Folge 41: 28.-31.05.2004 - 13. Wave Gotik Treffen, Leipzig (Teil 2)

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 Teil 2 - Samstag 29.05.2004:

Guten Morgen liebe Sorgen seit ihr auch schon alle da?!?!?
Hey nein halt, bleibt doch hier! War doch nur Spaß!

Ok, *räusper* also nachdem der gestrige Tag mit Camouflage mehr als ehrenhaft zu Grabe getragen und dem musikalischen Overkill eines Gothicfestivals auf verschiedenste Weise Rechnung getragen wurde, stand der heutige Samstag zunächst einmal ganz im Zeichen der Kultur. Von der Neugierde gepackt was das Mittelalter so Neues zu vermelden hatte, wagte ich somit einen ausgedehnten Abstecher ins Heidnische Dorf, bevor am Abend wieder Starkstrom angesagt war.

 Plattfuss in Leipzig:

Nach den ersten hundert Metern in Richtung Agra-Treffengelände kamen mir üble Gedanken an die gestrige Stehorgie wieder hoch. Brennenden Fußes (aber das ist ja bei einem Festival normal) stapfte ich voran, um mir zunächst ein Bild von der diesjährigen Händlermeile zu machen.

Wie sonst auch hatten sich in der Halle 4 des Agra-Komplexes zahlreiche namhafte Merchandiser eingenistet, die nun dicht an dicht gestellt mit mannigfaltigen Produkten aufwarteten, wobei das Verhältnis in  etwa auf 30% Schmuck, 30 % Klamotten und 30 % Tonträger hinaus lief, während sich die übrigen 10% in Kleinkram, Zeitungsabos und ausgefallene Buchwerke aufteilten.

Natürlich war die Mehrzahl der vorhandenen Messestände wieder hübsch geschmückt, sodass sich ein echtes Highlight nicht ausmachen ließ. Auf lachende Plastikköpfe und solche Dinge musste man aber dennoch verzichten und selbst die heiße Vampirlady von „Visions Mystique“ war offenbar anderweitig vergeben. Einzig der Stand der Firma Jungbluth lugte ein wenig hervor mit zwei wunderschön ausstaffierten Schaufensterpuppen, die vor dem Eingang zum Allerheiligsten Spalier standen.

Als kleine Entschädigung gab es dann aber doch noch was zu gucken: einen guten alten Mercedes Leichenwagen im klassischen Stil, 666er Nummernschild inklusive. Wie schön! Und der offene Sarg, in den man sich für ein hübsches Erinnerungsfoto legen konnte durfte natürlich auch nicht fehlen. Nach einem kurzen Blick auf die reichlich umlagerte Persephone-Autogrammstunde am Sonic Seducer Stand, entschloss ich mich den Weg ins Heidnische Dorf anzutreten, wo wenigstens die Aussicht auf freilaufende Tiere stand anstatt dieses gitterumzäunten Streichelzoos,...also ehrlich!

 Schönes Wetter Leute!

„Mein lieber Herr Gesangsverein, heute meint Petrus es aber wieder gut!“ 25 Grad und keine Wolke am Himmel, das machte Lust auf Freiluftaktivitäten.

Während auf der Flaniermeile draußen bereits die illustersten Gestalten ihr Unwesen trieben und ein gewisser „Noctulus“ die Welt mit finsterstem Black Metal Gebolze aus dem Schlaf riss, traf ich am Kopf des Geländes auf eine kleine Gruppe schwedischer WGT-Touristen, die sich zu frischem Gerstensaft und hausgemachten Pipi Langstrumpf Klängen fröhlich lärmend den noch jungen Tag begossen. Dazu gehörte auch, dass ein Mitglied dieser Gruppe in den Brunnen vor der Messehalle stieg und mit heruntergezogener Buxe den interessierten Fotografen in die Linse lächelte, bevor er in astreiner „Werner-Manier“ auf die Brunnensäule kraxelte und nach einigen Sekunden lebende Siegessäule einen beherzten Flachköpper in die nicht vorhandenen Fluten wagte. Boing...das hat bestimmt weh getan!

Für meine Wenigkeit hieß es dann aber „nichts wie auf zum Torhaus Dölitz und hindurch durch das Zeitportal“. Doch halt, da war ja noch was! Genau, der „Pfingstbote!“ Auf halbem Weg zum heidnischen Dorf wagte ich einen kurzen Abstecher zum Obsorgecontainer, wo das besagte Büchlein nebst Silberscheibe ausgegeben wurde. Das ganze lief, wie versprochen, vollkommen reibungslos über die Bühne und drängte erneut die Frage auf, warum sich die gute Lady von gestern da so aufgeregt hat! Oder war sie etwa nur einen Tag in Leipzig gewesen? Wohl kaum!

Wie dem auch sei. Nun keimte eine stille Vorfreude in mir auf. Denn das heidnische Dorf , von jeher eines der Highlights des WGT, war nicht mehr weit. Mit einem beherzten Sprung durch das „Zeitportal Torhaus Dölitz“ begab ich mich hinein in die abermals wunderschöne Mittelalteratmosphäre, gespickt mit Handwerkskunst, Krämerbuden und natürlich jeder Menge traditioneller Köstlichkeiten, die vom Met über exotische Biersorten bis hin zu Teigfladen und Fleisch vom Spieß reichten. Darüber hinaus hatte sich das Dorf in diesem Jahr ganz dem Feuergott Loki verschrieben.

Rund um diese Figur aus der nordischen Mythologie  fanden über das komplette Wochenende hinweg Lesungen, Feuershows und Theaterstücke statt, die mal mehr, mal weniger flambiert über die Bühne gebracht wurden. So waren nicht nur die Berliner Pyroexperten „Seelenfunken“ mit ihrer beeindruckenden Show geladen, sondern auch die Darsteller der Solheim Sippe und Schriftsteller Voenix, welcher aus seinem neuen Buch „In Lokis Feuerschmiede“ las, widmeten sich dem Themenkreis des Feuergottes.

Nach dieser ersten Bestandsaufnahme zog es mich alsbald in Richtung der liebevoll eingerichteten Holzbühne am hinteren Kabelende des Heidnischen Dorfes. Hier hockten bereits zahlreiche Fans gemütlich im Gras und ließen sich zu munterem keltischen Liedgut die Sonne auf den Pelz brennen.

 Omnia:

Mit Harfe, Horn, Trommeln, Bodhran, Doppelflöte und einem Slideridoo (Didgeridoo mit verlängerbarem Rohr) bewaffnet machte sich gerade das niederländische Trio Omnia (Neocelt) auf der Bühne zu schaffen und erweckte bei seinem ersten WGT-Gastspiel einen gleichermaßen aufgeweckten, wie höchst unterhaltsamen Eindruck.

Mit einer Mischung aus Deutsch und Englisch (also Denglisch) im besten Gale Tufts Stil, gepaart mit holländischen Akzent, hatte Sprachrohr Sic, alias Steve Evans, allerhand lustige Dinge zu erzählen: So konnte es schon mal vorkommen, dass er die Grundzüge altertümlicher Mythologie in einer Art „Sendung-Mit-der-Maus“-Stil erklärte und nach einem lockeren Sprung von der Bühne den umherhockenden Besuchern mit Händen und Füssen veranschaulichte, was so einen römischen Kriegsgott, wie den Mars so alles ausmacht.

Äußerst interessant waren auch seine Ausführungen zum Thema „Irish Folk“, welcher sich seiner Meinung nach auf drei grundlegende Begriffe reduzieren lässt: „1.Alkohol, 2. Krieg und 3. natürlich Sex“.  Allerdings war sich der Rotschopf am Ende selbst nicht mehr so sicher welches denn nun die richtige Reihenfolge war. ;)

Nachdem zwischenzeitlich auch Sic´s angetraute Hofdame Jennifer, (übrigens eine sehr hübsche Junge Dame) mit einen einem großen Horn für Aufsehen sorgte, war es an der Zeit den Dritten im Bunde ins Rampenlicht zu rücken, Luka!

Wenn das Publikum schon eine Zugabe wollte, dann sollte es auch etwas dafür tun, dachte sich die Band. Aus diesem Grunde bestand das letzte Stück hauptsächlich daraus, dass Steve und Jenny an den Trommeln rhythmisch vorlegten und der stämmige Luka im Stil eines Armee-Schleifers Zeilen hinausgrölte, die das Publikum „gefälligst“ zu erwidern hatte. Falls sich jetzt jemand das ganze schlecht vorstellen kann...ich sag nur „Eeejoo Captain Jack!“. So in der Richtung!

Das Publikum war in jedem Fall begeistert und forderte abermals Nachschlag, den Sic aber aus Fairnessgründen den anderen Bands gegenüber abblockte und stattdessen in bester „Harry Wijnvort“-Manier auf die formschöne CD hinwies, welche man am Merchandisingstand neben der Bühne erstehen konnte: „Sie wollen mehr? Dann kaufe´ sie eine Sejdej oder kaufe´ sie 2, kaufe´ sie 3 oder 4...“ Alles klar Sic, wir haben verstanden ... „später mehr“. ;)

Alles in allem kann man auf jeden Fall sagen, dass sich die Omnianer auf ihrem ersten WGT wunderbar eingeführt haben. Die Show war wirklich unterhaltsam und machte den Eindruck, dass sich die Holländer im „Leipzig Forest“ Pudelwohl gefühlt haben. Natürlich sollte dies nicht ihr letzter Auftritt gewesen sein, doch für den Moment war es erstmal genug und so schaute nun wieder im Dorf umher, wo es prompt den nächsten Augenschmaus zu entdecken gab:

 Kampfsport im Mittelalter:

Eingemummelt in jede Menge Blech, war eine 5köpfige Rittergruppe eingetroffen, die sich nun unter den Augen zahlreicher Schaulustiger zu einer kleinen Kampfsport-Demonstration mit Übungscharakter zusammengefunden hatten.

Aber wie das bei den Kämpen immer so ist, irgendwie hatte jeder seinen eigenen Kopf und so entglitt dem Übungsleiter, dessen bezeichnender Spitzname „Der Gutmütige“ lautete, sein Kommando schneller als ihm lieb war. Schon bei der ersten Lektion, der Reiterabwehr (bei der übrigens ein Freiwilliger aus dem Publikum die angreifende Schar von 500 Pferden mimen durfte), ergriffen die Schüler lieber die Flucht, als sich der Übermächtigen Gefahr entgegen zu stellen.

„Was für Hasenfüsse“, dachte sich „Cheffe“ und ordnete sogleich eine Wiederholung des Dramas an. Dieses Mal klappte es zwar, doch die Leistung war so erbärmlich, dass sie geradezu nach einer Züchtigung schrie. Also durften die schlaffen Blecheimer nun paarweise gegeneinander antreten und sich solange den Helm demolieren, bis einer der beiden umfallen würde.

Gesagt, getan gab es dann auch richtig eins auf die Omme, bis der erste Unhold zur Strecke gebracht ward. Dann folgen die nächsten zwei, bis letztendlich auch der Schleifer selbst sich eine rote Haube aufsetzte den Helm aufstülpte und dafür vom Publikum mit einem hämischen „Rotkäppchen“ auf die Schippe genommen wurde. „Wer war das?“ fragte er erbost in die Menge, doch die Antwort aus den Rängen „Der Schwarze da!“ brachte ihn nicht wirklich weiter („Die sind doch alle schwarz!!“). Leicht gefrustet, trat der Boss dann gleich gegen drei Kämpen auf einmal an.....und verlor! Welch eine Überraschung!

Mit Ausnahme kleinerer Blechschäden gab es jedoch keine Verluste zu beklagen und so löste sich das Kampfgrüppchen mit der Spitzen Berkung ans Volk: „Ihr könnt jetzt wieder Fressen und Saufen gehen“ kurzerhand auf.

 Der Speluden Ohrenpeyn:

Wieder zurück an der Bühne, machten sich gerade die Jungs von „Ohrenpeyn“ für ihren Auftritt bereit. Das Spielmannstrio bestehend aus Rüdiger, Nicolotorus und dem schweigsamen Spanier hatte bereits im vergangenen Jahr an gleicher Stelle überzeugt und schickte sich nun an mit Musik, Tanz und blöden Sprüchen die idyllische Szenerie der heidnischen Dorfes einmal mehr gehörig aufzumischen.

Los ging es mit dem kleinlauten Geständnis, dass man ja „heute morgen um 11 eigentlich noch besoffen in der Ecke lag“(na wenn’s sonst nix ist). Aber wie heißt es so schön bei Lessing? „Wer morgens schon zerknittert ist, was hat der tagsüber für Entfaltungsmöglichkeiten!“ und so entknitterte sich das Trio mit holden Reklamebotschaften in eigener Sache. Denn nicht genug, dass man jetzt eine eigene CD vorweisen konnte, nein man besaß auch eine Internetseite mit dem klangvollen Namen „weh-weh-weh-ohrenpeyn-mit-e-üpsilon-punkt-de“, welcher in schmunzelverursachender Choralform hinausposaunt wurde.

Als es dann endlich ans Musizieren ging, merkte man, dass die Truppe nicht zum ersten Mal im Einsatz war. So klappte das „Ohoooo-Ohrenpeyn“-Ritual heute auf Anhieb und als der „Heidschnuckentanz“ an der Reihe war, standen die Spielleute plötzlich einer mähenden Herde voller schwarzer Schafe, die hämisch der Bühne entgegen blökten.

Nebenbei übten sich die Drei Musiker zwischen den Stücken immer wieder in Selbstironie. So kündigte Rotbart Rüdiger zum Beispiel ein Stück auf Französisch an („Ai Vis Lo Lop“), worauf der schweigsame Spanier „Ich kann aber kein Französisch“ antwortete, was Rotbart sofort aufgriff und erstaunt feststellte: „Ey Spanier du kannst ja Sprechen!“. Natürlich konnte er sprechen! Und das nutzte er, um Rüdiger fortan mit kleinen Einwürfen von der Seite gezielt aus der Bahn zu kegeln. Beispiel: „Jetzt spielen wir ein Lied aus deinem Land, Spanier“ verkündete Rotbart stolz und der Spanier entgegnete verdattert „Aus Bayern?“.

Nach einer halben Stunde in der so manch herzhafte Lachsalve abgefeuert wurde, hatten die Spielleute fürs erste Genug: „Habt ihr endlich die Schnauze voll?“, fragte Rüdiger in die Menge, doch das Publikum war anderer Meinung und knallte dem Rotbart ein deutlich zu vernehmendes „Neiiiin!“ vor den Latz. „Falsche Antwort!“ schoß Rüdiger zurück und verkündete murrig das Lied vom „Neidhard“, welches gefolgt von einem Dudelsackmedley aus „Pipi Langstrumpf“ und der „Sandmännchenmelodie“ das vorläufige Ende markierte.

Obwohl das Publikum größtenteils im Gras hockte und sich mit Ausnahme zweier „zauberhafter Schwestern“ nicht zum Tanz animieren ließ, fühlte es sich prima unterhalten. Ohrenpeyn am Samstagnachmittag, das war fröhliche Unterhaltung für die ganze Familie, bei der rustikaler Humor und Selbstironie nicht zu kurz kamen. Es lebe die Stand-Up Comedy!

 Des Hammers Heimholung:

Kaum war der „Ohrenschmerz“ abgeklungen, machten sich bereits die nächsten Rabauken für Ihren Auftritt bereit. Dieses Mal jedoch nicht auf der Bühne sondern davor, wo die Solheim Sippe ihr Theaterstück „Des Hammers Heimholung“ aufführen wollten.

Wie schon der Titel versprach, warteten die Damen und Herren dann auch mit einer echten „Hammer-Performance“ auf, deren Dreh- und Angelpunkt die gleichlautende Göttersage aus der Edda war. Inhaltlich grob umrissen, handelte das kleine Theaterstück vom nordischen Donnergott Thor und dem Riesen Thrym, die beide ein Auge auf die selbe Frau geworfen hatten, Freya. Da Thor bereits die Dame für sich gewonnen hatte, suchte der Riese nach einem Weg, ihm das Weibsstück irgendwie abspenstig machen zu können. Unter tatkräftiger Mithilfe von Loki (da haben wir ihn wieder), gelang es dem Riesen schließlich Thor zu überlisten. Mit einem speziellen Wein machte er den notorischen Saufbold Thor betrunken und raubte ihm im Schlaf seinen Hammer, den er dann später als Druckmittel einsetzte, um sich Friggas zu bemächtigen. Doch da hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Anstelle von Freya, die Thrym im Austausch für den Hammer einforderte, erschien Thor selbst in Riesenheim, um sich als falscher Hase im Frauengestalt seinen Hammer zurückzuholen und nebenbei den Riesen für seine Dreistigkeit zu erschlagen.

Begleitet von der ironischen Fußnote, dass „Mann“ einen „Hammer“ braucht, um eine Frau zu beglücken, verdiente das kleine Schauspiel den Orden wider den tierischen Ernst. Denn ernst gemeint war die Vorstellung sicher nicht, die sich hier dem Betrachter bot. Wie zu Thomas Gottschalks und Mike Krügers besten Zeiten sah man Männer in Frauenkleidern und slapstickartig improvisierte Situationskomik, sodass es einem dünkte, man befände sich inmitten der Produktion eines neuen Helge Schneider Movies.

König Frohsinn schwang das Zepter auf seine eigene Weise und spielte den Akteuren so manch unerwarteten Streich, was besonders Thor-Darsteller Jorek vor versammeltem Publikum zu spüren bekam, als der schmale Holzhocker auf den er sich für die Vermählungsszene gesetzt hatte, unter dem Gewicht seiner stattlichen Figur laut krachend in die Knie ging. Nix für ungut Jorek, aber ein mittelalterlicher Bud Spencer, der samt Brautschleier mit einem Stuhl zusammenkracht, das gibt schon ein Bild für die Götter! (Und ich weiß wovon ich rede...ich hab mindestens genauso viel ;))

Gemessen am musikalischen Überangebot des Wave Gotik Treffens bot das Schauspiel der Solheim Sippe eine sehr willkommene Abwechslung bei der ausnahmsweise mal keine elektronischen Stampfbeats oder Gitarrensolis im Vordergrund standen. Einen Oscar bekamen sie zwar nicht dafür, doch mit viel Spaß an der Sache und dem nötigen Improvisationsvermögen spielten sich die sympathischen Akteure in die Herzen ihrer Zuschauer.

Applaus Applaus Applaus!

 Back to Reality:

Nachdem Thor seinen Hammer wieder in „Beschlag“ genommen hatte, schaltete das Bühnenprogramm im Heidnischen Dorf vorerst auf die Wiederholungsschleife. Hollands Neokelten „Omnia“ durften sich ein weiteres Mal versuchen und nachdem Sic und Luka sich gierig über die Wasserpfeife einer Besuchergruppe her gemacht hatten, suchte ich den Weg zurück zum Agra-Gelände.

Mit einem großen Sack schöner neuer Erinnerungen im Kopf lief es sich wesentlich unbeschwerter über die schotterigen Trampelpfade des Campingplatzes. Ohne Übertreibung kann ich behaupten, dass das heidnische Dorf wieder eines der Highlight des WGT war. Die wunderschöne Location, deren Atmosphäre kaum authentischer hätte sein können, wirkte erneut wie ein Ort vollkommener Losgelöstheit und gab einem als Besucher die Gelegenheit von der Hektik des Alltags abzuschalten und den Akku wieder aufzuladen. Einfach herrlich!

 :[S.I.T.D.]:

Von den kleinen Clubs direkt in die größten Blechscheunen der Welt! Ja, Liebe Freunde, die Jungs von :[S.I.T.D.]: leben, zumindest was ihre Bandaktivitäten angeht, zur Zeit auf ganz großem Fuß. Kaum ein Megafestival vergeht, auf dem sie nicht vertreten sind und vor stattlicher Kulisse Gassenhauer wie „Snuff Machinery“ oder „Laughingstock“ zu Protokoll geben, die heute jedes EBM-Baby bereits mit der Muttermilch aufsaugt.

Wie nicht anders zu erwarten, ging auch in der Agra Halle, (die mal wieder durch einen sehr mäßigen Live-Sound unangenehm auffiel), richtig die Luzie ab! Begleitet von ihrem zweiten Keyboarder Frank D´Angelo eröffneten Tom und Carsten mit den Treffern „Lebensborn“ und „Laughingstock“ und während ich noch überlegte, wozu man in einer geschlossenen Halle eigentlich eine Sonnenbrille braucht, entledigte sich Carsten flugs seines getönten Nasenfahrrades und stellte dem frisch erblickten Publikum eine höchst zufriedene Beurteilung aus. „Hey das sieht geil aus“ rief er der tosenden Menge zu und erntete damit zusätzlichen Beifall.

Nachdem :[S.I.T.D.]: beim letztjährigen M´era Luna Festival erstmals vor einem Massenpublikum aufgetreten waren und sich besonders Frontmann Carsten hinterher seine Gänsehaut mit Hilfe eines mehrstündigen operativen Eingriffes entfernen lassen musste, hatte ich das Gefühl, dass die Jungs heute ihren emotionalen Schutzwall eingeschaltet hatten und von geschätzten 5000 Elektrofreunden angefeuert (8000 gehen etwa rein in die Agra) einen Tick ruhiger agierten. Dabei durfte natürlich auch Tom wieder sein können am Mikro unter Beweis stellen, als Titel wie „Venom“ oder der Pzycho Bitch-Brecher „Wake up“ den Betonboden der Agra Halle erbeben ließen.

Damit war noch längst nicht Schluss! Ganz im Gegenteil: „Rose Coloured Skies“ durfte noch schnell sein Hitpotential unter Beweis stellen, bevor „Snuff Machinery“ den ultimativen Nachbrenner zündete. Zudem durften :[S.I.T.D.]: dem Wunsch ihrer Fans nachkommen und lieferten mit dem Depeche Mode-Klassiker „Never Let Me Down Again“ noch eine gelungenes Leckerli ab.

Auch wenn EBM Freunde der alten Schule sich bei Bands wie :[S.I.T.D.]: gerne mal ihr Lästermaul zerreißen und sich darüber beklagen, dass früher alles besser war, muss man klar sagen, dass die Jungs aus dem Pott zu einer neuen Generation von Electrobands gehören, die HIER und HEUTE ihr Ding durchzogen und zeitgemäße elektronische Tanzmusik ablieferten, von der 90% des Publikums in 10 Jahren auch einmal sagen werden: „Mensch, :[S.I.T.D.]: auf dem WGT, das waren damals echt cool!“

 Fixmer / Mc Carthy:

Als hätte man es bei der Planung des Programms bewusst so inszeniert, folgte nur wenig später der Generationenwechsel an der Elektrofront. Northern Lite mal außen vor gelassen, fand man plötzlich all jene in der ersten Reihe wieder, die eben noch lästernd in der Ecke gestanden hatten und sie warteten nun auf ihren Messias: DEN EBM-Shouter Schlechthin, Ex-Nitzer Ebb Mitglied, „Douglas McCarthy“ sowie seinen neuen musikalischen Partner, Trance-DJ Terence Fixmer. Bevor sich die Elektro-Walze (so der Pressetext des Duos) in Bewegung setzten konnte, mussten die Old-School Freunde einen weiteren Kulturschock hinnehmen: Niemand geringerer als VNV Nation Mastermind Ronan Harris, auch bekannt als Mister Futurepop himself, enterte die Bühne und übernahm als ausgewiesener Befürworter der Fixmerschen Sache in astreinem, akzentfreiem Deutsch die Ansage.

Während ich mich noch über die gute Aussprache des Herrn Harris wunderte (und später erfuhr dass er ja in Deutschland lebt), schlüpfte Terence Fixmer bereits hinter seinen Elektronikbaukasten. Hätte ich gewusst, was wenige Sekunden später in Agra Halle abgehen würde, ich hätte mich sicher nicht mitten ins Publikum gestellt! Denn kaum war Douglas McCarthy erschienen brannte übelst der Baum! Aus starr abwartender Haltung heraus explodierte die Stimmung im Bruchteil von Sekunden. Ein Orkan brandete auf und man bekam ein Gefühl wie im Bombenhagel, bei dem Grenadier Fixmer unentwegt seine Beats wie Mörsergranaten auf die Fans feuerte, während Drill Seargent McCarthy als congeniale Brüllsau den Einpeitscher vom Dienst gab und sein Publikum nach Belieben dominierte.

Dieser Maschinensturm stellte alles in den Schatten, was stimmungsmäßig bis dato auf dem WGT zu erleben war. Wie Spielzeugsoldaten.flogen Fans umher, tanzten schweißbedeckt um ihr Leben oder surften auf den Händen der Menge in Richtung Bühnengraben, während das Duo auf der Bühne sowohl Songs ihres neuen Albums „Between the Devil“ als auch einige Nummern aus Nitzer Ebb Zeiten darboten! 50 Minuten echte „Männermusik“ waren es, was Fixmer/McCarthy in der Agra Halle zelebrierten. „You want it? You Get it” and “nobody can tell me no!”. Definitiv ein weiterer Höhepunkt des WGT und man darf schon gespannt sein, wie sich das Duo im August beim M´era Luna verkaufen wird, wenn das Album erschienen ist!

 Funker Vogt:

Weitaus weniger ungestüm aber nicht minder herzlich, wurde die nächste Band des Abends empfangen, Funker Vogt. Nachdem das Luftsirenen-Intro der aktuellen Funker Show verklungen war ging es auch gleich richtig los. In bewährter Militärmontur enterten die Krieger ihre mit Bannern und allerlei Krimskrams bepflasterte Bühne und sorgten von Beginn an für angenehme Partylaune bei den Fans. Dabei erlaubte sich Fronter Jens Kästel heute einen kleinen Scherz und erschien zum Eröffnungstitel „Tragic Hero“ mit fescher Zipfelmütze im Orange-Schwarzen Funker-Style. Wieso allerdings Neu-Gitarrist Frank Schweigert mit einer Michael Myers Gedächtnis_Maske auftrat, erschloss sich mir nicht so ganz. Dafür fiel mir auf, dass der Funker-Rekrut seit seinem ersten Auftritt beim Dark Generations Festival anscheinend unter den militärischen Haarschneider geraten war und sich vom Rockerlook verabschiedet hatte.

Musikalisch boten Funker Vogt wieder mal einen souveränen Querschnitt ihres Schaffens. Mit Björn Bötchers Schlumpfenpower im Marschgepäck und der Präzision des Schmidtchen Schleicher Verschnitts Gerrit Thomas setzte es Hits wie „Final Thrill“, „Date of Expiration“ und „Maschine Zeit“, die dem Publikum ordentlich einheizten. Wie im Flug raste die Spielzeit voran und so konnte man es kaum glauben als Jens Kästel über den „s“pitzen „S“tein „s“tolpernd mit „History“ bereits das vorletzte „S“tück ankündigte. Den krönenden Abschluss der souveränen Darbietung markierte ein fast schon obligatorische „Gunman“. Mission erfüllt und das macht glücklich!

 Covenant:

Hmm, was schreibt man eigentlich über ein Konzert dass man im Grunde weder gesehen noch richtig gehört hat? Normalerweise nichts. Doch in diesem Falle ist mir der Einsatz der schwedischen Electro-Helden Covenant trotzdem eine Erwähnung wert. Die „Herren in den Anzügen“ wie sie von ihren Fans gerne liebevoll genannt werden, hatten sich getreu Ihres Rufes auch heute wieder für eine optisch reizvolle Show entschieden. Mit Leinwandprojektionen und farbigen Neonröhren am Bühnenrücken fuhren sie mächtig auf, um ihre Songs stimmungsvoll zu präsentieren. Dabei tat sich besonders Front“elch“ Eskil Simonsson einmal mehr als Sänger mit dem gewissen Etwas hervor, und veredelte mit markant-einfühlsamer Stimme die Kompositionen der Herren Montelius / Nachmanson. Nachdem was zuvor in der Agra mit Funker Vogt und Fixmer/McCarthy abgebrannt worden war, konnten Covenant jedoch kein neuerliches Stimmungshoch platzieren.

 Ich muss hier raus!

Leider hatte ich aufgrund des dichten Gedränges im Publikum auf Deutsch gesagt die Arschkarte gezogen und stand direkt an einem der großen Stahlpfeiler der Halle, weiteres Vordringen in Richtung Bühne unmöglich! Einige Minuten in dieser misslichen Lage verharrend beschlich mich daher ein zunehmend ungutes Gefühl. Die miese Luft und ein ziemlich verwaschener Sound in der Halle gaben mir dann nach 20 Minuten den Rest und so entschloss ich mich für heute die Segel zu streichen.

Somit endete der zweite Treffen-Tag in meinem Falle etwas verfrüht, doch im Ganzen betrachtet, durchaus zufriedenstellend. Naturbelassene Unterhaltung im Heidnischen Dorf, gepflegter Elektro in der Agra, da ging so einiges zwischen Torhaus D. und Halle 2 und so begab ich mich nach einem kräfteraubenden Tag zufrieden in die „halbwegs Waagerechte“ des Ritti Mobil Beifahrersitzes.

Kräftetankend für den morgigen Tag wünsche ich euch nun eine gute Nacht und freue mich, wenn ihr morgen wieder dabei seid!

Und hier gehts zur Tages-Ga”ll”erie!