenen Waffen zu schlagen.

Es war beängstigend, oder besser gesagt atemberaubend mit welcher Präzision der alte Mann hier am Puls der Zeit agierte und mit „The Camera“, „I am the Message“, „Tour de France“ oder „Life“ eine Punktlandung tief im Herzen der Electrofans hinlegte, die in ihrer Faszination hin und hergerissen schienen: Wo die einen nur staunend dastanden und sich an der magischen Aura des Mittfünfzigers ergötzten, feierten die anderen ihren Taschenrechnermusikanten bedingungslos ab. In einem Punkt waren sich jedoch alle Anwesenden einig: dem Charme der 80er Jahre gepaart mit einer optisch reizvollen Multimediashow konnte man sich unmöglich entziehen.

Bartos selbst nahm die Herausforderung vor einem Szene-Publikum zu spielen mit routinierter Gelassenheit an und fühlte sich, so hatte es den Anschein, in seiner Rolle als Chef de l´Orchestre pudelwohl. Zudem verstand er es das eh schon schwinderregend hohe Niveau seines Konzertes in der zweiten Hälfte noch zu steigern als weitere Kraftwerk Klassiker wie „Computerlove“, „Das Model“ oder „Trans Europa Express“ in einer Reihe mit Bartos´ aktuellem Clubhit „15 Minutes Of Fame“ standen, bevor „We are the robots“, sprich „Wir sind die Roboter“, den finalen „Boing Peng Bumm Tschack“-Kulthammer niedersausen ließ.

Obwohl die Showtime bereits abgelaufen war und eigentlich der große Zapfenstreich an der Parkbühne folgen sollte, durfte ein solch außergewöhnliches Konzert in keinem Fall ohne Zugabe enden. Also stürmte der Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand erneut die Bühne, um mit „Pocket Calculator“ dort fortzufahren wo er vor der Pause so vielversprechend aufgehört hatte. Gebannt von der abermals knisternden Atmosphäre, riss es nun selbst die Security im Bühnengraben von den imaginären Sitzen. Fröhlich wippte man mit, bis ein gemeiner Spielverderber auf die Idee kam langsam die Nachtruhe einzuläuten. Meister Bartos die Gelbe Karte zeigend eilte der Sausack auf die Bühne und wollte ihm eine zweite Zugabe verwehren. Getreu dem Prinzip „lebenden Legenden dreht man nicht den Saft ab“ schaufelte man den Unhold jedoch flugs beiseite und somit gab es abermals Nachschlag, den sich Künstler und Fans genüsslich einverleibten. „Ultraviolet“ schloss dann allerdings den Reigen und setzte das Publikum nach dieser faszinierenden Reise durch den Computerkosmos wieder an der Parkbühne ab.

Ohne nun in allzu euphorische Lobhudeleien ausschweifen zu wollen bleibt festzuhalten, dass es Altmeister Bartos immer noch Gottverdammtnochmal drauf hat ein Publikum in seinen Bann zu ziehen!  Was an diesem Abend auf der Parkbühne zu erleben war, war mehr als nur Musik. Es war ein Dokument dessen, dass man auch mit wenig Bewegung großes bewegen kann und eine Demonstration schöpferischer Urkraft die sämtlichen Nachahmungsversuchen mit einem Fingerschnippen ihre Grenzen aufzeigte. Dieses Konzert gesehen zu haben war eine Ehre und ein bleibendes Erlebnis!

 Geordneter Rückzug:

Obwohl ich mich nach diesem Opus irgendwie hypnotisiert fühlte, schlossen sich meine Beine dem Strom der Masse an. Wie ein Lemming auf Selbstmordtour wankte ich ferngesteuert zum Ausgang, um direkt an der nächstbesten Getränkebude anzudocken. Löschzwang war angesagt und ein Moment der Ruhe, bevor ich mich auf den Rückweg zum Agra-Gelände machte.

Der anschließende Fußmarsch in Richtung Straßenbahn war entgegen anderslautender Befürchtungen eine wahre Wohltat. Die kühle Abendluft ließ mich ein wenig die Strapazen des Tages vergessen und die im Angesicht dröhnender Boxen nahezu idyllische Kulisse der Großstadt tat ihr Übriges zum allgemeinen Wohlbefinden.

Rückblickend betrachtet gestaltete sich dieser Tag an der Parkbühne nicht nur wegen des Highlights „Karl Bartos“ für mich als der rundeste des gesamten Treffens. Wetter, Location, Gesellschaft, es passte alles wunderbar zu einander und so sollte es auch sein. Dass InMove insgesamt ein bärenstarkes Musikprogramm in den Zetkin Park bestellt hatte, setzte dem ganzen die Krone auf.

Als ich nach knapp 30 Minuten Weg (wieder ein neuer persönlicher Rekord) erneut am Agra-Gelände eintraf, begann jedoch meine interne Notstromversorgung Alarm zu schlagen. Akku Leer, Input Overflow...oder so... wie auch immer, die letzten Details an das ich mich noch erinnere sind 1. ein leckerer Teller Nudeln vom Italiener vor der Vestibüle, 2. ein psychopatischer Feindflug-Fan der mich bis ins Cafe verfolgte um des Tellers habhaft zu werden und 3. ein rappelvolles Café das einem Feldlazarett gleichkam. Für eine Weile dort verharrend überlegte ich ob es Sinn machte dem anschließenden Konzert von Anne Clarke beizuwohnen. Ich entschied mich letztlich dagegen und das war gut so. Der Rest ging im Schleier der Nacht unter...

Also...schlaft…gut ...und.....bis.…....mor…..............

Und hier gehts zur Tages-Ga”ll”erie!