Folge 41: 28.-31.05.2004 - 13. Wave Gotik Treffen, Leipzig (Teil 1/4)

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Hallo liebe Freunde und herzlich willkommen zu einer echten Jumbo-Ausgabe von Rittis Feierabend. Dieses Mal vom wohl bedeutendsten Gothicevent Europas, dem Wave Gotik Treffen in Leipzig.

Wie ihr sicher schon im Vorbericht gelesen habt, setzte Veranstalter InMove auch in diesem Jahr auf ein breit gefächertes Spektrum an Musikkonzerten und Rahmenveranstaltungen, die, über die gesamte Stadt Leipzig verteilt, für jeden Geschmack etwas bereit halten sollten. Vom Mittelalterspektakel über Fetischparties bis hin zu Lesungen und Kinovorführungen wurde über das Pfingstwochenende vieles geboten, wenn man die Ausdauer besaß die oftmals weiten Wege auf sich zu nehmen.

Ob das WGT 2004 wirklich ein Fest der Superlative oder passend zur Zahl 13 ein Drama in vier Akten war, will ich euch nun berichten!

 

 Teil 1 - Freitag 28.05.2004:

 Wave Gotik Treffen - Festivalspaß ohne Schikanen?

Eigentlich war es ja zu schön um wahr zu sein! Da schifft es den ganzen Mai über wie aus Eimern und kaum steht Pfingsten vor der Tür, da sammelt Petrus seine letzten Sonnenstrahlen ein und schickt sich pünktlich zum großen Fest in Richtung Erde. Was für ein Timing!

Als ich mich gegen etwa 11 Uhr mit meinem Ritti Mobil auf den Weg machte, war ich somit noch skeptisch ob das Wetter auch bis Leipzig noch halten würde. Doch als ich gut zwei ein halb Stunden später am Agra Gelände im Südosten der Stadt eintraf, ließ ich mich gerne eines besseren belehren. Strahlend blauer Himmel bei geschätzten 25 Grad bildeten den perfekten Rahmen für ein ganz besonderes Wochenende inmitten unzähliger schwarz gekleideter Gestalten.

Bevor der Spaß so richtig losgehen konnte, wollte zunächst der obligatorische Check-In absolviert werden, der in meinem Fall einen kaum zu überbietenden Symbolcharakter annahm:

In die Parkanlage hinter den Kassenhäuschen einbiegend, fiel mein Blick sofort auf den neckischen Slalomparcours vom vergangenen Jahr, an dessen Ende man sich gegen Einlösung einer CTS-Karte oder Bezählung von barer Münze eine der heiß begehrten Parkvignetten abholen und an die Innenseite der Windschutzscheibe pappen konnte. Da zur Mittagsstunde am Agra-Gelände noch kein großer Andrang herrschte, bzw. die meisten Besucher bereits am Vortag angereist waren, ließ sich die Security dazu hinreißen, vereinzelt eintrudelnde Gäste wie mich, direkt an den Gitterschikanen vorbei und zur Vignettenausgabe hin zu lotsen. Wenn der Rest des Wochendes nur halb so glatt laufen sollte, konnte es noch etwas großes werden!

Nachdem ich zwischenzeitlich den organisatorische Krimskrams, den eine Veranstaltung wie das WGT so mit sich führt erledigt hatte, galt es zu guter letzt noch die unabdingbare Obsorgekarte für Straßenbahn- und Zeltplatzbenutzung an einem der dafür vorgesehenen Ausgabecontainer einzulösen. Mit meinem CTS-Lappen in der Hand gesellte ich mich dazu an die nächstbeste Warteschlange und wartete darauf vom Personal abgefertigt zu werden. Letztere hatte jedoch eine kleine Schwierigkeit zu bewältigen: Wie jeder weiß, bekommt man als Käufer der Obsorgekarte nur ein spezielles Bändchen umgeschnürt, sondern erhält auch ein hübsches Büchlein mit dem Namens „Pfingstbote“, in dem sich neben einer (goldenen) Silberscheibe mit Titeln der teilnehmenden Künstler auch zahlreiche Informationen zur Veranstaltung selbst finden lassen. Aber genau dieses Buch war inzwischen vergriffen! Ein Motorschadens am Zulieferer-LKW hatte jegliche Nachschublieferung abreißen lassen, sodass die „werte Kundschaft“ zumindest für den Moment leer ausging, was sogleich mit Unverständnis und Kopfschütteln aufgenommen wurde.Eine vereinzelte junge Dame machte ihrem Ärger gleich richtig Luft und pampte die Jungs im Ausgabecontainer derbe an: „Könnt ihr dem Veranstalter mal sagen wat det´ für ´ne Scheiß Organisation hier is?“, maulte sie los und hinterließ zwei verknautscht mit den Achseln zuckende Herren, die dem Anfall der Lady nicht viel entgegen zu setzen hatten.

Nun kann ich als Außenstehender natürlich kaum beurteilen, was die Dame bis hierhin schon alles an unannehmlichkeiten erlebt hat, aber bei dieser Panne von schlechter Organisation zu sprechen lag in meinen Augen fernab der Realität. Schlechte Organisation wäre es erst dann gewesen, wenn die LKW-Panne nicht umgehend am nächsten morgen ausgebügelt worden wäre und die Besucher komplett ohne das Buch nach Hause hätten fahren müssen. Das war aber definitiv nicht der Fall! Stattdessen lag der Pfingstbote gemäß Informationsaushang am Container pünktlich am nächsten Morgen an allen Ausgabestellen bereit und konnte gegen Vorlage der Obsorgekarte problemlos in Empfang genommen werden!

So, und nun wird endlich gefeiert!

 Ashes You Leave:

Mittels einer netten Abkürzung war es mir erfreulicherweise möglich, die an der Bändchenausgabe vertrödelte Zeit wieder wett zu machen und pünktlich zu den ersten Klängen von Ashes You Leave vor der Parkbühne einzutrudeln. Begleitet von einem gehörigen Kribbeln der Vorfreude, schob ich mich postwendend durch das Gatter in Richtung Innenraum.

Nachdem „Neon Dream“ zuvor den musikalischen Reigen auf der Parkbühne eröffnet hatten, stand mit den Kroaten „Ashes You Leave“ eine hierzulande eher unbekannte Band auf den Brettern die die Welt bedeuten.

Vor typischer Kaffeekranzkulisse mit locker umherhockenden und stehenden Besuchern, gab sich die Siebenköpfige Truppe jedoch große Mühe ihre Songs zu präsentieren. Musikalisch auf dem Strom der gegenwärtigen Gothicmetalwelle á la Within Temptation und Co. schwimmende, gönnten sich die Kroaten dennoch den Luxus, sich durch kraftvolle, bisweilen sogar ruppige Arrangements und ihre ruhig aber bestimmt auftretende Sängerin Marina Zrilic vom Einerlei bekannter Massenware freizupaddeln. Darüber hinaus sorgte Violinistin Marta mit ihrem Spiel für weitere Farbtupf, während die Gitarren und Rhythmussektion von hinten heraus für ordentlich Druck sorgten.

In Anbetracht des höchst eisenhaltigen Tagesprogramms machte dies Ashes You Leave zu einer idealen Besetzung für den angebrochenen Nachmittag, die sich als angenehme Alternative zum üblichen Mainstreameinerlei empfahlen und auch ohne meterhohe Flammenpilze oder gestikulierte Effekthascherei überzeugen. Ein gelungener Auftakt, allemal!

 Elis:

Mit Elis wanderte der Finger auf der musikalischen Landkarte dann ein Stück weit in Richtung Westen. Die aus der Schweiz und Liechtenstein stammende Band durfte sich jetzt als nächste Beweisen.

Da ich Elis bereits im Frühjahr auf der Napalm Records Wintertournee erleben durfte, wo sie in der Celler CD-Kaserne vor katastrophaler Kulisse einen unfreiwilligen Übungsabend hinlegen mussten, war ich sehr froh, dass sich nun das weite Rund der Parkbühne ein gutes Stück füllte und ich nun endlich ein Konzert der Band in voller Blüte erleben durfte, ohne mich ständig fragen zu müssen: „Sag mal was machst du eigentlich hier?“.

Programmtechnisch hatte man im Vergleich zur Tour seitens Elis zunächst mal wenig geändert. Kaum hatte sich der Ansager verpieselt, stürmte die Truppe selbstbewusst auf die Bühne und legte mit dem Intro zu „For such a long Time“ erstmal einen kollektiven Begrüßungsmosher aufs Parkett. Was folgte, war absolut souverän vorgetragener Gothic-Metal, dem man nach wie vor speziell in der Gitarrenarbeit eine Verwandtschaft zu Alex Krulls Atrocity schwerlich absprechen konnte.

Neben bekannten Treffern, wie den Titelstücken des letzten Albums „Gods Silence“ und „Devils Temptation“, ließen sich die Liechtensteiner aber auch in ihre zukünftigen Karten schauen und deckten mit dem neuen Stück „Der Letzte Tag“ auf, dass sie auf ihrem kommenden Langeisen „Dark Clouds In A Perfect Sky“ den eingeschlagen Weg weiter verfolgen und zukünftig noch stärker auf metallische Elemente setzen werden. Mit dem ersten großen Hit „Elis“, welcher damals noch unter dem Bandnamen „Erben der Schöpfung“ erschien und „Do You Believe“ beschloss das Quintett die lockere Rockrunde mit einem Grossteil des Publikums auf ihrer Seite. Aber die Stille währte nicht lange.

Der Menge gelüstete es nach mehr und so wurde, für ein Festival wie das WGT völlig untypisch, dem Wunsch nach einer Zugabe überraschend Stattgegeben. Aus diesem Grunde ergriffen Sabine, Tom, Pete, Jürgen und Ersatzdrummer René wieder ihre Instrumente (bzw das Mikro) und gaben mit „Sleep & Death“ einen sehr programmatischen Abschlusstitel ihres ersten Albums zum Besten, der noch einmal für gute Stimmung sorgte, bevor dann, von einem herzlichen Applaus begleitet, endgültig der imaginäre Vorhang fiel.

 Von Stauenden und männlichen Klofrauen...:

Ach du Scheiße, Holland ist in Not! Oder sollte ich besser sagen Holland zu spät? Kaum waren die Umbauarbeiten auf der Bühne abgeschlossen, wurde klar warum Elis so generös eine Zugabe spielen durften: Sowohl After Forever als auch Epica waren nicht da...zumindest noch nicht! Irgendwo auf dem Weg zwischen der niederländischen Grenze und Leipzig musste der Tourtross in einen der berüchtigten Pfingststaus geraten sein, sodass nun der Ablauf an der Parkbühne kräftig durcheinander purzelte.

Eine gute Stunde lang war somit Funkstille auf der Parkbühne, was zwar nicht schön, aber an sich auch mal ganz angenehm sein kann. Besonders wenn einem die Pralle Sonne auf den Pelz scheint und direkt nebenan ein Biergarten mit herrlich duftenden Leckereien und schattigen Sitzplätzen lockt.

Der Versuchung widerstehend suchte ich mir alsdann ein Plätzchen im hinteren Teil der Parkbühne, von wo aus ich ein Spektakel ganz anderen Natur geboten bekam, DEM AUFTRITT DER „MÄNNLICHEN KLOFRAU!“:

Rein äußerlich wie eine Mischung aus Luigi Colani und Rudolf Mooshammer aussehend, hatte der lustige Herr mit dem weißen Kittel und der topmodischen Buntglasbrille echte Schießhundqualitäten in der Ausübung seiner Pflicht! Mit Argusaugen achtete er peinlich genau darauf, dass nicht ein einziger der zahlreichen Toilettennutzer ungeschröpft an ihm vorbei kam. Und wer es trotzdem versuchte hatte verspielt, bevor er nur einen Ton sagen konnte. Geld oder Leben, lautete die Devise und da wurde auch schon mal freundlich zugepackt, wenn einem Gast „die Sauberkeit kein kleines Dankeschön Wert“ war.

Allerdings hatte der „Klomann von Welt“ auch eine Gegenleistung zu bieten, die jede Münze wert war! Selbst schon eine Art Attraktion, hatte der Mann seinen Laden voll im Griff und koordinierte die Besucher zur optimalen Auslastung der ihm anvertrauten Kapazitäten zwischen Mädchen- und Jungenklo umher, sodass sich die Wartezeit auf ein Minimum verkürzte.

So banal es auch klingt, aber der Klomann hatte einen nicht zu verachtenden Unterhaltungswert! Ein echtes Original eben! Solche Leute braucht die Welt!

 After Forever:

Irgendwann geht zum Glück aber auch die längste Stunde vorüber und so konnte es um kurz vor 18 Uhr endlich mit After Forever weitergehen, die reichlich abgehetzt auf die Bühne stürmten. Getreu dem Motto „Wer zu spät kommt den bestraft das Leben“ mussten die Holländer jedoch mit den Konsequenzen leben und einen empfindlichen Teil ihrer Spielzeit abgeben. Das Programm etwa um die Hälfte gekürzt, entschuldigte sich Sängerin Floor Jansen für die Unannehmlichkeit und versprach augenzwinkernd eine „Great Show“ nach dem Motto, „nicht üppig aber unheimlich auf dem Punkt!“

Und das konnte man durchaus so unterschreiben! Den Fokus auf die aktuelle Scheibe „Invisible Circles“ richtend, steckten After Forever alles an Energie in die verbleibenden 25 Minuten, was sie nur aufbringen konnten. Dabei tat sich eben jene Floor Jansen als waschechte Metal-Walküre hervor, der man sowohl stimmlich als auch vor allem in Punkto Bühnenpower problemlos auf eine Stufe mit Nightwish-Elfe Tarja Turunen stellen darf, wobei die Holländerin von der Stimmfärbung her weniger opernlastig auftrumpfte, als ihre finnische Kollegin und stattdessen einen modernen Musicalstil bevorzugte.

Es brannte förmlich die Luft, da auch die Band ein paar richtig heiße Kohlen auflegten und Gitarrist Bas Maas mit derben Gruntvocals noch mal ein kräftiges Schüppchen Härte draufpackte. Um so bitterer, dass neben “Beautiful Emptiness“, „Between Love & Fire“ und  „Sins of Idealism“ nur noch zwei älteren Stücke gespielt werden konnten, bevor der große Zapfenstreich eingeläutet wurde. Wenigstens ließen sich die Holländer den Spaß nicht verderben und glänzten abschließend mit einer kleinen Pipi Langstumpf-Einlage, die die zahlreichen Fans ein klein wenig versöhnten.

 Epica:

Kaum waren die einen Holländer von der Bildfläche verschwunden, begannen schon die Vorbereitungen für den nächsten Tulpenexpress aus unserem kleinen sympathischen Nachbarland, Epica!

Die junge, vor etwa 2 Jahren um ex-„After Forever“-Gitarrist Mark Jansen formierte, Band gehört spätestens seit Ihrem Debutalbum „The Phantom Agony“ zu den ganz großen Hoffnungsträgern in Sachen Gothicmetal. Immerhin haben die 5 Herren mit der erst 19jährigen Simone Simons eine ebenso blutjunge wie talentierte Sängerin an Bord, von der man sicher in den kommenden Jahren noch so einiges hören wird. Heute allerdings war erstmal WAVE GOTIK TIME und damit die Zeit reif in Leipzig einen kernigen Auftritt hinzulegen.

Vom Veranstalter mit einer ordentlichen Spielposition bedacht, machten die Niederländer auch gleich richtig Dampf. Kurzes Intro vorneweg und schon konnte die Reise losgehen. Wer nun aber einen x-beliebigen Nightwish-Klon oder einen Within Temptation Abklatsch erwartete, lag hier nicht ganz richtig. In der Tat offenbarte das musikalische Konzept der Holländer gewisse Ähnlichkeiten mit o.g. Bands, doch bei genauerem hinhören offenbarte die „epische“ Auslage einzelner Songs eben so deutliche parallelen zu Christofer Johnssons „Therion“.

Die Summe dieser Fragmente schob sich somit zu einem sehr eigenen Bild zusammen, in dem sowohl genügend Spielraum für Simone Simons Mezzosopran war, als auch für energische Gruntvocals von Gitarrist Mark Jansen und „epische“ Choräle vom Band. Verpackt wurde dieses Paket mit einer schmissige musikalischen Hülle, welche jedoch nicht ganz mit der Power der zuvor gesehenen After Forever mithalten konnten. Stattdessen übte sich Mark in den Songpausen des öfteren als Metalprolet und versuchte mit hirnlosen Anfeuerungsrufen das keinesfalls regungslose Publikum aus der Reserve zu locken.

Etwas gewöhnungsbedürftig war auch die auffallend tiefe Stimmlage von Frau Simons, die passend zur Feuerroten Mähne bisweilen an die Opernausgabe von Milva erinnerte, was man gerade im Gothic Metal-Bereich nicht alle Tage zu hören bekommt. Verglichen mit Power-Granate Floor von eben, zog Simone klar den Kürzeren und man hätte sich ab und an gewünscht, dass ihre stimmliche Variabilität mit ihrem rasant-aufreizenden Brustfrei-Outfit hätte mithalten können.

Musikalisch gab es neben der kürzlich veröffentlichten EP-Nummer „Cry for the Moon“ nahezu das komplette Debütalbum „The Phantom Agony“ auf die Ohren, welches neben vielen ruhigen Momenten auch nicht vergaß das Gaspedal kräftig durchzutreten. Vor allem der 8minüter „Facade of Reality“ bestach hier durch zahlreiche Tempowechsel bei gleichzeitiger Verfolgung eines roten Fadens.

Somit wurde aus dem rund 40minütige Konzert eine hochsolide Veranstaltung, der jedoch im Abschluss das gewisse Etwas fehlte. Schlecht war das nicht, was die bemühten Holländer hier boten, aber sicher noch ausbaufähig. Und by the way Mark, die „Gottickfreunde Leipzig“ grüßen dich selbstverständlich zurück! ;)

 Haggard:

Die nächste und damit bereits vorletzte Band auf der Parkbühne, darf man getrost in die Kategorie „musikalisches Schwergewicht“ einsortieren. Immerhin rollte der Tourtross der Münchener Klassik-Metaller „Haggard“ gleich mit 16 Musikern an, die sich nun einer nach dem Anderen auf der Stage häuslich einrichteten. Eine Pauke hier, ein Cello dort, dann noch die Flöte und schließlich ein flüsternder Asis Nasseri, der mit verschmitzt Lächelnd sein Mikrofon testete und scherzhaft zu Protokoll gab: „Hey da war ein falscher Ton dabei!“

Wie dem auch sei: Haggard gehören definitiv zu der Sorte von Bands, die, wenn man die Chance erhält sie zu sehen, man keinesfalls verpassen darf, denn anders als normale Kapellen sind die Bajuwaren nur äußerst selten unterwegs. Aus diesem Grund waren nun auch viele Besucher des Wave-Gotik-Treffens dem Lockruf des Ohrengoldes gefolgt und bescherten Asis Nasserie und seinen Begleitern eine proppevolle Kulisse, vor der sie nun eine gelungene Mischung aus alten und neuen Songs abfeuerten.

Dabei begann das Konzert zunächst mit einem Klassiker aus dem Haggard Repertoire: „The Day As Heaven Wept“. Und während sich manch Fan schon wunderte, wann denn endlich etwas vom neuen Album „Eppur Si Muove“ zu hören sein würde, lenkten die Musiker bereits die Aufmerksamkeit auf das Corpus Delicti. Für den Titeltrack der neuen Scheibe, deren Thema sich übrigens rund um das Leben des Galileo Galilei dreht, gab es sogleich Szenenapplaus und so es dauerte nicht lange, bis der Staunfaktor einer beschwingten Rockshowatmosphäre wich und in den ersten Reihen munter drauflos gemosht wurde.

In diese Lockerheit hinein platzierten Haggard ein ausgewogene Mischung aus harten und Zarten Klängen, in der „Of a might divine“ und das viel umjubelte „Herr Mannelig“ das neue Album repräsentierten und mit „Awaking the Centuries“ wohl DER Haggard-Song schlechthin zu Gehör gebracht wurde. Prädikat, ganz große Klasse und ein Musikerlebnis der besonderen Natur!

Zwischendrin wurde das Konzert der Münchener jedoch immer wieder unterbrochen. Auf der Suche nach einer gewissen Tina, die heute Geburtstag hatte, schaute sich Asis Nasseri mehrfach um, bis er sie endlich erspäht hatte und bat die junge Dame mit den Worten „Also eigentlich machen wir sowas ja nicht“ in Richtung Bühnengraben. Eher unfreiwillig dorthin gezerndelt, sah sie sich sogleich ihrem Freund gegenüber, der seinerseits mit einem waschechten Heiratsantrag aufwartete `schnief´, wie schööön.

Doch damit noch nicht genug der Romantik, denn jetzt schlug auch die Stunde des ultimativen oft kopierten aber zurecht selten erreichten „Wikingers“! Moment mal, des Wikingers?

Ihr fragt euch sicher jetzt „Wer zur Hölle ist der Wikinger?“

Nun, erinnert ihr euch noch an das vergangene Jahr? Dort war es ein lustiger Herr mit Wikingerhelm, der höchstpersönlich mittels Wurf seines Helmes auf die Agra-Bühne seine Ehrerbietung von Gathering-Sängerin Anneke van Giersbergen einforderte. Und genau jener lustige Geselle war auch heute wieder am Werk, als es darum ging, irgendwie aus der Masse heraus aufzufallen: Mit einem beherzen Kampfschrei machte er den Haggard-Sänger auf sich aufmerksam und schmiss seinen frisch restaurierten Helm wieder auf die Bühne.

Asis fand die Aktion allerdings nicht ganz so witzig, wie seine holländische Kollegin im Vorjahr und gab dem Unhold Kontra: „Ey wenn du willst können wir dich ja als Galionsfigur hier oben hinstellen“, bot Asis an und schon war Ruhe im Karton ;) Der Helm indes wurde sofort zum Opfer der Pressefotografen, die sich wie ein Schwarm Aasgeier auf das plastikgeformte Kleinod stürzten. (Auweia Jungs, was für eine Sensation!). Später fand man dann den Helm auf dem Becken des Schlagzeuges thronend wieder, wo er dann doch noch die besagter Galionsfigur abgab.

Mit einer knappen Dreiviertelstunde war die Spielzeit der Münchener natürlich viel zu knapp bemessen. Dennoch bewiesen Asis Nasseri und die 15 Herren und Damen, dass Klassik alles andere als langweilig und spröde sein muss, sondern, gewürzt durch gezielt eingestreute Metalelemente zu einem genreübergreifenden Kunstwerk reifen kann. Ganz große Klasse! Nächstes Mal bitte mehr davon!

 My Dying Bride:

Mit dem Abwandern von Haggard, wanderte gleichermaßen das Ende meines musikalischen Horizonts von der Parkbühne. My Dying Bride aus Groß Britannien durften sich nun als letzte Band des Tages in die untergehende Sonne stellen und mit ihrem „Epischen Doom Metal“ für den ultimativen Trauerkloß auf der Parkbühne sorgen. Da ich mit Ausnahme des aktuellen Albums „Songs of Darkness Words of Light“ kaum mit dem Material der Band vertraut war, fehlte mir leider ein wenig der Bezug zu dem was die 5 Herren dort oben auf dem betongegossenen Geläuf veranstalteten.

Angefangen beim Depri-Schluchzer „The weakness of my flesh“, wo Sänger Aaron mit seinen narbenverzierten Händen gekonnt auf ein höchst weinerliches Timbre setzte, gab es auch allerhand Material aus früheren Schaffensperioden, wobei neben überwiegend zähflüssiger Doom-Sosse auch zwei-dreimal die Keule ausgepackt wurde und  begleitet von düster grimmigen Lichteeffekten, mächtig die Post abging. Exemplarisch hierfür war unter anderem der Titel „Catherine Blake“ vom neuen Album, welcher es ein hohes Maß an Dynamik in sich trug und gleichermaßen dem intensiven Zuhörer als auch dem Matteschwinger Rechnung trug.

Da mir, wie bereits erwähnt, der richtige Bezug zu der Band fehlte fiel es mir schwer ihre Darbietung richtig zu genießen, geschweige denn zu würdigen. Von den Reaktionen des Publikums war allerdings abzulesen, dass es sich um ein gutes Konzert der Briten gehandelt haben muss. Insofern machten die enttäuschten Worte des Sängers, dass man dann noch gerne 4 Stücke gespielt hätte aber nur noch 2 darf“ durchaus Sinn.

Wenngleich die eingekehrte Dunkelheit dem Konzert mit fortlaufender Dauer einen zunehmend beeindruckenderen Touch verlieh, hatte ich noch eine Verabredung mit einem gewissen Mitternachtsspezial in der Agra-Halle. Da der Zeitplan immernoch leicht überzogen war, machte ich mich nun langsam auf den Weg in Richtung Ausgang, um noch rechtzeitig die nächste Straßenbahn zu erwischen.

 Eine Bahnfahrt, die ist lustig…:

...besonders, wenn zu später Stunde ein vollbesetzter Zug mit gutgelaunten Grufties quer durch Leipzig gondelt und ein paar angetrunken Punks mit bestem „Zeckenrock aus der Hauptstadt“ für ausgelassene Stimmung unter den Fahrgästen sorgen. Was für eine Gaudi!

Nach etwa 20 Minuten Fahrt wieder auf der Agra angekommen, galt mein Interesse zunächst dem Treffen Café. Letztes Jahr als Hort für Fans und flügellahme Freizeitjournalisten geschätzt standen auch heute wieder eine große Sitzgelegenheit mit festen sanitären Anlagen angeboten, sowie angesagte Alcopop-Getränke und Cocktails aller Art im Angebot. Entsprechend betriebsam gestaltete sich das Treiben in der guten Stube. Überall saßen schwarze und weniger schwarze Gestalten umher, die sich inmitten von Tischen und Stühlen ein wenig Entspannung gönnten.

Auch „Der Graf“, seines Zeichens Sänger und Komponist der Band „Unheilig“ war hier anzutreffen und zeigte sich in einem kurzen Gespräch tief beeindruckt von der Atmosphäre des Wave Gotik Treffens. Wenngleich ein bisschen maulig ob der vielen Lauferei, schilderte er umso ergriffener die Ereignisse, welche sich einige Stunden zuvor im Werk II abgespielt haben müssen, wo er vor rappelvoller Bude die Fans bis in die letzten Reihen zum Mitmachen bewegen konnte.

Vom zufriedenen Grafen aus ging führte mich der Weg dann zum ersten Mal in diesem Jahr in die berühmt-berüchtigte Agra-Halle:
Berüchtigt deshalb, weil die mit Abstand größte Location des Treffens durchaus seine Vor- und Nachteile mit sich brachte. Vorteil: Es gehen eine Menge Leute rein. Nachteil: wenn diese Leute erstmal drin sind, gibt es nahezu kein durchkommen mehr, ganz zu schweigen von einem ernstzunehmenden Blick auf die Bühne. Und letzteres war nun der Fall:

Wie auf der Parkbühne war auch der Agra-Zeitplan völlig aus den Fugen geraten und so geriet ich trotz optimalen Timings noch mitten hinein in die letzten Züge von „Suicide Commando“, die mit brachialem Electrogeballer dem aus allen nähten platzenden Messe-Bau gehörig einheizten. Der schiere Anblick der anwesenden Menschenmasse verursachte bei mir eine Gänsehaut. Da soll noch mal einer sagen „Gothic gibt’s nicht!“ WOW!

Suicide Commando gaben indes ihrem Publikum noch gute 20 Minuten lang Saures und verabschiedeten sich dann mit dem Hooligan-Gejohle von Scooters „Maria I Like It Loud“ (döp döp döp dödö döp döp döp...naja ihr wisst schon!). Danach lichteten sich die Reihen ebenso rasch wie merklich, sodass nun der Vorstoß in Richtung Bühne ohne weiteres vollzogen werden konnte. In akzeptabler Position angekommen, wurde ich dann Zeuge eines regen Publikumswechsels.

 Camouflage:

Wo eben noch die Jungs und Madels von der EBM-Front standen gesellten sich nun immer mehr Synthipop liebende Besucher in die Agra, um einer Band die Ehre zu erweisen, welche nicht nur seit Mitte der 80er Jahre aktiv ist, sondern auch das Kunststück schaffte in musikalisch erfolgloseren Zeiten nicht aufzustecken, sondern weiter für die eigene Sache zu kämpfen. Die Rede ist von Camouflage, jenen deutschen Megasellern, die uns mit „The Great Commandment“ und „Love Is A Shield“ 2 Songs geschenkt haben, die bis heute zum Standardprogramm jeder gut sortierten Radiostation gehören.

Nachdem bereits ihr Auftritt beim letztjährigen M´era Luna Festival als voller Erfolg zu werten war und sich das Trio aus dem Schwabenländle wunderbar in der Gothicszene eingelebt hatte, wurden Heiko Maile, Marcus Meyn und Oliver Kreyssig an diesem Abend für ihr Stehvermögen mehr als belohnt. Denn obwohl die Zeiger der Uhr langsam auf 1 Uhr vorrückten, herrschte ein regelrechter Massenandrang in der Agra-Halle, wo nun jeder Musikfan der noch nicht in seiner Koje oder besoffen in der Ecke lag, den alten Kämpen die Ehre erweisen wollte.

Begleitet von ihrem Schlagzeuger Jochen, dem später noch eine besondere Rolle zuteil werden sollte, enterten die „Helden der Tarnung“ irgendwann um Ultimo die Bühne. Dabei versprühten die Musiker von Beginn an eine unglaublich positive Stimmung in der Halle, die sich dank des flotten Openers „I follow behind“ rasch auf das Publikum übertrug. Legér in eine Leipzig-Shirt gehüllt (und mit kurzfristig organisierter Ersatz-Jeans) legte Marcus am Mikro ein Höllentempo vor und rockte dazu wie ein Derwisch über die Bühne. Es war zu spüren, dass Camouflage richtig Bock hatten hier heute zu spielen und es mit voller Wucht am Publikum ausließen, dass im Gegensatz zu ihnen selbst bereits einen kompletten Festivaltag lang von diversen Bands geteert und gefedert wurden (Uff...wat für´n Stress!).

Begleitet von einer hübsch anzusehenden Lichtanlage nebst Monitorwand im Zauberwürfelstil, präsentierten Camouflage ein Potpourri aus aktuellen Hits und alten Kracher, wobei weder das allererste Camouflage Stück „That Smiling Face“, noch die Comebacksingle „Me & You“ fehlten. Zwischendrin gab es dann immer wieder kurze Ansagen von Marcus, wie etwa den Verweis auf einen  „Disput mit einem Fan während der Autogrammstunde“. Dort hatte offenbar ein Fan die Gelegenheit ergriffen und sich darüber muckiert, dass der Song „Thief“ in zwei verschiedenen Versionen veröffentlicht wurde. Meyn nutzte daher das vor ihm stehende Forum, um die Verhältnisse wiedergerade zu rücken. So erklärte er, dass man mit der Maxi-Version des Songs nicht zufrieden gewesen war und die eigentliche Fassung nun auf dem auf dem Album zu finden ist. Damit war das Thema dann gegessen und so nahm das Publikum das Corpus Delicti dankend an.

Ebenso durfte man sich darüber freuen, dass auch Synthimann und Drumpadspezi Oliver über ein veritables Organ verfügt, welches er sowohl zu „You Turn“ im Duett mit Marcus, als auch bei „Here She Comes“ komplett im Alleingang einsetzen durfte. Sehr schön!

Nachdem das zwischenzeitlich abgefeuerte „The Great Commandment“ stürmisch gefeiert wurde, durfte sich auch Schlagzeuger Jochen am Ende des Konzertes, im Ruhm sonnen. „Jeden Abend gibt er für uns alles“ erklärte Marcus und fügte an: „Und das passiert wenn Jochen alles gibt!“. Was folgte war ein flottes Trommelintro, bevor der Clubhit „I Can´t Feel You“ vom aktuellen Album „Sensor“ das Tor für den letzten Song des Abends frei sprengte, „Suspicious Love“.

Vollkommen vom Camouflage-Virus infiziert, gelüstete es dem Publikum nach mehr. Und wo blieb eigentlich „Love is A Shield?“ Kein Problem...es folgte auf dem Fuße!
Zwar waren die meisten Leute schon etwas platt, doch für den alten Kracher wurden noch einmal die letzten Kraftreserven mobilisiert. Megaparty nachts um 2, Respekt Leipzig! Danach war dann allerdings die Luft ziemlich raus und so ging die für meine Begriffe mäßige Coverversion von Human Leagues „Being Boiled“ ziemlich unter.

Rückblickend betrachtet, traf auf Camouflage an diesem Abend das gleiche Phänomen zu, das in der Vergangenheit schon bei anderen elektronisch orientierten Bands feststellen war: Live treten sie mehr Arsch! Egal ob nun De/Vision, Unheilig oder In Strict Confidence, der Einsatz von Live-Elementen weiß immer wieder das bestehende Konzept noch zu verbessern. Zudem empfand ich die Stimmung im Vergleich zum M´era Luna Konzert wesentlich authentischer, da die Lichtverhältnisse passten und somit die spezielle Atmosphäre aufgebaut werden konnte, die das aktuelle Camouflage-Album ausmacht! In sofern hielt dieses Mitternachtsspezial was es versprach und war somit ein würdiger Abschluss für den ersten Tag des Wave Gotik Treffens 2004.

Gute Nacht und bis Morgen!

Und hier gehts zur Tages-Ga”ll”erie!