04.06.2006 - 15. Wave Gotik Treffen (Leipzig) - Teil 3

Teil 1: 02.06.2006     Teil 2: 03.06.2006     Teil 3: 04.06.2006   Teil 4: 05.06.2006

 Sonntag - Der Tapetenwechsel!

Für einen Pfingstsonntag reichlich untypisch beginnt der dritte Akt des Wave Gotik Treffens 2006 so wie der letzte endete: Ein Wolkenverhangener Himmel projizierte sein graues Licht auf den Agra Treffenpark und sorgte für frische Temperaturen bei leichtem Durchzug. Obwohl die grosse Sintflut bislang ausgeblieben war, machte Petrus keine Anstalten die Versprechen des Wetterberichtes einzulösen, nach denen es heute und morgen merklich freundlicher werden sollte. Aber was nicht ist kann ja noch werden und so kramte ich nun meinen Amboss hervor, um den einen neuerlichen Schlachtplan zu schmieden. Mit der Parkbühne und Oomph als dortigem Headliner war das heutige Ausflugsziel schnell zementiert, sodass ich mich irgendwann um die Mittagszeit herum aus meiner nächtlichen Ruheschale quälte, um alsbald fusslahmen Schrittes gen Straßenbahn zu schlurfen.

 Schwarzer Helge, erleuchte mir...

Auf dem Weg zur Bahn blieb ich dann ein zweites Mal beim ausserirdischen Blackmetalfürsten Noctulus hängen. Der umtriebige Helmritter hatte inzwischen umgesiedelt und seinen schlagzeugähnlichen Ramschladen direkt vor die Futterluke des Campingplatzes gepflanzt, von wo aus er nun eine weitere Kostprobe seines (Un-)Vermögens gab.

Im Gegensatz zu gestern sprach der Meister heute schon in ganzen Sätzen und hielt mit hahnebüchenen Geschichten scharfzüngig über seine Umwelt Gericht. Geholfen wurde der Helge Schneider des schwarzen Humors dabei von einem schwankenden Gefährten in Militärmontur, dem um diese Uhrzeit das halten seiner (Iran-)Fahne noch leicht zu überfordern schien. Irgendwie musste ich auch bei diesem drolligen Recken direkt an Helge Schneider und dessen herrlich dilettantischen Kompagnon "Körschgen" denken, der oft genug für unfreiwillige Lacher in dessen Filmen sorgte

Hier in Leipzig sprach allerdings nur einer und der hieß Noctulus! Bereist die erste Weisheit des Tages hatte es in sich: "Alle Techno Discotheken werden ab sofort zu Blackmetal Discotheken umgebaut." Keinen Schimmer woher er diese Information hatte aber es klang vernünftig. "Ich sag euch, die Amis haben euch beschissen", fuhr der schräge Prophet fort, "Ich, Noctulus, war der erste Mann im All, deswegen hab ich auch damals die Challenger mit meinem Kampfraumschiff abgeschossen", weil Strafe muss sein...oder so. Und es kam noch dicker: Noctulus hatte Schulden! Da er vor Jahren den Bundestag in die Luft gesprengt hatte (aha??) und seither einen Berg von 666000 Euro Schulden mit sich herum schleppt (ei wo isser denn), verhandelte er momentan mit der Bundesregierung über die Einführung eines neuen Polizeihelms.

Wie der Zufall so spielt, hatte er auch gleich einen erdstrahlenresistenten Prototyp des Helms dabei, den er für 6000 Euro an Mann und Merkel bringen wollte. Um seine Verhandlungsposition zu stärken enthob der Meister die Bundeskanzlerin offiziell ihres Amtes und übernahm mit sofortiger Wirkung sämtliche Vollmachten. Als frischgebackener Selfmade-Millionär mit eigener Haushaltskasse konnte er sich fortan wieder alles leisten und trat in erste Verhandlungen mit dem Zuhälter der rasierten östereichischen Königin. Es geht doch nichts über ein Happy End!

Seinen Zuschauern war die komödiantische Einlage anschließend ebenfalls den ein oder anderen Taler Wert und es stellte sich heraus, dass der "Künstler" nach dem Auftritt sogar für Gespräche unter 4 Augen zugänglich war, was angesichts der polarisierenden Wirkung des Sandalenpredigers doch ein wenig überraschte. Und es sollte auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Noctulus an diesem Wochenende für Aufsehen sorgte! Fortsetzung garantiert...

 Timekiller

Da bis zur Abfahrt in Richtung Parkbühne noch einiges an Zeit übrig blieb, nahm ich anschließend einen kleinen Ortswechsel vor. Glücklicherweise bieten sich einem nirgendwo sonst ähnlich mannigfaltige Möglichkeiten seine Zeit totzuschlagen wie auf dem WGT. Also machte ich mich ein weiteres Mal auf den Weg in die Messehalle um die Stände ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen, was mich postwenden zum Fundstück des Jahres führte: der Maske von Darth Vader! Insofern man eine Affinität zur dunklen Seite der Macht hatte, konnte man sich damit für die nächste Star Wars Convention eindecken, womit mal wieder der Beweis erbracht wäre, dass selbst das WGT nicht von der Lucas´schen Marketingmacht verschont bleibt!

Flugs verstrichene 30 Minuten danach schlug der Gong zum Aufbruch. Hinein in einen jungfräulichen Straßenbahnwaggon, rumpelte der Treffen-Express etwa 20 Minuten von Station zu Station bis zur Haltestelle Hohe Straße. Nachdem mir dieser Ausstieg bereits vor zwei Jahren als naheliegendster Punkt zur Parkbühne sympathisch geworden war, kletterte ich auch jetzt wieder vorzeitig aus dem Gefährt, um ca. 5 Minuten Fußmarsch einzusparen.

Auf dem Weg zum Ziel glich Leipzig unterdessen einer Geisterstadt. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen und selbst passierende Autos kreuzten nur höchst sporadisch meinen Weg. Doch der Schein trügte. Während Rest-Leipzig sich am Pfingstsonntag dösend in die Couchkurve hängte, liefen die Besucher des WGT schon wieder zur Hochform auf. Gerade 15 Uhr schlug die Stunde, da sich vor dem Eingang der Parkbühne eine überraschend zahlreiche Menschenmenge zusammengefunden hatte und auf irgend etwas wartete. Was das nur war?

 Agonoize

Nachdem auch an der Parkbühne heute zunächst elektronisch gefeiert werden sollte, war es an diesem kühlen Sonntagnachmittag an den Berliner Evilanten von Agonoize diesen Laden kräftig aufzumischen. Dabei schien Ihnen der eigene Ruf als rabiate Schepperbudencombo um Meilen vorausgeeilt, da sich die Parkbühne, für einen Openeract höchst ungewöhnlich, fast gänzlich mit Menschen füllte. Irgendetwas musste also dran sein, am Phänomen Agonoize und ein kurzer Blick zur Bühne brachte erste Aufklärung:

Das Geläuf mit einer Plastikplane abgedeckt, prangte in der Mitte der Bühne ein gut lesbares Schild mit der Aufschrift: "Warning there is Blood on the floor". Dazu hingen an den Boxentürmen weitere Schilder auf denen Herzpatienten und Menschen mit schwachem Magen darauf hingewiesen wurden, dass bestimmte Showelemente eventuell zu unerwünschten Nebeneffekten führen könnten (aha?!?). Zu guter letzt entledigte sich die Band dann auch noch jeglicher Haftung für vollgesaute Klamotten, was einen veritablen Schmadderfaktor in Aussicht stellte.

Da der Zeitplan durch den krankheitsbedingten Ausfall von Decoded Feedback heute etwas aus den Fugen geraten war und wie beim Schlachter der Basar in richtung "darfs ein bisschen mehr sein" eröffnet wurde, nahm man es mit den Auftrittszeiten heute nicht ganz so strikt. Was zunächst einmal dazu führte dass Agonoize etwas später als geplant die Bühne bestiegen. Doch das Warten sollte sich gelohnt haben!

Vom Fleck weg erzeugten die Berliner einen unglaublichen Sturm und entfesselten das Publikum binnen eines Songs. Stampfende EBM-Beats mit Tanzfaktor 1000 walzten wie eine Dampframme aus den Boxen der Parkbühne, als wollten Agonoize mit ihrem Sound das Eingangsgebäude wegsprengen um auch den Rest der Welt an ihrem Schauspiel teilhaben zu lassen.

"To Paradise" eröffnete den rasanten Reigen und offenbarte wohin die Reise ging: "Mexikanisches Höllenfeuer traf deutsche Industrie", an einem geheimen Ort auf zwischen Hocico und [:SITD:]. Während Johnson und Senger wie zwei bleichgesichtige Zombiharlekine an den Maschinen wirbelten. Wurde Frontmann Chris seiner Position als Quarterback der Bühne gerecht und drückte der Show seinen bluttriefenden Stempel auf. Neben seinem leicht ledierten Äußeren, dass entfernt an einen fehlgeschlagenen Besuch beim Onkel Doktor erinnerte, begleitete er seine Verzerrten Shouts mit ausschweifenden Gesten, boshaften Blicken am rande der unzurechnungsfähigkeit und gewissen "Aktionen", die vermutlich so manchem Moralapostel die Farbe aus dem Gesicht geschlagen hätten.

Getreu dem Devise: "Mit ´ner 30cm Spritze geht immernoch mehr rein als daneben" rammte sich der Gute den Kolben in Arm und ließ die roten Säfte sprießen. Überflüssig zu erwähnen, dass bereits entsprechende Bloodpacks bereit lagen, die sich Chaos-Chris wie rohe Eier an den Kopf schlug und die Schmiere spritzen und schmaddern ließ, dass es eine helle Freude war. Und hätte sich der Fronter nicht gerade eine Metallschelle um den Oberschenkel geschnürt, wäre sein anschließender Einsatz der Motorflex sicher zu einem einschneidenden Erlebnis für Jung und Alt geworden.

Wie "angedroht" strotzte der Auftritt von Agonoize zwar nur so vor Knalleffekten, verfehlte jedoch seine musikalische Wirkung nicht. Songs wie "Nekropolis" oder "Sacrifice" machten Leipzig böse Feuer unterm Arsch und brachten hier eine Party an den Start, wie man sie sich gestern durchaus bei dem ein oder anderen Konzert gewünscht hätte. Trotz ihrer Openerposition waren Agonoize drauf und dran den Headlinern die Show zu stehlen und markierten das vorweggenommene Highlight, welches die nachfolgenden Bands nur schwer würden toppen können. Das Publikum indes tat sein Übriges dazu, da man ihm anmerkte, dass es speziell für Agonoize zur Parkbühne gepilgert war.

 XP8

So euphorisiert sich das Publikum von Agonoize zeigte, so gelangweilt trat es den Jungs von XP8 entgegen, denen im Anschluss an diese brachialelektronische Pilgerfahrt nicht viel mehr übrig blieb, als sich vor schmählicher Kulisse in guter Mine zum bösen Spiel zu üben und zu versuchen, wenigstens bei den verbliebenen Publikümmern einigermaßen zu landen.

Musikalisch schraubten die Italiener den Härtegrad an der Parkbühne merklich zurück. Brachiale Wucht wich tragenden Melodien und mit dem cleanen, wenngleich nicht immer treffsicheren Gesang, hätten sich XP8 in einem DJ-Set zwischen Icon of Coil und Colony 5 sicher wohl gefühlt. Hier an der Parkbühne sah das ganze jedoch etwas anders aus: Nach dem feisten Brummer vorneweg, wirkte der XP8 Auftritt in etwa so grau und farblos, wie das Jackett von Sänger Paul Toohill, der sich selbst noch über die obskuren Farbkleckse auf seiner Bühne wunderte.

Im Vordergrund des Konzertes stand hierbei das aktuelle Album der Römer "[Hrs:Min:Sec]", dass sie mit "Dreamt of Blue" und "Cuttin´N´Drinkin" tanzbar und eingängig vorstellten. Allerdings vermochte der Funke kaum überzuspringen. Ob es an dem kalten Durchzug lag, der die Parkbühne frösteln ließ, oder doch daran, dass die Zuschauer noch beeindruckt von den berliner Krawallgeiern waren sei nun dahingestellt. Fakt war jedoch, dass selbst das interessante Nitzer Ebb Cover "Let your Body Learn", welches im übrigen einem gemeinsamen Tributeprojekt von XP8 und Icon of Coil Sebastian Komor entliehen war, dem Publikum nicht wirklich auf die Sprünge half. Irgend etwas fehlte den Römern bei ihrem Gig hier und es gelang ihnen nicht herauszufinden WAS.

 Lola Angst

Wenn sich die nachfolgende Band über eines nicht beschweren konnte, dann über mangelndes Aufsehen. Mit ihrer originalen Kirchenorgel, welche auf den Namen "Lola" hört, schlugen die Berliner allein schon intrumentalisch dem Faß den Boden aus. Ein schneeweißes Ungetüm, gekoppelt an eine monströse Pyrobatterie mit maximal 8 Meter Feuerkraft, deren Einsatz jedoch kurz vor dem Auftritt untersagt wurde. Dazu kamen zwei Orgelpfeifen namens Schirner und Goldmann, denen die Kastration ihrer Show partout nicht in den Schädel wollte Laut pöbelnd ließen sie auf der Bühne ihren Dampf ab und schossen sich auf die örtliche Feuerwehr ein. Welche Beschimpfungen da im Einzelnen über die Ladentheke gingen und wen sich die beiden Provokateure noch so alles vor die Flinte holten ("Scheiß Bullen") sei jetzt mal dahingestellt. Wer dort war und es miterlebt hat, hat sicher seine eigene Meinung zu dem Thema, was man an den gemischten Reaktionen des Publikums ablesen konnte. Während die einen fröhlich ins Hetzkonzert einstimmten, wußten die anderen nicht so recht, was sie davon halten und wie darauf reagieren sollten. Mir jedenfalls gingen die Kommentare aus Richtung Bühne spätestens nach der dritten Wiedholung tierisch auf den Zeiger und ich fragte mich irgendwann: "sind die so bescheuert oder einfach nur besoffen?". Ein Statement hierzu befindet (oder befand) sich auf der offiziellen Bandpage www.lola-angst.com.

Dabei war das ganze Balley-Hoo im Grunde nichts mehr als viel Lärm um nichts. Denn auch ohne Pyroshow gehörte das Konzert von Lola Angst zu den außergewöhnlichsten des WGT: Während Alex Goldmann mit Händen und Füßen seine Lola traktierte und abwechselnd mit dem Fachmann fürs Elektronische, Rainer Schirner (ex-Blind Passengers), ins Gesangshorn stieß, sorgten zwei russische Ballerinas links und rechts der Lola für optische Liebreize. Und auch künstlerisch war das Ganze stilvoll inszeniert. Wann bekommt man schonmal ein waschechtes Orgelstück introhalber serviert, bei dem man den Organisten nur als Silouette in einer schwarzen Kutte erkennt? Wohl eher selten!

Umso seltsamer, um nicht zu sagen eigenwilliger, gestaltete sich demnach das eigentliche Konzert, mit dem die Berliner den Beweis erbrachten, dass man auch mit einem altmodischen Instrument, neumodische klingen kann, vor allem wenn man das gute Stück mit ein wenig moderner Technik tuned und mit allerlei Soundeffekten zur großen Orgelstunde mit And One Verarsche ausholt. Kreativ ging es zu, keine Frage und so griffen Lola Angst in die prall gefüllte Trickkiste ihres Debutalbums "The Council Of Love", um das wiedererstarkte Publikum zu beharken. Mit von der Partie waren "Children Of The Dark", "In Space", "The Council Of Love", "She´s A Dark DJ", um nur einige zu nennen.

Am Ende der knapp 45 Minuten blieb damit zweierlei im Gedächtnis haften: zum einen die Qualitäten von Lola Angst als unkonventionellem Liveact, zum anderen die derben Provokationen, bei denen einem das Lachen sprichwörtlich im Halse stecken blieb. Irgendwie konnte ich hier nicht reinen Gewissens Beifall spenden, als sich die Akteure von der Bühne verzogen. Wenigstens verabschiedeten sich Goldmann und Schirner mit Anstand und einem finalen Satz, den wohl jeder hier unterschreiben konnte: "Viel Spaß noch mit Oomph. Sie sind die wahren Rammsteine!" Over and Out!

 Metallspürhunde

In freudiger Erwartung der Wolfsburger Rammsteinerfinder musste sich das Publikum jedoch noch ein Weilchen Gedulden, da zuvor noch die Metallspürhunde und Cephalgy auf dem Programm standen.

Im Frühjahr frisch mit ihrem aktuellen Album "Amokmensch" durchgestartet überraschten dann auch die Schweizer "Metallspürhunde" zunächst mit unkonventioneller Instrumentierung, als Keyboarderin Marion Altwegg die Show mit einem "Theremin" eröffnete. Das Theremin (kurz zur Erläuterung), im Jahre 1919 von dem Russen Leon Theremin erfunden, war das erste vollständig funktionsfähige elektronische Musikinstrument der Welt. Angesteuert durch zwei Antennen reagiert es auf Umgebungsbewegungen und erzeugt damit in Höhe und Lautstärke variable Töne. Das Theremin kam vor unter anderem durch den französichen Synthesizer Star "Jean Michel Jarre" zu Weltruhm, der im Rahmen seiner Konzerte vor hunderttausenden von Zuschauern Soli auf einem Theremin spielte. In Fall der Metallspürhunde reichte es zwar nicht ganz zu einem Solo, doch das dreiminütige Intro zu "Amokherz" ist auch eine Erwähnung wert!

Nach diesem kleinen musikgeschichtlichen Exkurs zog dann allerdings Oberspürhund Michel Frasse die Blicke des Publikums auf sich: In eine schwarze Gaga-Jacke geknebelt, legte der Frontmann los wie die sprichwörtliche Feuerwehr. Wie ein entfernter Verwandter von Mozart und Stefan Ackermann anmutend, pumpte er sich am Publikum auf, entledigte sich nach kurzem Kampf seines klamm geschnürten Leibchens, stürzte er auf seine keyboardende Kollegin zu, verpasste ihr einen Galeriereifen Zungenkuss und rückte anschließend mit einem beherzten Schritt aufs Gatter dem Publikum auf die Pelle.

Für Action war hier in jedem Fall gesorgt und auch musikalisch ging angenehm die Post ab: Electropop und Gothicmetal, vereint in einem tanzbar cluborientierten Gewandt, sorgten für bewegungsfördernde Maßnahmen, die zwar keine neuen Räder erfand aber mit Hits wie "Blut und Spiele", "-196°C" und "Obszöne neue Welt" kurzweilige Unterhaltung garantierten, bei der man sich nie sicher sein konnte, was dieser Wirbelwind auf der Bühne als nächstes im Schilde führte. Da behaupte noch mal einer Schweizer wären lahmarschig ;)

 Willkommen im Osten!

Quizfrage: woran erkennt man einen Biergarten im Osten? Na klar, die Musik spielt hinter der Mauer!
(Muahahaha Kalauer)

Um mir ein wenig Energie für Oomph aufzusparen, zog ich es vor, den Auftritt von Cephalgy passieren zu lassen und es mir ein wenig im Biergarten gemütlich zu machen. Da sich das Wetter entgegen der gestrigen Hoffung noch immer kaum gebessert hatte, war das mit der gemütlickeit allerdings so eine Sache. Zwischen Händereiben und Zähneklappern war ich nur froh, dass immerhin nicht regnete, hatten Oomph bei ihrem letzten Gastspiel an der Parkbühne die zweite Sintflut heraufbeschworen.

Mit einem halben Ohr jenseits der undurchsichtigen Wand, stellte ich fest, dass mit Cephalgy längst nicht so viel gebacken war, wie nötig gewesen wäre, um mich, ähnlich wie Insekt 2004, hinter dem Ofen hervor zu locken. Vielmehr verzapfte die Stimme aus dem Off dort drüben derart platte "Leipzig Ihr seid toll, Leipzeig Ihr seid geil"-Sprüche dass ich ohne das passende Bild dazu spontan dachte Ronan Harris hätte als Autoscootermoderator unseres Dorfschützenfestes angeheuert: "Eine neue Runde, wer will noch mal, wer hat noch nicht..."

 Oomph!

Wie gut, dass es ab und zu Bands gibt auf die einfach Verlass ist! Nicht nur gehören Oomph zu den Veteranen der Szene, auch ihre Ausdauer ist schlicht bemerkenswert: Während andere bereits seit Jahren mit ihrer Idee von Musik erfolgreich die Welt erobern, zogen Dero, Flux und Crap stets ihr Ding nach eigenem Gusto durch, bis endlich, Anfang 2004, das zauberwort Gefunden ward und Deutschland seine "Augen öffnete". Nachdem die Wolfsburger im März mit "GlaubeLiebeTod" das berüchtigte "Album danach" ohne größere Imageblessuren, dafür aber mit einem handfesten TV-Skandal, unters Volk brachten und den Mai über auf Deutschlandtournee Erfolge feierten, setzten sie heute dort den Hebel an, wo Agonoize schon früh am Nachmittag aufgehört hatten: sie rockten das Publikum!

Nachdem mir der Weg vom Biergarten zur Bühn einem Malefiz-Spiel gleich mit unzähligen Menschen verstellt war und zwischen Ausgangstor und letzter Gesäßreihe kaum mehr ein Löschblatt passte, kämpfte ich mich Stückweise in Richtung Bühne vor. Gerade rechzeitig angekommen stürzten sich Oomph auch schon Kopfüber ins Abenteuer Parkbühne, um die ultimative Sause des Tages zu initiieren.

Dabei waren es weder technische Gimmicks noch Effekte, die die Eruption auslösten, sondern einzig die Energie der Band, welche sich ungefiltert auf das Publikum übertrug. Wie eine Wand stemmten sich die 5 auf der Bühne der Masse entgegen und warfen ihre ganze Routine und Lockerheit der frisch absolvierten Tour in die Waagschale. Jepp, man merkte dass die Jungs sich an einem Strang zogen. "Träumst Du" machte den Anfang, dann "Unsere Rettung", "Keine Luft mehr!" und ehe man sich versach, paddelte Dero schon über "Das Meer der 1000 Hände", während Flux und Crap sich mit Bleifüssen auf das musikalische Gaspedal stemmten.

In punkto Energie und Durchschlagskraft führte an Oomph heute wahrlich kein weg vorbei. Doch auch Humor kam nicht zu kurz: Auf wundersame Weise hatte Petrus heute ein Einsehen gehabt und wenige Minuten vor Konzertbeginn das Wolkengrau beiseite geschoben. Das war Dero natürlich eine Erwähnung wert, weshalb er mit Rückblick auf die letzte Regenschlacht feixte: "Jetzt könnte es langsam mal anfangen zu regnen!". Auf derlei "Fieber"-senkende Mittel konnte Leipzig jedoch getrost verzichten. Stattdessen lauschte es lieber mit der "Schlinge" um den Hals seinem Lied vom Tod, während Dero sich darüber amüsierte, wer denn da "auf seine Bühne menstruiert hatte".

Trotz Stimmung am Siedepunkt gossen die Wolfsburger noch weiteres Öl ins Feuer. Trotz "Sex hat keine Macht" als Hänger zwischendrin, verwechselten Oomph ihren Auftritt nicht mit einer Promoveranstaltung für ihr neues Album, sondern legten mit "Gekreuzigt" und "Niemand" auch genügend ältere Kohlen auf, die zusammen mit dem "letzten Streichholz" und "Mein Schatz" den Hexenkessel Parkbühne brodeln ließen.

Letzten Endes lieferten Oomph mit ihrem Auftritt mal wieder den besten Beleg dafür, dass man mit langjähriger Bühnenerfahrung und ehrlichem Schweiß mindestens ebenso mitreißend rocken kann wie mit drei Tonnen Pyros, bei denen der Funke am Ende vielleicht noch auf die Haare in auf die erste Reihe überspringt. Und dann waren da ja noch diese beiden Dinger: "Augen auf" und "Gott ist ein Popstar". Brav für den Schluß aufgespart, ließen es die Wolfsburger damit noch einmal richtig den Wachhund von der Kette, bevor sie sich vom elektrisierten Publikum verabschiedeten und den Tag an der Parkbühne somit furios beschlossen.

 Die Jagd nach den verlorenen Sekunden oder "Mensch ärger Dich nicht!"

Gerade noch mit dem Oomph-Publikum um die Wette gefeiert, überkam mich beim Verlassen der Parkbühne die glorreiche Idee, mir zur Feier des Tages ein Faulheitstaxi zur Straßenbahnhalte zu kapern. Das man bei so einem Unterfangen auch schonmal Pech haben kann, zeigte das nachfolgende Beispiel, als ich ausgerechnet an eine Dame geriet, die Leipzig wohl selbst nur aus dem Reiseprospekt kannte. Eine kurze Wegbeschreibung brachte zwar Klarheit, doch manchmal will Bequemlichkeit einfach bestraft werden.

Den halben Weg zum Ziel zurückgelegt verperrte ein blödes Durchfahrtsverbot jegliche Weiterfahrt und so musste die Tour wohl oder übel per Pedes beenden. Also hetzte ich los um die nächste Straßenbahn noch zu erwischen. Doch ich hatte ein zweites mal Pech. Rptzfrech fuhr mir der stählerne Freund vor der Nase weg. Dabei waren die Waggons der just entschwundenen Bahn doch nahezu leer gewesen. So´n Scheiß! Und es sollte noch dicker kommen!

Proppenvoll bis an die Türkanete, war bei der nächsten Runde an ein Einsteigen gar nicht erst zu denken und so lief es wie beim Mensch arger Dich nicht, ich durfte eine Runde aussetzen! Ein sorgenvoller Blick auf die Uhr bestätigte zudem, dass es knapp werden könnte mit dem Deine Lakaien Konzert in der Agra Halle. Und dann kam was kommen musste: Gleich zwei weitere Bahnen, in denen sich schon die Fahrgäste stapelten, machten Halt. Erst Sardinenbüchse nummer vier hatte noch ein Plätzchen frei, womit jedoch das Lakaien Konzert für mich endgültig gestorben war. Und alles nur wegen ein paar Sekunden! Grrrr.....

 La Agra de la Noche

Eine knappe Stunde später als geplant trudelte ich wieder am Agra Gelände ein. Da es nun keinen Sinn mehr machte sich noch in das Gewühl der Agra Halle zu wurschteln und Alex Veljanov beim Auftragen seiner Moshammertolle zu bewundern, streifte ich ein wenig durch die klare Nacht und vertrieb mir die Zeit bis zum J-Goth Mitternachtsspecial "Moi Dix Mois" mit einem dampfend gefüllten Teller vom Nudelmann.

Da es draußen auf der Terrasse inzwischen übelst zugig geworden war, verlagerte ich meinen Aufenthalt vorsichtshalber ins heimelige Foyer, was sich umgehend als Glücksgriff entpuppte, da mir sonst vermutlich noch der schrulligste Musikact des Wochenendes durch die Lappen gegangen wäre.

 Blackmeddel Vibes From Outerspace

Igendwo aus dem hinteren Drittel des Foyers drang undefinierbarer Lärm an mein Ohr, der vorher noch nicht da war. Von der Neugierde gepackt, pirschte ich mich voran und entdeckte zunächst "das nackte Einhorn", das mir inmitten einer obskuren Menschentraube in der linken hinteren Hallenecke den Blick auf des Rätsels Lösung versperrte. Einen Schritt zur Seite setzend offenbarte dann aber den Schrecken in seiner ganzen Grausamkeit: Noctulus hatte seinen Drohungen von gestern Taten folgen lassen und nach stundenlangen Übungen eine musikalische Ader in sich entdeckt. Mit der E-Gitarre im Anschlag und Ritterhelm auf dem Kopf, schrammelte er sich jetzt einen von der Palme und krächzte undefinierbare Laute in das Mikro, welches ihm von einem menschlichen Stativ quasi vollanalog unter die Nase gehalten wurde. Außerdem hatte Noctulus Gesellschaft von einem jungen Mann am Schlagzeug bekommen, der ebenfalls kräftig mitjammte und seinen Rhythmus in die fasziniert dreinschauende Menge peitschte.

Was Noctulus im einzelnen zum Besten gab, wird vermutlich auf ewig sein Gehemimnis bleiben, doch allein die Idee sich zu später Stunde hinzusetzen und vor versammelter Mannschaft eine extraportion Lärm zu produzieren war so bescheuert, dass sie schon wieder cool kam. Natürlich verzapfte Noctulus überwiegend irgendwelchen Blödsinn und es wird immer Leute geben, die mit seinem Humor nichts anfangen können aber genau das machte ihn für alle Anderen so unterhaltsam, weshalb der neuerliche Mut zur Hässlichkeit mit anschließendem Applaus, CD-Verkäufen und Autogrammwünschen belohnt wurde. Wo Oomph eben großes Kino geboten hatten, betrieb Noctulus hier Furzkino. Aber wenn ich euch etwas verraten darf, auch das hat seinen Charme!

 Mois Dix Mois

Den musikalischen Schlusspunkt des heutigen Tages markierten nun, wie angekündigt, Moi Dix Mois. Allerdings sollte man sich von dem französisch klingenden Namen nicht täuschen lassen. Handelte es sich "Moi Dix Mois" doch um das Visual Kei-Soloprojekt von Mana (ex-Malice Mizer), einem waschechten Japaner.

Um das Namensrätsel dieser rätselhaften Formation einmal aufzulösen: Moi Dix Mois zu deutsch: "Ich zehn Monate", beinhaltet gleich vier Bedeutungen: Moi=Ich, steht für das Soloprojekt Manas, dix=10 teilt sich in 1=der Anfang, 0=die Ewigkeit und "dix Mois" in der Kombination steht für die japanische Rechnung des Schangerschaftszyklus. (Quelle: Wikipedia) somit kann man den Namen wiefolgt interpretieren: Ich bin der Schöpfer, Ich bin der Anfang, Ich bin die Ewigkeit, Ich bin das Leben.

Sicherlich fragt Ihr euch, warum ich Euch das alles erzähle. Nun, der Hund liegt darin begraben, dass der Umbau mittlerweile seit einer dreiviertel Stunde vor sich hin zuckelt und mir gerade nichts bessere einfällt. Nebenbei sei übrigens noch angemerkt, dass Mana auf der Bühne ausschließlich mit Gastmusikern arbeitet, die seine musikalischen Visionen widergeben.

Als nach endlosem Warten der Spuk doch begann, erlebte selbst das Kuriositätenerprobte Leipzig mit Moi Dix Mois ein neues Extrem bizarrer Darstellungskunst. In dichte Nebelschwaden gehüllt, erstrahlte am Bühnenrücken das kreisrunde Logo der Japaner, während 5 schrill kostümierte Gestalten die Bühne enterten und eine hektische Mixtur aus Metal und Klassik in ihre Instrumente holzten, die einem das Gefühl vermittelte hier liefe gerade eine Langspielplatte Rückwärts auf 45 Umdrehungen.

Leider blieb mir nicht ausreichend Zeit um diesen vogelwilden Auftritt genauer in Augenschein zu nehmen, da für Fotographen nur ein einziger Song freigegeben wurde und das Bad in der Menge aufgrund der dicht gedrängten Meschentraube kaum mehr möglich war. Somit blieb nur noch der Rückzug ins Freie und damit in ein unbefriedigendes Ende des dritten Treffen-Tages.

 Blick zurück nach vorn!

Gemessen an den beiden Vortagen, die reibungslos verlaufen waren, hatte ich heute irgendwie mit Zitronen gehandelt. Nach dem furiosen Auftakt von Agonoize, die aus ihrer Opener-Rolle heraus alles abräumten dessen sie habhaft werden konnte und dem strammen Oomph-Finish an der Parkbühne, waren die Sahnestücke schnell ausgemacht, da sich Lola Angst trotz tollem Konzert lieber um Kopf und Kragen pöbelten und XP8 im Vergleich zum Rest nur mit Wasser kochten. Mit dem verpassten Lakaien-Konzert war für mich der vorläufige Tiefpunkt erreicht und so wirkte es nur allzu bezeichnend, dass ausgerechnet Laiendarsteller Noctulus das flaue Ende des Tages vor dem völligen Absturz rettete und mit amüsantem "Blackmeddel-Rabatz" aus der Versenkung zog. Die Japaner hingegen enttäuschten zwar nicht fachlich, doch mit schlappen 5 Minuten im Nebeldickicht belohnt zu werden und im Grunde von dem Konzert nichts mitzubekommen fand ich nach der endlosen Warterei schon ziemlich happig.

Mit dem wärmenden Gedanken daran, dass morgen allles besser wird, die Sonne scheint und noch ein paar schöne Schmankerln auf dem Programm stehen würden, rollte ich mich sodann ins Deckerl ein und weinte mich in den Schlaf einer eisig kalten Nacht.

Bis morgen!

Fortsetzung auf - SEITE 4 -

 

---> FOTOS VOM WAVE GOTIK TREFFEN <---