|
02.06.2006 - 15. Wave Gotik Treffen (Leipzig) - Teil 1
Teil 1: 02.06.2006 Teil 2: 03.06.2006 Teil 3: 04.06.2006 Teil 4: 05.06.2006
Hallo liebe Freunde und willkommen zur großen WGT-Sonderausgabe von Rittis Feierabend! Wie ihr euch unschwer denken könnten erwarten euch in den folgenden 4 Tagesberichten zahlreiche Eindrücke und Erlebnisse des Wave Gotik Treffens in Leipzig, die euch, insofern ihr nicht selbst dabei gewesen seid, einen Eindruck von vom diesjährigen Treffen vermitteln sollen.
Prolog
Das Wave Gotik Treffen, welches in diesem Jahr bereits zum 15. Mal in Leipzig stattfand, lockte auch Pfingsten 2006 wieder mit einer Vielzahl an Attraktionen in die sächsische Kulturstadt. Da Tradition bekanntermassen verpflichtet, sahen es die Veranstalter des WGT als Ohre Pflicht an, das 15jährige bestehen des Treffens mit einem entsprechenden Jubiläumsball zu adeln, welcher bereits am Vorabend des 02.Juni im Leipziger Volkspalast über die Bühne gehen sollte.
Da der durchschnittliche Zeltplatzbewohner gewohntermaßen bereits am Donnerstagabend sein Quartier auf dem Agra Gelände im Süden Leipzigs zu beziehen pflegt und sich mit Heringstechen und Pavillionbau beschäftigt, bot der Jubiläumsball ein willkommenes Bonbon zur Einstimmung auf das eigentliche Treffen, mit Kurzauftritten verschiedenster Künstler, wie Alexander Veljanov, Micha Rhein, Sven Friedrich oder Combichrist" Andy LaPleagua, die jeweils Stücke der niederländischen Band "Pink Turns Blue" aufführten, die ebenfalls im Rahmen des WGT bereits ihr 25jahriges Bestehen feierten.
Obwohl ich dem Ball nicht selber beiwohnen konnte, war in den folgenden Tagen aus verschiedenen Quellen zu hören, dass es sich um einen sehr unterhaltsamen Abend gehandelt haben muss, der vom Publikum sehr gut und vor allem zahlreich angenommen wurde. Mit dem restaurierten Volkspalast, so hörte ich, wäre zudem eine tolle neue Location im Rahmen des WGT hinzugekommen, wo im Verlauf des Wochenendes auch noch einige Konzerte gastieren sollten.
Bitte einsteigen und Türen schließen...
Die Taschen in das Ritti Mobil verfrachtet, begann meine WGT-Reise erst am Freitag gegen halb Zwölf Uhr mittags. Kurz vor High Noon den heimischen Hof verlassend freute ich mich bei bestem Sommerwetter und gefühlten 20 Grad auf eines jener Wochenenden, nach denen man völlig verstrahlt die Heimfahrt antritt und Tage braucht um sich wieder in der Realität zurechtzufinden. Nicht umsonst markiert das WGT nun schon seit vielen Jahren seinen ganz besonderen eigenen Eckpfeiler im Veranstaltungskalender eines jeden Sommers und bietet traditionell zum Pfingstfest ein derart beispielloses Angebot an Live-Musik, Lesungen, schwarzhumorigem Kabarett und Mittelaltermärkten. Ein Angebot in dem sich zuweilen die exotischsten Formen künstlerischen Darstellungsfähigkeit wiederfinden und das große Spektrum zwischen schwarzer Kunst und populärer Unterhaltung auch Nuancen berücksichtigt.
Nachdem die Attraktionen über die komplette Stadt verteilt sind, bleibt es jedem selbst überlassen die vier Tage nach seinem persönlichen Gusto zu gestalten, ganz ohne die Zwänge eines eng gesteckten Veranstaltungsgeländes. Gothics in freier Wildbahn, sozusagen, all over the place, bei dem der Spruch "Warning, strange people crossing!" selten so viel Wahrheit beinhaltete wie hier.
Während sich in der Leipziger Innenstadt inzwischen wohl die ersten Fußball- Touristen aus Überübermorgenland über die seltsame Kleiderordnung der Leipziger an diesem Wochenende gewundert haben dürften, donnerte ich mit Volldampf die A14 in Richtung Leipzig-City hinunter, um möglichst bald dem schwarzbunten Treiben beiwohnen zu können. Ohne lästige Baustellen und sonstiges spielverderbendes Gedöns, wie Pfingststaus auf der Autobahn oder Verfransen im Stadtverkehr fand ich heute auf dem direkten Weg zum Agra Gelände.
Innerlich den längsten Teil der Strecke ruhig geblieben, spürte ich wenige Kilometer vor dem Ziel, wie allmählich das Treffen-Fieber in mir aufstieg. Langsam aber stetig erhöhte sich der Adrenalinspiegel und spätestens als ich an der Auffahrt zur Bornaischen Straße die erste Handvoll "Strange People" in Richtung Geldautomat streifen sah, hatte es mich endgültig gepackt:
Jetzt nur noch raus aus dem Auto und nichts wie rein ins schwarze Vergnügnen! Doch halt, nicht so schnell! Bevor die Realität um mich herum versinken konnte, wartete noch der sicherheitsmuskuläre Unbedenklichkeitscheck, sowie der obligatorisch-organisatorische Kleinkram, wobei der Ablauf des Prozederes dieses Mal höchst wundersame Blüten trieb:
Ohne Turban nimmt dich keiner mehr ernst!
Die Parkvignette bereits montiert, mit dem Sicherheitsdaumen nach oben, hätte ich eigentlich nichts weiter zu tun brauchen, als kurz mal den Asphaltschlauch Richtung Parkwiese herunter zu dröhnern und meine Reisschüssel ordnungsgemäss abzustellen. Aber nö! Als lauffaule Socke von Welt durfte ich auf Anfrage beim "Torwächter" kurz ins Slalomgesteck der Anfahrt vorstossen und mit einen kurzen Zwischenstop am Eingang mein Eintrittsbändchen abholen. So weit so gut!
Weshalb die beiden östrogenbetriebenen Parkwächterinas jedoch auf dem Weg zurück durch eben jenes Tor, dass ich zuvor schon passiert hatte mein Auto filzen wollten, enzieht sich irgendwie meiner Logik. Eben noch ein harmloses Vehikel, jetzt schon Staatsfeind Nummer 1? Merkwürdig! Aber sei´s drum, spielen wir einfach mal mit: Also Hebel gezogen, Kofferraum auf und nach einem kurzer Blick in den war die Angelegenheit geklärt: keine gefährlichen Güter an Bord? Schade! Doch so einfach kamen mir die beiden nicht davon: "Die Handfeuerwaffen hab ich vorne unter dem Sitz" begann ich die beiden aufzuziehen. Aber nix da: "Bitte weiter fahren" lautete das trockene Urteil und bewies mal wieder, dass Autorenterrorist Christian von Aster mit seiner These recht hatte, dass dich "Ohne Turban heute keiner mehr ernst nimmt". Ein gutes es hatte die Aktion natürlich: ich durfte meine Kalashnikov behalten und machte mich schnellstmöglich aus dem Staub. Wer weiß wozu man den Prügel nicht nochmal braucht ;)
Nachdem ich den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt und die restlichen Formalitäten hinter mich gebracht hatte, machte ich mich gegen 15 Uhr erstmals auf den Weg zum Agra Parkgelände. Bilder von vergangenen Treffen schossen mir durch den Kopf und die typische WGT-Atmosphäre begann zu wirken. Verkaufsstände und Zeltplätze säumten den Weg ins Herz des Wave Gotik Treffens und überall tummelten sich bereits die Besucher bei ihren letzten Vorbereitungen für den Tag, während die Welt, wie ich sie kannte, sich allmählich um mich herum schwarz färbte.
Die Lemminge von Leipzig
Hatte ich inzwischen den größten Teil der Vorbereitungen bereits hinter mich gebracht, stand nun noch die Einlösung der Obsorgekarte an. Doch im Gegensatz zu 2004 wo man noch Probleme bei der Beschaffung der Pfingstboten gehabt hatte und ich eine knappe Stunde in der Schlange stand, sollte der Vorgang heute absolut reibungslos über die Bühne gehen und somit mal der Kundschaft die Gelegenheit zu geben, sich zum anständig zum Horst zu machen.
Drolligerweise ließ der Fauxpas nicht lange auf sich warten, der belegte, dass auch Gothics psychologischen Phänomenen, wie Rudelzwang und Hang zum Einreihen in einer Menschenschlange Anwendung finden. So kam es dann auch, wie es kommen musste: Irgendwo an einem nicht allzufernen Zeltplatz in einer nicht unbekannten sächsischen Stadt gesellten sich zahlreich schwarzgekleideten Gestalten in eine Schlange, die gar keine sein wollte. Wie die Lemminge reihte man sich als menschliche Perlenschnur die Straße entlang, bis ein verblüfft dreinschauender Ordner fragte; "Warum steht ihr hier eigentlich an?". "Ömm, jaa, öh, Obsorgekarte?! Bändchen?!" Erklärungsnot! Das Sprechen in ganzen Sätzen Glückssache, erfuhr die Situation ihre prompte Aufklärung: "Obsorgebänder? Die gibts da hinten auf dem anderen Zeltplatz. Nicht hier vorne! Da drüben ist auch alles frei!". Autsch! Und schon dackelte die Karawane los wie die Lemminge, in der Hoffnung auf einen kleinen Fetzen Stoff. Irgendwie drollig!
Café Agra
Mein nächster Anlaufpunkt an diesem noch jungen Freitag sollte das Agra Café sein. Eine kurze Lagepeilung durch das Foyer des "Vestibüls", wie es laut Beschilderung so schön heißt, offenbarte dabei freudige Kunde: Eines der größten Probleme des WGTs waren schon immer dessen begrenzte Sitzgelegenheiten. Vor allem auf dem weiträumigen Agra-Gelände reichten die wenigen Bänke auf der Eingangsterrasse selten aus, um bei diesem viertägigen Mammutevent, für körperliche Entlastung zu sorgen.
Daher hatte man nun das einst weitläufige Foyer mit zusätzlichen Stühlen und Bierbänken ausgestatte und somit neben dem eigentlichen Café im Hinteren Teil des Komplexes eine weitere schattenspendenede Erholungsoase geschaffen, die zu mehr im Stande war, als das Auftanken des Alkoholpegels zu ermöglichen.
Da das Treffen gerade erst begonnen hatte bot sich im Foyer, als auch im Café selber eine recht überschaubare Szenerie. Der überwiegende Teil herumstreunender Besucher schmiedete Schlachtpläne, verweilte kurzzeitig im Schatten, wanderte gerade ab in richtung Einkaufsmeile oder gönnte sich zur Abwechslung anstatt einer Dixi-Tonne mal ein ordentliches Klosett, während pflichtbewußte Menschnen wie ich mit einem Packen Flyer in der Hand die zahllreichen Tische bepflasterten.
Die skandinavische Sexfalle
Um 15:30 machte ich mich dann auf den Weg zu dem Exklusivum des Wave Gotik Treffens, der städtischen Strassenbahn. Wie in den vergangenen Jahren markierten die elektrisch betriebenen Bollerwagen der LVB den wichtigsten Eckpfeiler des treffenspezifischen Transitsystems, welcher der Nabelgleich die kostengünstigste Verbindung von Location zu Location darstellte.
Einen flotten Schuh in Richtung Ein-/Ausgang setzend unternahm ich nun den fatalen Versuch, mich der Station in Richtung Werk II zu nähern. Doch so weit kam ich erst gar nicht. Stattdessen wurde ich auf offener Straße sexuell belästigt! Skandal! Also ehrlich, meine lieben schwedischen Freunde, es tut mir leid wenn es bei euch Zuhause kein vernünftiges Bier gibt und eine Pulle Blubberwasser 12 Mark 50 kostet (oder wie viel ist das in Kronen?)! Aber müsst ihr euch deswegen gleich dermaßen die Kante geben, dass Euch nachmittags um halb Vier nichts besseres einfällt als harmlosen Treffentouristen Euren Pillermann vorzuführen?! Reißt euch mal am Riemen Jungs, das kann ja wohl nicht angehen!
"Entschuldigen ´se mal, wo ist denn hier...?"
Mit knapper Not der skandinavischen Sexfalle entronnen, schleppt ich mich mit letzter Kraft durch das Haupttor, wo ich nur wenige Meter vor dem Eingang mit New Wave Night Chefmechaniker Jörg Werhahn samt Begleitung bereits das erste bekannte Gesicht aus Hannover antraf. Nach ein paar gewechselten Worten über den weiteren Tagesplan und der Erkenntnis dass die Welt vor allem auf dem WGT ein totale Dorf ist, setzte ich auf die andere Straßenseite über, um die herannahende Bahn zu erwischen.
Die anschließende Fahrt mit der Linie 16 führte auf direktem Wege zum Connewitzer Kreutz, wo sich eine der bekanntesten Konzertlocations Leipzigs, das Werk II, befand. Nachdem "das Werk" bislang noch nicht Teil meiner WGT-Aktivitäten gewesen war, tappte ich nach dem Ausstieg auch prompt in den obligatorischen Fremdlings-Fettnapf: Orientierungslos umhertastend, landete ich als nicht-Leipziger "Ahnungslosi" an einem nahe gelegenen Bändchencontainer und fragte mal flugs nach dem Weg. "Joah also des Werk Zwee, des is gleisch doar drüben" sächselte es mir vom Personal entgegen und schon fiel mein Blick auf das riesenhafte Eingangsschild, welches schräg gegenüber der Straßenbahnstation trotz blindenkompatibler Letterierung vergeblich um meine Aufmerksamkeit gebuhlt hatte. Jaajaa, man wird langsam alt!
Expeditionen ins Werkreich
Mittlerweile standen die Zeiger der Uhr auf kurz nach Vier und wenn alles normal gelaufen wäre, hätte jetzt der Einlass beginnen sollen. Da die Opener im Werk II, "Division Kent" jedoch aus krankheitsbedingten Gründen Ihre Teilnahme am WGT kurzfristig canceln mußten, ließ man sich am Eingang nun noch ein wenig Zeit mit dem "Sesam öffne Dich". Dabei schien die Informationskette gut funktioniert zu haben sodass nur wenige Fans vergeblich auf die Schweizer Elektroformation warteten.
Pünktlich zur Toreöffnung um halb 5 pirschte ich mich dann als einer der ersten ins Werk II, um erstmal auf Schnupperfühlung mit der Location zu gehen. Wie die meisten Örtlichkeiten des WGT, bot auch das Werk II zunächst einmal beste Vorraussetzungen für die Erhaltung des leiblichen Wohls: Inmitten von seltsamen Industrial-Kunstobjekten (so will ich das jetzt mal nennen) hatte man einen kleinen Biergarten eingerichtet mit Ausschanktheke und einem Bratwurstgrill, der schon bald seinen verführerischen Geruch unter dem überdachten Durchgang verströmen sollte.
Der anschließende Weg hinein in die Halle A glich hingegen einer Darkroom Erfahrung. Heraus aus dem sonnigen Tageslicht, hinein ins Dunkel der Halle, passten sich die Augen nur langsam an, und ließen einen die ersten Schritte in Richtung Bühne sprichwörtlich in ein schwarzes Loch laufen. Nur gut dass hinter dem Eingang nicht gleich ein Pfeiler stand, sonst wäre das bestimmt ein lustiger Spaß für die ganze Familie geworden! ;)
Die Bühne des Werk II hatte man inzwischen weitestgehend präpariert, sodass dem ersten Auftritt des Tages durch die US Goth-Rocker "Hatesex" nichts mehr im Wege stand. Bis zur Showtime der "Amis" war jedoch noch ein ganzes Weilchen Zeit, weshalb sich in der Halle eine trügerische Geisterkulisse breit machte, die sich schon bald füllen und ins völlige Gegenteil verkehren sollte.
Hatesex
Mit der Halle zu einer lockeren Hälfte gefüllt, zogen alsdann Benn Ra, den man hierzulande noch von seinen Aktivitäten mit Diva Destruction kennt, Sängerin Krisanna Marie (ex-Penis Flytrap) und zwei tapfere Live-Recken an Bass und Schlagzeug zu Felde um sich unter dem Namen "Hatesex" erstmals vor deutschem Publikum in der klassischen Disziplin des Goth-Rocks alter Schule zu befleissigen. Leider sprang dabei der Funke, trotz eines frischen und aufnahmefähigen Publikums nicht so recht über. Ob es am allgemeinen Soundgewäsch des Werks lag, an der wenig überzeugenden Stimme von Sängerin Krisanna oder schlichtweg daran, dass der Sound von Hatesex nichts für nüchterne Ohren ist, kann nur gemutmaßt werden. In jedem Fall flachte das allgemeine Interesse nach dem imposanten, an einen in Zeitlupe einrollenden Güterzug erinnernden Intro sowie dem anschließenden Opener und Namenspender der Band, "Hatesex (Reborn)", stetig ab.
Verglichen mit Acts, wie beispielsweise "Faith & The Muse" fehlte es "Hatesex" an Prägnanz und Stilvielfalt, weshalb sich das "schräge Gekreische" aus Richtung Bühne nicht so richtig einordnen ließ und zunehmend nervigere Ausmaße annahm. Daran gemessen, was bzw. wer in den kommenden Stunden heute noch so alles im WERK II aufgeigen würde, markierten Hatesex einen klassichen Fehlstart in das WGT 2006, zumal sie auch musikalisch nicht die Bohne ins Programm passten.
Accessory
Merklich populärer und gleichwohl stimmungsvoller ging es anschließend bei den Düstertanz-Barden von Accessory zur Sache. Nach diversen Tourneen im Schlepptau namhafter Acts, wie Hocico, And One und Chris Pohls Terminal Choice, schickten sich die EBM-Ballerköppe Dirk Steyer und Ivo Lottig an, auch das WGT-Publikum mit ihren Beats sprichwörtlich auf die Jukka-Palme zu treiben.
Mit dem aktuellen Album "Forever & Beyond" in der Hinterhand, begann die Show vor fast ausverkauftem Haus. Dabei galt nach dem Einmarsch des ersten Gladiators zunachst das Motto "Midnight Fire mit dem Steyer", währemd der hoch aufgeschossenen Sänger die Marschroute vorgab. Zu melodiösen Electrobeats auf tanzbarstem Parkett mit Sonnenbrille im Anschlag und Armen in der Höh´ fühlte man sich sofort an die Einpeitscherqualitäten eines H.P. Baxxter erinnert, was jedoch keine Beleidigung darstellen soll.
Im Gegensatz zu den "Sexhassern "vorab, regte sich nun was im Publikum und späteststens als Ivo Lottig kurz darauf das Line-Up komplettierte, war die erste Electroparty des WGT in vollem Gange. Vor allem in den ersten Reihen wurde herzhaft mitgeschunkelt und so störte sich das sonst so Scooterphobe EBM-Volk auch nicht an den pikanten Kirmesanfeuerungen á la "Hardcore" die aus Richtung Bühne schollen. Stattdessen herrschte "Heiligeilistimmung" im Werk II und das will beim sonst so zurückhaltend geglaubten Schwarzvolk schon etwas bedeuten.
Natürlich gehörten Accessory nicht zu den Acts, die ihr Genre neu erfinden. Dennoch lieferte das Vocaltandem (samt im Hintergrund stehendem Keyboarder) solide Electro-Hausmannskost, wie man sie inzwischen häufig aus deutschen Landen geboten bekommt. Kurz, bündig, feierbar, schlicht gesagt: unterhaltsam!
Witt
Extrem gespannt war ich bereits auf den nun folgenden Auftritt von Joachim Witt. Nach seiner furiosen Tour de Force beim letzten Secret Garden Festival in Hannover und dem starken "Bayreuth III", hatte der "komische Kauz" bei mir hohe Erwartungen geweckt und ich war neugierig, ob "Old Jockel" auch im Rahmen des WGT einen solch durchschlagenden Erfolg würde feiern können. Dazu lockte die Aussicht endlich die neuen Stücke live kredenzt zu bekommen, was bislang leider durch der schaurig seltenen Touraktivitäten des Künstlerchamälions vereitelt wurde. Leider ließ man sich vor Beginn der Show reichlich Zeit mit der Herrichtung der Bühne. Da noch nichts von alledem, was jetzt und ehedem zu einem Witt-Konzert gehört vorbereitet stand, nestelte man aufwändig ein Instument nach dem nächsten in Positur, plus dem dazugehörigen Soundcheck. Mit leichter Verspätung im Tank sollte es dann aber doch losgehen und ein abermals denkwürdiges Witt-Konzert mit dem Opener "Das geht so tief" von "Bayreuth I" seinen Lauf nehmen.
Witt, heute mit Reiterstiefel und provokativem "Dancing is gay" T-Shirt bewaffnet, hielt sich, was seine berüchtigten außermusikalischen Aktivitäten anbelangt, vorerst betont zurück. Stattdessen fand er rasch den Dreh in Richtung "Bayreuth III" und trat mit "Menschen" und "Schmutz" hart aufs Gaspedal, als wolle er die verlorene Zeit wieder aufholen, die man beim Umbau verbummelt hatte. Unterstützt wurde Witt in seinem Bemühen von seiner Band, welche um die Silly-Ikonen Uwe Hassbecker, Ritchie Barton und Jäckie Rezniczek formiert, inzwischen zu einer untrennbaren Einheit mit Witt verschmolzen zu sein scheint. Da haben sich definitiv welche gefunden!
Nachdem Witt die ersten Songs ohne auch nur eine einzige ironische Bemerkung überlebt hatte, war es nun an der Zeit die Lunte zu legen und ein bisschen Polarisation beim Publikum zu betreiben. Und wer könnte das besser als der ultimativ unumstössliche Helmträger der Nation, unser allseits beliebte, omnipräsenter WGT-Wikinger!
Nach "The Gathering 2003", "Haggard 2004" und "Liv Kristine 2005" bekam nun auch Witt von dem Mann mit dem Plastik-Wikingerhelm sein Fett weg. Vor drei Jahren mit seinem Helmwurf auf die Gatheringbühne zum Einhorn degradiert, schleuderte er dem goldenen Reiter ein Beherztes "Joachim, Fräulein Menke hat sich wieder über Dich beschwert!" entgegen und schon war der Schläfer erwacht. Dabei ließ sich Witt im ersten Moment nichts anmerken, grübelte kurz und entgegnete dann trocken: "So, das ist jetzt der Moment, wo ihr mich beschimpfen dürft!". Schweigen!!! Keiner traute sich etwas zu entgegner, worauf Witt die Daumenschrauben anzog: "VOTZÖÖÖH!!!!", brüllte er lauthals in den geschockten Saal und fügte an "das hab ich genau gehört!". Natürlich hatte das keiner gesagt aber Witt machte sich j etzt einen Spass daraus, seinen Kritikern und Spöttern der vergangenen Jahre gnadenlos die Rechnung zu eröffnen. Außerdem hatte er nun in dem Wikinger einen neuen "Freund" gefunden, mit dem er sich nach "Leben im Staub" ("Kennst du Afrika?!") nun liebevoll in den Haaren liegen konnte. Und so folgte nach Haggards Ernennung zur Galleonsfigur Anno 2004, heute der goldene Ritterschlag zum "nackten Einhorn", was den trolligen Recken kurzerhand zur Lachnummer degradierte.
Doch "Eini" hatte noch nicht genug! Nachdem Witt mit "Wo versteckt sich Gott?" feststellte, dass das Thema Glaubenskrieg inzwischen reichlich überstrapaziert ist, er aber wenigstens als Erster damit angefangen hätte (Vorsicht, Ironie!), hatte das nackte Einhorn ein kleine musikalische Anregung vorzubringen: "Wir wollen den Goldenen Reiter hören" forderte er wagedreist. während Witts Urteil so unbestechlich ausfiel wie ein Blitzbild: "Ja, Du vielleicht!" schoß er zurück. Schließlich hatte der dunkle Reiter für heute andere Pläne: "Tief in der Tiefe" eine sehr ruhige Nummer von Bayreuth III nahm zunächst die Härte aus der Partie umd Munition zu sammeln für das nachfolgenden "Ich spreng den Tag".
Die Stimmung in Reihen des Publikums gestaltete sich unterdessen pro-Witt. Bedenkt man dass er zwischenzeitlich gerade aus Richtung der schwarzen Szene doch einiges an Spott und Gegenwind zu erdulden hatte, konnte man den heutigen Auftritt durchaus als Erfolg werten. Eine annähernd euphorische Stimmung wie beim Secret Garden wollte zwar nicht aufkommen, doch das Entsetzen beim Publikum war mindestens genauso groß, als Witt panisch-gestikulierend "Neuland" als letzten Song ankündigte.
Doch die Rechnung war noch nicht vollständig beglichen! Unter den eindringlichen Zugaberufen im Werk II, ließ sich Witt für ein kleines Extra aus der Reserve locken, um einen seiner beliebten Schlager zu spielen, "Die Flut"! Damit zerstörte er zwar die Hoffnungen all jener, die sich auf den "Goldenen Reiter" gefreut hatten, angesichts der knappen Spielzeit und des musikalischen Rahmens, ging die Forcierung der Werkreihe Bayreuth als logische Konsequenz jedoch vollauf in Ordnung. Wer weiss wann man das nächste mal dazu die Gelegenheit bekommt.
Witt und Band bewiesen heute einmal mehr, dass alte Eisen nicht zwingend zum Alteisen gehören müssen und präsentierten sich im Vergleich zu manchem, noch folgenden Act, als Künstler der musikalisch privilegierteren Sorte, bei denen Instrumentenbeherrschung vor dem Herumkaspern steht.Obwohl die Stimmung zu keinem Zeitpunkt Gefahr lief überzuborden, sah sich die Mehrheit im rappelvollen Werk II bestens von Witt unterhalten und konnte mit Ausnahme des fehlenden Goldenen Reiters befriedigt von Dannen ziehen!
Back to Agra
Wie brechend das Werk II inzwischen wirklich gefüllt war, wurde mir erst bewusst, als ich anschließend versuchte den "Schlauch" im Strom der Masse zu verlassen. Seltsamer Weise schienen sämtliche Besucher in diesem Moment die gleiche Idee zu haben und knautschten sich nun in Form einer unfassbar dichten Menschenwurst durch das zwischenzeitlich geöffnete Hallentor im Gänsemarsch dem Licht am Ende des Tunnels entgegen. Und auf dem Hof sah es nicht besser aus. Erst nach knapp 10 Minuten war die rettende Schleuse zur Freiheit erreicht und das Kapitel Werk II fürs erste beendet.
Anschließend ginge es zur Abwechsung Mal nicht mit der Straßenbahn zurück zum Agra Gelände, sondern mit dem Unheilig-Mobil, der Berliner Fanclubleitern Tine und Rico, die sich an diesem Wochenende neben privaten belangen auch den Diensten ihres Fanclubs verschrieben hatten und mit einem Fantreffen am Samstagmorgen in der Moritzbastei die Flagge des allseits beliebten Grafen hochhalten wollten.
Die Fahrt zur Agra entpuppte sich als stimmungsvolles "Beklopptsein unter Gleichgeinnten". Wie kindisch so etwas Ausarten kann, welche Auswirkungen "Hummpa" auf die Mundwinkel von Grufties haben kann und wie panisch Menschen auf plötzlicher Schunkelbewegungen eines Autos reagieren sei jedoch ein ander Mal erörtert.
Leider sollten der zeitlich verschobene Witt und das anschließende Geschlängel hinaus aus dem Pulk noch ihren Tribut fordern: Trotz Bleifuss auf dem Asphalt war hinsichtlich des angepeilten "Dracul"-Auftrittes leider nichts mehr zu machen und so folgte eine kleine Zwangspause im Agra-Café, von wo aus ich mich kurz halb 10 in Richtung Konzerthalle aufmachte, um wenigsten die anschließenden Deathstars pünktlich mitzuerleben.
Gerade noch rechtzeitig die Einlaßkontrolle passiert, konnte es auch schon losgehen: Moderator Oliver Klein, bekannt von seinen legendären Transenauftritten mit der "Rocky Horror Picture Show", schlüpfte dieses Jahr gänzlich in die Rolle des WGT-Moderators und kündigte nach Delight aus Polen nun mit den schwedischen Deathstars schon die zweite ausländische Band an. Dies nutzte er daher prompt, um die internationaleren Ausmaße anzusprechen, die das WGT von Jahr zu Jahr annimmt und festzustellen dass inzwischen Bands aus aller Welt beim WGT auftreten. In diesem Zusammenhang ließ er es sich dann nicht nehmen, aufmerksamen Beobachtern des WGTs einen echten Insider zu servieren: "W.G.T." als Abkürzung für den "Welt Gesundheits Tag" brachte schon vor 2 Jahren arglose Rentner in der Leipziger Fußgängerzone ins Grübeln (siehe Zillo "Treffen-DVD 2004") und zauberte auch jetzt ein verschmitztes Lächeln auf die Gesichter der Eingeweihten.
Deathstars
Als Industrial-Glam Band angekündigt, gehören die schwedischen Todessterne definitiv zu der Sorte Bands, die man aufgrund ihres äußeren Erscheinens entweder zum Knuddeln gern hat oder postwendend in die Aufschneidertonne tritt, wenn hübsch der Reihe nach sämtliche klischees von Kiss bis Marilyn Manson abgerufen werden und illustere Pseudonyme, wie Nightmare Industries, Skinny oder Whiplasher Bernadotte die Häupter der Akteure zieren.
Da mag es kaum verwundern , dass manch einer hier geschmacklich ins Trudeln kommt und der Band den Rücken kehrt bevor der erste Takt verklungen ist. Doch nach wie vor befinden wir uns auf dem WGT und nicht in Wacken auf der Kuhwiese und daher schloss das Publikum die Schweden mit seiner offenen Art rasch in sein Herz!
Und mehr noch: mit ihrem aktuellen Album "Termination Bliss" auf der Pfanne, konnte das Quartett in Diensten von Nuclear Blast seine Fanschar in Leipzig nochmal ausbauen und durfte sich über eine überwiegend positive Resonanz in der Agra Halle freuen. Dabei standen natürlich zunächst die neuen Songs im Mittelpunkt des Geschehens: "Play God", "Blitzkrieg Boom" und "Tongues" enterten als Neulingsdeathstroika die Arena und kämpften den Weg frei für den Song, mit dem laut Whiplasher seinerzeit alles begann: "Synthetic Generation".
Musikalisch hatten die Deathstars jedoch nach der anfänglichen Hurra-Phase nicht mehr viel zuzusetzen. Obwohl die Songs mit ihrem eingängigen Industrialrock für Druck sorgten wirkte der Sound recht stereotyp. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb Monsier Bernadotte sich kurzerhand seiner Uniform entledigte und zur Verzückung des Weibsvolks fortan brustfrei die Bühne entlang flanierte. In jedem Fall offenbarte sich nach etwa 4 Songs die muskialische Eindimensionalität des Vierers, bei der sich die Deathstars etwa auf Augenhöhe mit ihren norwegischen Nachbarn von Gothminister (vor allem die stimmliche Änhlichkeit ist brachial) bewegten und einerseits gekonnt, andererseits allzu durchschaubar, schrubbende Rammsteinriffs mit reichlich dunkelfarbigem Keyboardkleister verleimten. Wer sich hierbei an die letzten Output der cybertrasher "Kovenant", "Animatronic" und "Seti" erinnert fühlte lag ebenfalls nicht komplett daneben.
Was für einen Augenblick knackig tanzbar auf den Punkt donnerte, ließ in höher verabreichter Dosis zunehmend Langeweile aufkommen und die dezenten Tempiwechsel als einzige Variable in der Gleichung, reichten nicht aus, um den Spannungsbogen Aufrecht zu halten.
Somit fühlte ich mich mit fortschreitender Dauer des Konzertes hin und hergerissen. Auf der einen Seite spielte das Quartett seinen Stiefel gekonnt runter, auf der anderen Seite waren sie jedoch unglaublich leicht auszurechnen und hatten keinerlei Überraschung auf Lager. Somit blieb am Ende ein netter Partygig übrig, der, wie beschrieben, von den Fans begeistert aufgenommen wurde, es aber selbst mit weiteren Stücken wie "Greatest Fight On Earth", "Motherzone" oder "Trinity Fields" nicht schaffte sich aus dem selbst gestrickten Korsett zu sprengen.
Lacrimosa
Ganz anders sah es da schon beim vorletzten Act des Tages aus. Tilo Wolff, kreativer Kopf hinter Lacrimosa, dürfte den Begriff Korsage nur dadurch geläufig sein, dass seine Partnerin Anne Nurmi desöfteren in einer Auftritt. Ansonsten gehört "uns Tilo" zu der Sorte Künstler, die das "bombastmusikalische Freistilcatchen" als Hobby in ihrem Poesiealbum angeben. Nicht umsonst liegen die Grenzen zwischen metallischem Opus und dunkelromantischer Orchesterpartitur selten so eng beieinander, wie in den Kompositionen von Lacrimosa.
Nachdem der Meister der verspielten Klänge zuletzt verstärkt an rockigeren Klängen Gefallen fand, liessen Tilo, Anne und Band auch auf dem WGT keinen Zweifel offen, dass sie trotz knödelndem Überschwang im Orchestermetier durchaus über zündende Live-Qualitäten verfügen und Stromgitarren längst nicht geduldet sondern ausdrücklich erwünscht sind.
Daher füllten Lacrimosa die großzügig bemessene Zeit zwischen "Der Brennende Komet" und "Stolzes Herz", mit dem Rocktandem "Road to Pain" und "Copycat" und einschlägigen Hits, wie "Alles Lüge", "Letzte Ausfahrt: Leben" oder "Kelch der Liebe". Dazu durfte Frau Anne aus Finnland mit "Not every pain Hurts" die ewige Diskussion um Lacrimosas-Sangesqualitäten anheizen, während Tilo hörenswerte Nebentalente als Trompeter an den Tag legte. Speziell für das WGT durfte natürlich auch ein Griff in die Trickkiste nicht fehlen, weshalb El Lobo zum Abschluss des regulären Konzerts die Bühnenrarität "The Last Millenium" hervorzauberte.
Während Lacrimosa meisterlich zu verzaubern verstanden, wusste das Publikum in der rappelvollen Agra-Halle den Auftritt mit überschwänglicher Begeisterung zu feiern. Es war der Stimmung anzumerken, dass hier eine Band spielte, die wie die Faust aufs Auge zum Spirit des WGTs passte und so bedurfte es ganzer 4 Songs (und wir wissen ja alle, wie lang so ein Lacrimosa Stück werden kann), bis die hungrige Meute von ihrem Opfer abließ und Lacrimosa zum letzten Mal die Bühne verließen.
Obwohl ich mich selbst nicht unbedingt zu den bedingungslosen Lacrimosa Fans zähle, konnte mich der fönfrisierte Niveaboy aus der Wahlschweiz mit seiner hübsch verpackte Begleitung durchaus vom Hocker reißen. Gerade wenn es etwas rockiger zur Sache ging und der Schmalz für einige Momente trocknete, ließen Lacrimosa auch bei mir den Funken überspringen, zumal sie im Gegensatz zu ihren vorgängern einen bunten Strauß an Melodien auffuhren, bei dem für jeden Geschmack etwas dabei war. Ein gelungenes Konzert, soviel stand mal fest!
Nitzer Ebb
Den letzten Act des Tages in der Spätvorstellung des Mitternachts-Spezials, markierten heute die EBM-Legende "Nitzer Ebb" mit der Weltpremiere ihres Bühnen-Comebacks. Egal wen man im Laufe des Tages auch nach den Konzerten gefragt hat, die er oder sie noch sehen wollte: Nitzer Ebb lautete die einheitliche Antwort. Diesem Umstand Rechnung tragend, blieb die Agra-Halle nach einem kurzen zielgruppenbedingten Wechsel auch weiterhin knackig gefüllt, zumal klar war, dass Douglas McCarthy und Bon Harris als Ikonen eines ganzen Genres allein durch ihr Comeback einen Auftritt landen würden, über den später zu reden sein wird.
Als Urväter einer kompletten Stilrichtung waren Nitzer Ebb natürlich bestrebt bei ihrem Comeback nichts anbrennen zu lassen. Daher setzten sie nach "Getting Closer" mit "Let Your Body Learn" umgehend ein breitschultriges Ausrufezeichen, bei dem nicht nur Kenner verzückt mit der Zunge schnalzten.
Elektronischer als von einigen befürchtet und minimaler als erhofft, lieferten Nitzer Ebb mit ihrem Comeback eine lupenreine Oldschool-Session aufs Parkett, bei der sich sparsamste Synthis zum An- und Ausknipsen mit Douglas McCarthys waffenscheinpflichtigem Gebell und einer wuchtigen Live-Percussion, die Bon Harris und Gast-Drummerin Kourtney Klein beherzt in die Felle knüppelten.
Leider dauerte es dadurch nur ganze drei Songs, bis genau das passierte, was unter vorgehaltener Hand schon befürchtet wurde: der geistige Aussetzer im Publikum! So wollte Doug McCarthy gerade "Shame" zu Ende bringen, als ein durchgeknallter Fan die Gunst des Augenblicks nutzte und just in dem Moment, als die Security die Fotografen aus dem Graben schaufelte über den Wellenbrecher sprang.
Das Auge des Gesetzes hinterrücks überrumpelt, hechtete der Unhold mit einem behenden Satz auf die Bühne und begann sein Idol McCarthy inniglich zu Knuddeln. Gute 10 Sekunden später warf der "British Bulldog" seinen Verehrer jedoch ab und überließ ihn den Stage-Sherriffs, die den Knallkopf genau so schnell von der Bühne fegte, wie er hinauf gekommen war, mit der Erkenntniss, dass zwischen Hektik und Buchlandung manchmal nur Bruchteile von Sekunden vergehen. Oh Mann, was für ´ne Action!
Nachdem sich Douglas dem Liebreiz seines Begatters entledigt hatte, ging er äußerlich cool zur Tagesordnung über, während sich im weiteren Verlauf des Konzertes die Großstimmunglage überwiegend im vorderen Drittel des Publikums abspielte. Ählich wie ihre einstigen Inspiratoren, Die Krupps, mussten sich Nitzer Ebb mit dem Umstand auseinander setzen, dass ihr Material für einige der jüngeren Publikümmer inzwischen eine fossile Klangquelle darstellte und der Sieg der Neugierde über Fachkenntnis zu einem gewissen Enthusiasmusschwund führte. Dementsprechend erreichte die geplante Eruption nicht ganz die Ausmaße des Fixmer/McCarthy Auftritts vor zwei Jahren, als die beiden mit ihrem EBM-meets-Trance Projekt das Agra Betonfundament rissig bombten.
In Anbetracht dessen, dass dies heute der Beginn ihrer Re-Union Tour darstellte, schlugen sich Nitzer Ebb dennoch wacker und streuten ihre Saat auf fruchtbaren Boden. Daher würde es mich schwer wundern, wenn nicht spätestens bis zum M´era Luna die Welle der Begeisterung herumgeschwappt ist und der Tower zu Hildesheim beim Schlag der Trommeln ins Wanken gerät. Heute reichte es zu etwas mehr als einem Dutzend Stücken, "Control I´m Here", "Murderous" und "Blood Money" inklusive, die für alte Anhänger ein geglücktes Comeback lieferten und einer neuen Generation von Fans aufzeigten, wer eigentlich ihren geliebten EBM erfunden hat.
Harry-Puh und das Ende eines Treffentages
Mit dem Rückweg zum Nachtlager im Visier, verließ ich anschließend an des Nitzers Ebbe die Agra-Halle. Doch ähnlich wie heute Nachmittag auf dem Weg Werk, kam ich auch jetzt nicht weite. Da es leider beim Verlassen der Location durch den Hinterausgang kaum möglich ist, am vermutlich größten Sündenpfuhl des Wave-Gotik-Treffens zu entrinnen: dem kreuzgemeinen Fruchtgummi-Stand!
Und nachdem Festivals, bzw. WG-Treffen zu den besonderen Momenten im Leben zählen, zu denen man sich gerne mal was gönnt, straxte ich schon wenig später, der süssen Versuchung erlegen, mit einer zum Platzen gefüllten Beutetüte, bestehend aus Gummitierchen, falschen Frühstückseiern und allerlei vertilgungswürdigem Kleinzeug gen Ruhestätte, wo für mich der erste Treffentag nach einem finalen Blick auf die Uhr gegen kurz nach 3 Uhr sein Ende fand.
Rückblickend betrachtet sorgte der Treffen-Freitag mit all seinen Eindrücken für einen überwiegend positiven Start in das Wochenende, der stark von der allgegenwärtigen Atmosphäre getragen wurde. Zwar befand sich hier nicht die Welt zu Gast bei Freunden, dafür aber 20000 weltweite Freunde zu Gast in Leipzig und das will nicht minder etwas bedeuten! Darüber hinaus trug natürlich auch das Wetter seinen Anteil zum Wohlbefinden bei, dass mit durchgängigem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen den Tag versüßte. Perfektes Veranstaltungswetter, so wie man es sich wünscht.
Aus musikalischer Sicht lässt sich natürlich über Geschmäcker immer Streiten, vor allem da man als einzelner Besucher des WGTs immer nur einen kleinen Teil des großen Ganzen zu beleuchten imstande ist. In meinem Fall konnte heute jedoch vor allem Joachim Witt mit seiner ruppigen Bayreuther Pöbelshow punkten und auch von Lacrimosa, deren Konzert sicher für vSiele das Highlight des WGT 2006 gewesen sein dürfte, fühlte ich mich heute angenehm unterhalten, während Nitzer Ebb wiederum solide auf den Busch klopften, um nach Jahren der Abstinenz zu checken, was noch so alles geht.
Der morgige Samstag verprach vor allem einen musikalischen Großkampftag: Top Acts im Kohlrabizirkus, in der Agra Halle und auf der Parkbühne schrien regelrecht danach sich mit der Axt in Stücke zerteilen zu lassen und als Paket an die einzelnen Locations verschicken zu lassen. Da Scotty vermutlich kaum bis morgen früh das Beamen erfinden wird, musste auch ich mich für eine Location entscheiden.
Auf welchen Ort und welche Bands die Würfen fielen und welche Trends des WGTs sich abzeichneten, lest Ihr im zweiten Teil des großen WGT-Berichts.
Fortsetzung auf - SEITE 2 -
---> FOTOS VOM WAVE GOTIK TREFFEN <---
|