M´era Luna 2007:  
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12.08.2007 - 8. M´era Luna Festival -Tag 2- (Flugplatz, Hildesheim Drispenstedt):

Guten Morgen liebe Freunde und willkommen zurück zur zweiten Halbzeit des M´era Luna 2007!

Nachdem gestern bei bestem Fußballwetter bereits 20 Bands aus 7 Nationen über die Bühne gegangen waren, sollten heute noch einmal stolze 18 Kandidaten auf dem Programm stehen, die, das muss man klar so sagen, dem Puls der Festivals doch um einiges näher standen, als es Acts wie Fair to Midland, Dir En Grey oder Tool gestern taten. Vor allem das das musikalische Großaufgebot von Deine Lakaien samt komplettem Symphonieorchester stand dabei im Mittelpunkt des Interesse und einher die Frage ob so ein gewaltiges Projekt auf einem Festival wie dem M´era Luna überhaupt funktionieren kann. Doch auch das Nachmittagsprogramm bot mit klassischen Szeneacts, wie Diorama, den Crüxshadows, Welle Erdball und Skinny Puppy ein durchgehend hochkarätiges Package, dass sich sicher einiger der M´era Luna Jünger bereits gestern gewünscht hätten. Außerdem legte das Programm noch einmal an Internationalität zu: mit Bands aus Deutschland, Holland, Belgien, England, Schottland, Finnland, Schweden, Mexiko, Kanada und den USA war sprichwörtlich die Welt zu Gast bei Freunden. Eine schöne Entwicklung, da sie doch mal wieder zeigt, dass die Szene mittlerweile rund um den Erdball aktiv ist.

Mit der Aussicht auf dieses bunte Potpourrie begab ich mich also wieder auf den Weg nach Hildesheim. Dabei stellte ich schon im Laufe der Fahrt fest, dass es wohl kein ganz leichter Tag werden würde. Das gestrige Mammutprogramm hatte doch mehr Spuren hinterlassen als ich es zugeben wollte und so hegte ich den dringlichen Wunsch nach einem möglichst nah gelegenen Abstellort für mein Ritti-Mobil, den ich Glücklicherweise dann auch fand. Parken auf E2, kurz hinterm Auge des Gesetzes! Das lief! Nun noch eben die Tasche gegriffen, den Körperumfang durchs Gezäun geknödelt und schon war Ritti ‘ready to rumble’.

 High Noon, 12 Uhr Mittags

Nach einem kurzen Blick über den Campingplatz, eine gute Stunde nach Programmstart, war ich beruhigt, dass ich heute Mittag nicht der einzige Zerknitterte war, der hier herum schlich. Vielerorts herrschte nach einer langen Nacht noch in Katerstimmung und man ließ es ruhig angehen in Hildesheim. Bloß keine Hektik! Doch zwischen Alka-Seltzer Dröhnung und Konterbier pluckerten auch schon wieder aus diversen Ghettoblastern Elektrobeats und röhrenden Gitarren, während die dazugehörigen Camper ihrer morgendlichen Mundhygiene nachgingen oder selbige bei Nutellabrot und Käffchen wieder zunichte machten.

Auf dem Gelände sah es gegen viertel nach Zwölf ebenfalls noch sehr übersichtlich aus. Eine Gruppe von vielleicht 1000 Wagemutigen hatte sich vor der Hauptbühne eingefunden, wo Warren Suicide gerade damit begannen ihren ersten Song von der Leine zu lassen:

 Warren Suicide

"Hello, my name is Warren Suicide" hörte man es bereits von weiten aus den Boxen plärren als wollten die Berliner sagen: „Achtung keinen Schritt weiter, betreten auf eigene Gefahr!“ Denn was das "Ensemble Selbstmord" hier offerierte, verdiente selbst auf einem Festival wie dem M´era Luna das Prädikat "durchgeknallt": wilde, wie im LSD-Rausch gezeichnete Pappaufsteller mit Warren-Cartoonfiguren, bunt bepflasterte Instrumente, eine Pitbullskulptur mit zugeklebtem Hinterteil und mittendrin Musiker mit Namen wie Bert-Ill, Cherie und Nackt. Wo sollte das nur hinführen? Die Damenwelt kann ich in jedem Fall beruhigt, bei letzterem war der Name keineswegs Programm. Dafür betätigte sich Dave Gahans Grungeausgabe sängerisch und an den der Gitarre, während Cherie den weiblichen Konterpart übernahm.

Nachdem die Berliner mit ihrer Bühnendeko schonmal gut in Vorlage getreten waren, galt es für sie nun auch musikalisch Akzente zu setzen. So hatten sie rund um die Kunstfigur Warren Suicide ein herrlich eigenbrödlerisches Konzept gestrickt, dass sich mit seinen makaberen Texten, den Elektrospielereien, tanzbaren Beats und schraddelnden Gitarren noch am ehesten als Electropunk umschreiben ließ und auf eine originelle Art die Aufmerksamkeit des Publikums für sich gewann. Neben bereits bekannten Stücken, wie "Addiction", "Butcher boy" und "A song for Warren´ s lover", fanden sich zur Feier des Tages mit "Land of the free" und "What do you feel" auch zwei unveröffentlichte Songs im Set wieder, bevor "The woman just stood there" dem kurzweiligen Auftritt ein schnelles Ende bereitete.

Wer sein musikalisches Weltbild mal gehörig durchlüften wollte, war bei Warren Suicide genau an der richtigen Adresse gelandet. Total durchgeknallte Rosenstolz auf Speed mit den Itchy und Scratchy, herrlich!

 Angels & Agony

Als ich kurz darauf den Hangar betrat, drängte sich mir spontan der Eindruck auf, das Publikum würde auf etwas warten. Und wie sich wenig später heraus stellte, sollte ich damit nicht so falsch liegen! Angels and Agony, alias Sänger Reinier Kahle, Erik Wierenga (Gitarre und Keyboards), Marco van Belle (ebenfalls Keyboards und Fried Bruggink an den Drumpads, erwiesen sich trotz der frühen Mittagsstunde als regelrechter Publikumsmagnet und wo gestern um die Zeit noch gähnende Leere herrschte, konnte man die Fans der Holländer jetzt schon beinahe stapeln. Ein erstes Zeichen dafür, dass sich seit gestern etwas getan hatte und heute vielleicht doch ein paar Publikümmer mehr den Weg nach Hildesheim gefunden hatten, bzw. das Programm attraktiver ausfiel.

Die Tanzflächenfüller aus Holland, deren Debütalbum "Eternity" (2001) seinerzeit niemand geringerer als VNV Nation Boss Ronan Harris himself produziert hatte, konnten sich über mangelnden Zulauf jedenfalls nicht beklagen und begannen ihr halbstündiges Set unter lautstarkem Jubel der Massen mit“ Stronghold“. Damit war die Party offiziell eröffnet, bzw. ging in die nächste Runde, nachdem die vorherigen Bands "Proceed" und "Implant" Augenzeugenberichten zufolge wohl den Hangar schon gut auf Drehzahl gebracht haben mussten.

Entgegen der häufigen Unsitte kleinere Festivalsets überwiegend auf neues Material zu beschränken, wählten die Jungs um Reinier Kahle den goldenen Mittelweg. Nachdem die Fans mit "Stronghold" vom Zweitling "Avatar" und "Forever" aus der Debutscheibe "Eternity" erstmal warmgespielt wurden, folgten mit „Wreckage“ und „Civilization“ zwei neue Stücke des aktuellen Albums "Unison", dessen Titeltrack nach "Forward" leider schon wieder das Ende der Show markierte.

Viel falsch machen konnten die engagierten Holländer in 30 Minuten wahrlich nicht. Daher machten sie umso mehr richtig. Jenseits des Wellenbrechers fanden sich unzählige hüpfende, singende und tanzende Menschen wieder, die gerne noch mehr vom kernigen Futurepopensemble gehört hätten, zumal aus Zeitgründen sogar ein Floorfiller wie "Darkness" auf der Strecke geblieben war. Nichtsdestotrotz gaben Angels & Agony dem M´era Luna wonach es verlangte und lieferten den besten Beweis dafür, welche Musik in Hildesheim wirklich spielt!

 Krypteria

Während der Hangar noch eifrig das Tanzbein schwang, schlug an der Mainstage nun die Stunde des "Female fronted Goth-Metal", wie es im Fachjargon so schön heißt! Die Rede ist hierbei von Krypteria, jener hoffnungsvollen Band, die seit Mitte letzten Jahres die Titelblätter nahezu jeder namhaften Szenegazette geziert und seit Erscheinen ihres Debutalbums "Bloodangel´s Cry" im Januar keine Herausforderung gescheut hatte im  Kampf gegen ein leidiges Trällerelsen-
klischee das Publikum vom Gegenteil zu überzeugen. Sogar im Ausland schlugen Krypteria ein wie die sprichwörtliche Bombe und rockten mit Konzerten in Asien und Lateinamerika bereist Fans rund um den Erdball.

Es ist schon erstaunlich mit welcher Konsequenz Krypteria in den Orbit geschossen wurden. Allein bei uns waren die Vier in diesem Sommer auf allen großen Events am Start. Egal ob Wave Gotik Treffen, Amphi oder Wacken, an Krypteria führte kein Weg vorbei und auch beim Summer Breeze standen die Kölner auf der Speisekarte. Da durfte das M´era Luna natürlich nicht fehlen.

Dreh und Angelpunkt der Show war dabei wie immer Sänger Ji-In. Die gebürtige Koreanerin, die erst vor Kurzem von Welle Erdball Sänger HONEY zur schönsten Frau des Amphi Festivals 2007 erklärt worden war, zog mal wieder alle Register und empfahl sich mit deutlich mehr Stimme als man ihr auf den ersten Blick ansieht. Dazu noch fetzige  Posen und eine knackenge Ledermontur, fertig war Koreas Antwort auf Doro Pesch!

Wo Krypteria auf "Bloodangel Cry" noch ein wenig mit den Nachwirkungen ihres Lebens vor Ji-In kämpften, als sie in der Musical-Ecke herum streunerten, (Kenner dürften sich hier an den von RTL-Flutwellensong "Liberatio" erinnern), gelang es Gitarrist Chris, Basser Frank (dem Reinhold Messner der Truppe) und Drummer S.C.Kuschnerus, die Songs auf der Bühne mit einer zusätzlichen Portion Druck zu versehen und damit den Rost aus weniger beherzten Tagen von den Arrangements zu schleifen.

Da Krypteria heute ebenfalls knapp in der Zeit lagen, mussten sie sich bei der Auswahl des Materials auf das Wesentliche beschränken. Gerade mal ein halbes Dutzend Songs hatte man ihnen zugestanden, um auf der Rollbahn alles klar zu machen. Ergo ergriffen die Vier (nebst unterstützender Hand am Keyboard) die Flucht nach vorn und gaben mit "Sweet revenge", "Time to bring the pain", "Out of tears", dem wilden "Scream", Somebody save me" und "I can´t breathe" fast unentwegt Vollgas.

Obwohl sie mit ihrem Bombastrock nicht unbedingt das Rad neu erfanden und aufgrund der massiven Medienpräsenz für manch einen etwas "Hingestellt" erscheinen mochten, lieferten sie auf der Großen Bühne einmal mehr die passende Antwort und erwiesen sich Live als Hoffnungsträger mit denen in Zukunft sicher zu rechnen sein wird! Fehlten eigentlich nur noch die Pyrowalzen!

 Lacrimas Profundere

Eben noch vom klassischen Bombast Krypterias ums Opernhaus gescheucht, setzte die Rockabteilung des M´era Luna nun einen weiteren Gegenpol zum elektronisch dominierten Hangar:

Lacrimas Profundere standen auf dem Programm und durften sich mit ihrem finnisch angehauchten „Rock´N´Sad“ heute gerne als Appetithappen für die
später auftretenden 69 Eyes betrachten. Speziell nach ihrem aktuellen Album "Filthy notes for frozen hearts" war die Band doch verdächtig nahe ans Fahr-
wasser der Jungs um Jyrki69 geraten, dass man  zuweilen den Eindruck gewinnen konnte, die Süddeutschen wollten den Finnen ein von vielen ersehntes aber bis heute nie gelieferte "Blessed be... 2" abnehmen, wenn sie denn selbst damit nicht aus dem Knick kamen.

Zusätzlich zu dem musikalischen Ruck der seit dem letzten Album durch
die Band ging, befinden sich Lacrimas Profundere derzeit in der personellen Umstrukturierung. Nachdem sich Sänger und Gründungsvater Christopher Schmid Anfang diesen Jahres aus dem Bühnengeschehen zurückgezogen hatte und auch Bassist Daniel von Bord gegangen war, galt es entweder die Segel zu streichen oder sich auf die schwierige Suche nach einem neuen Frontmann zu begeben, der vorübergehend in Peter Pathos gefunden wurde. Wie sich herausstellt, diente der ex-Fiddler´s Green Gitarriste und Begründer von „Beloved Enemy“ jedoch nur als Übergangslösung. Der wahre Nachfolger von Christopher hört auf den Namen Roberto Vitacca, spielte vorher bei "Lost" und nahm nun, mit einer schwarzen Ville Valo Gedächtnis-Wollmütze, zielstrebigen Kurs auf das Mikrostativ, während Peter, dank seiner Verdienste weiterhin als Bassist dabei, den Neuankömmling mit Backingvocals unterstützte.

In Anbetracht der angespannten Lage lieferten Lacrimas Profundere ihren Fans dennoch eine solide Rockshow. Stücke wie "Again it´s over", "Amber Girl" oder Sweet Caroline" stürmten gut nach vorne und lenkten vom austrudelnden Personalkarussel ab. Mit "My mescaline" und For bad times" fanden auch noch zwei ältere Songs den Weg ins Set, welches sich überwiegend auf die letzten beiden Alben der Band "Filthy notes..." und "Ave end" konzentrierte, dessen Titeltrack, bekannt aus Funk und Fernsehen, den Schlusspunkt markierte.

Es ist ist sicher nicht jedermanns Sache als Nachfolger eines langjährigen Frontmannes ausgerechnet auf dem M´era Luna die Feuerprobe bestehen zu müssen, wo gleich tausende Fans die Messer wetzen, anstatt nur ein paar Hundert. Insofern lastete auf dem Neuen ein immenser Druck, dem er zumindest stimmlich standhielt und für den Gelegenheitshörer keinen störenden Unterschied zu früherer aufkommen ließ.

In Punkto Bühnenpräsenz war das ganze jedoch bestenfalls ausbaufähig: Im Gegensatz zu Peter, der seinen Fronteinsatz auf dem Woodstage mit einigem Leben gefüllt hatte, hielt sich Rob doch auffallend oft an seinem Mikrostativ fest und ging das Ganze mit respektvoller Zurückhaltung an. Explosive Ausbrüche der Marke "Arschgeil, Hildesheim!" waren von ihm definitiv keine zu erwarten. Eine gereckte Pommesgabel war da schon das höchste der Gefühle.

Welchen Weg Lacrimas Profundere in Zukunft einschlagen werden und ob sich Rob Vitacca als singende Wollmütze durchsetzt muss sicher die Zeit zeigen. Für einen Neuanfang war das auf jeden Fall ganz nett und Fans des gepflegten Goth-Rocks kamen bei diesem Auftritt definitiv auf ihre Kosten.

 Rabia Sorda

Zurück im Hangar wurde es nun wieder elektronisch: Rabia Sorda, das Soloprojekt von Hocico-Frontmann Erk Aicrag, hatte nach drei Jahren intensiver Gärung letztlich Gestalt angenommen und mit dem Album "Metodos del Caos" Bühnenreife erlangt. Entsprechend seiner energiegeladenen Shows mit Hocico, waren die Erwartungen des Publikums an Erk und seinen Auftritt hoch gesteckt. Dicht an Dicht drängten sich die Fans im Hangar und reckten ihre Hälse gespannt in Richtung Bühne. Wer allerdings auf eine mexikanische Tracht Prügel mit akustischen Peitschenhieben aus war, sah sich ein wenig getäuscht, da Erk mit Rabia Sorda keineswegs beabsichtigte die brachialen Klanggewalten seines Partners Racso Agroyam (Dulce Liquido) zu entfesseln, sondern verstärkt auf organische Klänge und klassisches Songwriting setzte

Mit einem Live Drummer und Keyboarder bewaffnet machte sich der drahtige Mexikaner ans Werk dem M´era Luna seine Vision von elektronischer Tanz-
musik schmackhaft machen und lag mit dem feurigen Opener "Walking On Nails" schonmal ganz ordentlich im Rennen. Natürlich profitierte Erk eindeutig vom Hocico-Bonus der ihm Meilenweit voraus geeilt war, aber in der Liebe und im Showgeschäft sind eben alle Mittel erlaubt, und so störte es wenig, dass sich Erk mal ungewohnt entspannt aber trotzdem griffig für sein Publikum in die Riemen warf und bewies, dass hinter dem infernalischen Gebrüll bei Hocico sogar ein recht brauchbarer Sänger steckt.

Trotz der reduzierten Drehzahl schob Erk den Karren kräftig an und brachte mit "Save me from my curse" die Wände zum Wackeln. Nachdem ich mich im Vorfeld nicht unbedingt mit Rabia Sorda auseinandergesetzt hatte und daher frei von Erwartungen in dieses Konzert gestolpert war, muss ich zugeben, dass mir Erks gemilderte Variante des Hocico Soundschemas mit gemäßigten Vocals und treibenden Grooves um Längen besser gefiel als ihr überdrehtes Original. Den Stimmen in den Foren nach zu Urteilen hätte es insgesamt zwar gerne Tick zackiger zugehen dürfen aber wenn man mal ehrlich ist, existieren Hocico schon und es muss auch nicht immer Chili sein! Oder?!

 The Crüxshadows

Draußen trat das M´era Luna derweil so langsam in seine „heiße“ Phase ein. Nicht nur dass die Nachmittagssonne unbarmherzig vom Himmel knallte und manch liebevoll gestaltetes Styling im Schweiße des Angesichts zerfloss, auch die musikalischen Einschläge kamen mit den Crüxshadows nun spürbar dichter. Zwar gaben sich die sympathischen Amerikaner um ihren Klettermaxe Rogue nicht zum ersten Mal in Hildesheim die Ehre, doch ihr heutiger Auftritt war in gewisser Hinsicht mit besonderen Emotionen verbunden. Geigerin Rachel McDonnell hatte bereits vor einigen Monaten ihren Ausstieg angekündigt und die heutige Show würde für ihre europäischen Fans die letzte Gelegenheit sein die eiserne Lady live zu erleben! Irgendwie schade!

Wer aber nun dachte die Amerikaner würden deshalb mit hängenden Köpfen auf die Bühne trotten, bewertete das ganze über. Es ist eben nicht alles Trübsal was geblasen wird und so stießen die Crüxshadows nach einem kurzen Intro gewohnt schwungvoll ins Horn. Es hätte auch irgendwie nicht zur kühlen Bühnen-Rachel gepasst ihr Abschiedsspiel in einen Trauerzug zu verwandeln. Dann noch lieber hoch die Tassen und mit fliegenden Fahnen in den Sonnununtergang reiten.

Ohnehin dürfte es den Crüxshadows momentan schwer fallen bedröppelte Minen aufzusetzen. Ihr aktuelles Album „Dreamcypher“ schlug bei den Fans weltweit ein wie eine Bombe und mit der Single "Sophia" gelang ihnen sogar der Durchbruch in den heimischen Charts, wo sie auf einen Schlag Beyoncé und Nine Inch Nails auf die Plätze verwiesen. Dazu noch eine erfolgreiche Tour durch Europa, ein Auftritt in China und trotz heftigster Strapazen ein perfekter Auftritt beim Wave Gotik Treffen in Leipzig. Was braucht eine Band mehr um glücklich zu sein? Natürlich, das M´era Luna!

Bei bestem Open-Air Wetter eröffnete die Shadows, dem Event angemessen, mit ihrem Kronjuwel "Sophia" und rissen das Heft umgehend an sich, während Rogue in freudiger Erwartung einer neuerlichen Kletterpartie zur Hochform auflief. Wie in Trance tanzte der Crüxshadows-Chef über die Bühne, um sie fortan bis in den entlegensten Winkel zu erkunden. Länge, mal Höhe, mal Tiefe! Und so sollte es nicht lange dauern, bis der Mann aus dem sonnigen Florida, den sie hier schon den "Kraxelhuber von Hildesheim" nennen, einen kleinen Ausflug unternahm und singenden Schrittes die obersten Sprossen des Bühnenmastes erklomm. Jetzt fehlte nur, dass er anfing zu jodeln oder es seinem Landsmann von "Fair to Midland" gleich tat und mit einem Satz an die Lichttraverse sprang.

Dem Leben zugewandter als dem Tode verzichtete Rogue aber lieber auf diesen Stunt und kehrte wohlbehalten von seinen Ausguck zurück, um mit dem Publikum etwas näher auf Tuchfühlung zu gehen. Gerade wieder den Boden unter den Füssen verspürt, hüpfte Rogue mit einem Satz in den Bühnengraben und stieg auf den Tritt des Wellenbrechers, mitten hinein in das Gewühl aus Händen, als ihm von jemand eine schwarze Rose reichte.

Während Rogue sich einen Moment fühlen durfte wie Karel Gott in Frankreich, sorgten die beiden Tänzerinnen Jessica und Sarah ein Stockwerk höher in der Männerwelt für Erbauung. Gut, dass die zwei auch früher schon unter die Waffenscheinpflicht fielen ist allgemein bekannt aber die Outfits in die man Sie heute gezwängt hatte, erfüllten definitiv den Tatbestand von "weapons of mass destruction", ohne dabei nun weiter ins Detail zu gehen ;)

Mit ihrer Songauswahl suchten Rogue und Co. heute in Festivalüblicher Manier den direkten Weg zum Ziel: 45 Minuten sind eben nicht viel, wenn man mindestens ein Dutzend kampferprobter Hits in der Hinterhand hat, die sich mit neuem Material um die Vorherrschaft balgen. Also reduzierten die Shadows ihre Show auf das wesentliche und brachten unter anderem mit "Sophia", "Solus", "Ariadne" und "Birthday", sowie den Hits, "Deception", "Winterborn" und "Marilyn my Bitterness" zu gleichen Teilen Neues wie Bekanntes aufs Tablett. Eine salomonische Entscheidung, mit der das M´era Luna bestens leben konnte.

Alles in Allem überzeugten die Crüxshadows in Hildesheim wieder mal auf ganzer Linie. Wer bei dem derzeitigen Lauf der Amerikaner auch ernsthaft etwas Gegenteiliges erwartet hatte, läuft vermutlich mit Scheuklappen durch die Musikszene. Nur die Tatsache, dass Rogues Klettereinlagen mittlerweile zum Standard gehören und einen dadurch nicht mehr so recht vom Hocker hauen, lassen die Frage gestatten, wie er das in Zukunft toppen will. Mit etwas Glück sehen wir ja die Crüxshadows in einem oder zwei Jahren wieder und erleben dann vielleicht seine Antwort. Bis dahin bleiben wir gespannt und lassen uns überraschen!

 Der Soundcheck of Death!

Ich weiß nicht ob es Euch aufgefallen ist aber fandet Ihr es dieses Jahr nicht verdächtig still auf dem M´era Luna? Genau, Medusa unsere moderierende Alarmsirene hatte es nach drei Jahren stürmischer Proteste endlich aufgegeben dem Publikum zu erzählen, was es meist eh schon wusste und war heuer nur als Djane zugegen. Ein bisschen leiden durften wir aber trotzdem, beim Soundcheck der 69 Eyes, als eine junge Dame Jyrkis Mikrofon einzupegeln versuchte. Angefangen in den höheren Tonlagen, was alleine schon merkwürdig genug klang, wechselte sie kurz darauf und versuchte mit den Worten "Jötz spröch öch mal möt tüfer Stümmö" Jyrkis Tonlage nachzuahmen als würde Tiffy aus der Sesamstraße gerade Samson imitieren. Die unfreiwillige Komik mit der dies von Statten ging lieferte mal wieder den besten Beweis, wieso 90% aller Soundchecks sich auf kurzes Anzählen und "Hey Ho"-Rufe beschränken. Man kann mit alternativen einfach nichts gewinnen!

 The 69 Eyes

Nach dieser drolligen Einlage war es dann auch ganz gut, dass die 69 Eyes gewöhnlich mit einem stimmungsvollen Intros in Ihre Show beginnen. "Cry Little Sister" aus dem Soundtrack des 80´s Vampirklassikers "Lost Boys" übernahm abermals diesen Job und fokussierte die Aufmerksamkeiten in Richtung Bühne, wo die Helsinki Vampires nun aus der Tiefe des Raumes in Erscheinung traten.

Wer sie bereits auf der Frühjahrstour oder in Leipzig gesehen hatte wusste, dass die Eyes in diesem Jahr den Rock´N´Roll mit dem Nutellalöffel gefressen haben und konnte sich entsprechend auf den energischen Antritt der Finnen einstellen. Alle anderen wurden von den Eyes erstmal der Reihe nach überrollt und anschließend nach allen Regeln der Kunst gerockt. Voilá Rock´N´Roll!

Mit dem Opener "Devils" und der anschließenden zweiten Single ihrer aktuellen Albums "Angels", "Never Say Die", zogen Jyrki, Jussi, Bazie und Co. genau die richtigen Asse aus dem Ärmel, um das M´era Luna in eine Sommer Open-Air Rockparty zu verwandeln. Angespornt vom Jubel der Fans drehten die Finnen danach aber erst richtig auf, mit Jyrki, der seinen Mikroständer huckepack trug, Archzie auf der Suche nach alternativen Backgroundgesangtechniken, Timo Timo als spreizbeiniger Oberposer, dem stoischen Bazie und last but not least einem völlig außer Kontrolle geratenen Jussi, der sich beim Blick auf die tobenden Massen erstmal einen Stick vor die Hose hielt und mit eindeutigen Bewegungen seiner Freude Ausdruck verlieh. "Sex sells" eben, so war das schon immer und so wird es voraussichtlich wohl auch bleiben, gelle? ;)

Mit der Uhr im Nacken, ging es weiter Schlag auf Schlag. Hatten die Finnen
schon auf der Tour mit einem ultra kompakten Set ein irrsinniges Tempo angeschlagen, donnerten sie, hier mit Düsentrieb über die Rollbahn. Die
Setlist förderte zwar ohne "Frankenhooker", "Angels" oder "Rocker" nicht
die ganz heißen Nummern zutage, dafür gestaltete sich die Auswahl aber als "nice & smooth", wie die Engländer so schön sagen. Alles eine Welle! Mit dem Hitkonzentrat aus biologisch abbaubaren Cerialienriegeln, wie "Dance D´amour", "Feel Berlin", "The Chair", "Wings & Hearts" oder der Quotenballade "Sister of Charity", die zu meinem Verdruss schonwieder den Vorzug vor "Star of Fate" erhielt. Schweinebande, elende! ;)

Einer der größten Pluspunkte dieses Konzertes war jedoch Jyrkis Bestreben, in der Weite des Geländes den Publikumskontakt zu behalten. Wo andere an diesem Wochenende schonmal versagten, ihr Programm herunter spulten und gingen, nahm sich der Eyes Fronter trotz der Hektik immer wieder Zeit die Fans anzusprechen und beispielsweise über die früheren Auftritte der Eyes auf dem M´era Luna zu schwadronieren: "Wie oft waren wir jetzt schon hier, drei mal? Achnee 4! Naja, das erste mal war eh nicht so prall..." ;)

Während des Schlussdrittels zogen die Eyes dann weiter die Daumenschrauben an: "Brandon Lee", "Perfect Skin" und "Lost Boys" markierten den würdigen Abschluss der gelungenen Show und zeigten dass die Helsinki Vampires nicht nur ihr Image als Düsterrocker verkaufen können, sondern auch amtlich in die Saiten hauen. Wem das nicht reichte oder schon zu viel war, selber Schuld! Nicht wahr, In diesem Sinne: "You gotta feel M´era Luna! Wimps and posers leave the hall!".

 Skinny Puppy

Heimlich still und leise bog das M´era Luna allmählich auf die Zielgerade ein, wobei diese Attribute Skinny Puppy in etwa so zutreffen beschreiben, wie maikühl die tiefste Sahara. Als Elektrogötter gepriesen, blicken die Kanadier mit ihrer 25jährigen Bandgeschichte nun auch schon auf eine stattliche Spur der Verwüstung zurück, mit der sie heute zu einflussreichsten Bands im Elektro- und Industrialsektor zählen.

Nachdem cEvin Key und Nivek Ogre Mitte der 90er Jahre getrennter Wege gingen, schien das Schicksal von Skinny Puppy besiegelt. Während Key als "Scaremeister" sein Heil in der Filmbranche suchte, widmete sich Ogre eigenen Projekten und veröffentlichte unter dem Projektnahmem "ohGr" 2001 und 2003 zwei Alben. Dem zwischenzeitlichen Aus der Band folgten jedoch erste Live-Aktivitäten zu Beginn des neuen Jahrtausends, welche schließlich 2003 in dem Entschluss gipfelten, mit "The greater wrong of the right" ein neues Album zu produzieren und wieder verstärkt zu touren, wobei 2005 auch das M´era Luna erstmals die Gelegenheit bekam Skinny Puppy als Headliner zu featuren, welche mit ihrer abgedrehten Show aus Elektrokutter-Soundcollagen, Kunstblutschmaddereien und Ogre´s merkwürdigem Bibokostüm prompt für regen Diskussionsstoff sorgten.

Heuer, im Jahre 2007, sind wir inzwischen wieder einen ganzen Schritt weiter und aus dem Headlinerspiel von Skinny Puppy wurde ein sonniger Gig am späten Sonntagnachmittag mit dem neuem Album "Mythmaker" als musikalischem Anreiz in der Hinterhand.

Während Key hinter seiner Technoburg Stellung bezog, enterte Ogre als apokalyptischer Endzeitschamane, von grimmig donnernden Beats begleitet,
die Bühne. Einen Arm in elefantendicke Mullbinden gehüllt, das Gesicht kalkweiß, die Brust mit Schläuchen und Armaturen behängt, bot sich dem Zuschauer eine verstörende Szenerie in der man sich fast schon denken konnte, wozu die eigens aufgestellte Leinwand dienen würde.

Mit "UgLi" als Opener offerierten Skinny Puppy gleich zu beginn ein amtliches Brett, bei dem strenge Vertreter der katholischen Kirche vermutlich vor Schreck in Ohnmacht gefallen währen: "Jesus wants to be ugly" wiederholte Ogre immer und immer wieder, während er schleudernd ein schwarzes Kreuz in seine Bestandteile zerlegte, es aufhob, mit diabolischen Grinsen verkehrt herum wieder zusammensteckte und wie eine Trophäe vor sich her trug.

Anschließend wurde es Zeit die Leinwand einzuweihen. Zunächst hinter Ihr verschwindend, versuchte sich Ogre wie ein Geist durch den Stoff hindurchzuarbeiten, bis die ersten verräterischen Flecken zum Vorschein kamen und sich das Weiß mehr und mehr rot färbte. Mit blutverschmierten Händen kam Ogre hinter der Leinwand hervor, riss sich sein Hemd in Fetzen und taumelte schon bald wie angeschossen über die Bühne, während die Leinwand mit jedem Kontakt immer martialischere Anblicke bot.

Würde es bei Live-Gig nur um die Show gehen, hätten Skinny Puppy für ihren visuellen Horrortrip einen Oscar verdient, zumal sie als Väter des Gedankens im Vergleich zu platten (aber nicht uncoolen) Splatterorgien á la Agonoize noch durchblicken ließen, wo Kunst endet und Kitsch beginnt. Ob man aus Sicht eines Die-Hard Skinny Puppy-Fans mit dem Auftritt zufrieden sein konnte entzieht sich hingegen ein wenig meiner Urteilskraft. Hier fehlt es mir dann doch an entsprechenden Vergleichsmöglichkeiten. Die Songauswahl gestaltete sich jedenfalls mit Nummern wie "Tormentor", "Politikil", "Pedafly", Worlock", "Amnesia", „Hardset Head“ oder "Haze" als bunte Mischung und im Vergleich zu anderen Bands aus dem Elektroniksektor hoben sich die Kanadier damit allemal vom Gros der Masse ab. Wer hingegen auf musikalisches Fast Food á la Combichrist und EBM-Gehacke aus war, zog genervt von dannen.

Utopische Kakophonien entsprechen eben momentan wenig dem Zeitgeist und das bekamen Skinny Puppy zum Teil auch zu spüren. Von überwältigender Stimmung im Sinne einer überbordenden Pogoparty konnte insofern nicht unbedingt die Rede sein. Einzig  vor der Bühne flog anständig die Kuh, was der Band ausreichte um ihre Deadline großzügig zu überziehen und den Rest der Bande noch ein wenig zu quälen :).

 Deine Lakaien

Ach herrjeh, jetzt wirds doch tatsächlich schon ernst im August! 20 Jahre elektronischer Avantgarde bereiteten sich darauf vor binnen 75 Minuten verpackt, geschnürt und als symphonisch orchestrales Gesamtkunstwert dem M´era Luna präsentiert zu werden, mit „Deine Lakaien und der neuen Philharmonie Frankfurt“:

In seinem unermüdlichen Bestreben, die Grenzen des Machbaren zu erforschen, hatte sich Ernst Horn als musikalischer Kopf von Deine Lakaien im vergangenen Jahr seiner bislang größten Herausforderung gestellt und anlässlich des 20jährigen Bandjubiläums ausgewählte Stücke für ein Symphonieorchester umarrangiert. Dabei entstand ein ambitionierten Werk mit dem es Horn gelang eine vollkommene Symbiose aus klassischen Elementen und Elektronik zu erzeugen, die im Rahmen einer inzwischen legendären Orchestertournee im Februar diesen Jahres Premiere feierte. Von Standing Ovations begleitet, spielten die Lakaien binnen einer Woche vor mehr als 13.000 Besuchern in größtenteils ausverkauften Konzertsälen und eine DVD verbreitete im Anschluss an die Tour den Mythos der Konzerte in den heimischen Wohnzimmern. Grund genug für das M´era Luna, sich die Lakaien mit ihrem Meisterstück auf die Bühne zu holen und den Spirit dieses Projektes einer breiten Masse zugänglich zu machen.

Aber konnte das überhaupt funktionieren? Ein Orchester auf einem Gothic Open-Air?

Zumindest das Interesse an dem Auftritt war in der Tat immens. Derartige Menschenmassen wie sie zur Stunde vor der Bühne harrten, hatte das M´era Luna am ganzen Wochenende noch nicht gesehen. Dicht an dicht warteten die Fans gespannt auf das Außergewöhnliche. Doch der schöne Schein sollte sich schon bald trüben.

Zunächst einmal betraten Alex Veljánov, in rotem Samt, und Ernst Horn mit ihren Musikern unter großem Applaus die Bühne. Dazu gehörte neben der neuen Philharmonie Frankfurt natürlich die Stammbesetzung, bestehend aus ex-Cellopunker B.Deutung, den Geigerinnen Ivee Leon und Sharifa, sowie Robert Wilcocks mit amtlicher Silbermähne an der Gitarre.

Doch schon beim ersten Stück "Over and Done" taten sich die Probleme auf, mit denen der Auftritt dauerhaft kämpfte: 1. die Sicht: Gesetzt den Fall man gehörte nicht zu den Glücklichen, die einen Platz im vorderen Mittelfeld vor der Bühne ergattert hatten, bekam man vom Orchester kaum etwas zu sehen. Die Höhe der Bühnenkante verdeckte im vorderen Zuschauerbereich nahezu die komplette Mannschaft, sodass außer der Frontriege um Alex und Co. kaum jemand übrig blieb. Wer hingegen aus der Entfernung versuchte dem Orchester auf die Finger zu schauen hatte es ebenfalls schwer, es sei denn er hatte einen Feldstecher parat.

Wirklich dramatisch wurde es allerdings erst bei der Akustik: wie sich heraus stellte, hatte das Orchester dem dröhnenden Restlärm aus Richtung Hangar nichts entgegen zu setzen. Wo Veljánov und Horn mühsam versuchten eine Atmosphäre aufzubauen, walzten die parallel spielenden IAMX mit ihrem Radau alles nieder nieder und ließen zumindest für die seitlich stehenden Fans die fragile Sound-
kulisse der oftmals ruhigen Stücke wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen.

Erst nach einer knappen halben Stunde drehte man der Konkurrenz den Hahn ab, was Alex mit einem bissigen Satz der Marke "Endlich ist da drüben mal Ruhe" quittierte. Da war es für einen Teil des Publikums aber schon zu spät, zumal sich noch immer die weiter entfernten Fans über den leisen Sound beklagten. Wer nicht gerade im Zentrum vor der Bühne stand hatte kaum eine Chance das Konzert richtig Umfang zu genießen. Leider

Abseits der produktionstechnischen Mängel stand die Darbietung der Musiker natürlich auf einem ganz anderen Blatt. Die Verschmelzung moderner Elemente mit dem Orchester funktionierte ausgesprochen gut und rückte die Songs der Lakaien, ähnlich der Akustiktour vor einigen Jahren, in ein völlig neues Licht. Neben vielen stillen Momenten, in denen man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören konnte (bzw. den Hangar) und verspielten Klangexperimenten, fanden sich auch die großen Momente in denen Paukenschläge majestätisch aufbrachen, während Alex wie ein König über allem thronte. Ein solches Maß an Dynamik kann eben nur ein Orchester erzeugen.

Und Ernst? Der ging in seiner Musik voll und ganz auf. Es war vielleicht etwas ungewohnt ihn mal nicht wie eine 8armige Keyboardkrake in seinem Labor wirbeln zu sehen, doch seinen Spaß an der Musik konnte ihm keiner nehmen. Als Dirigent mit goldener Methusalix-Matte, lotste er „Selig-Selig“ lächelnd die komplette Mannschaft durchs Programm, das einen guten Querschnitt aus 20 Jahren Deine Lakaien zeigte und alten Juwelen wie "Brain fic" oder "Follow me" ebenso Platz bot, wie der versammelte Klassikerriege aus "Reincarnation", "Mirror Men", "Dark Star", (mittlerweile auch) "Return" und natürlich "Love me to the End".

Daher zeigte sich das Publikum alles in allem versöhnlich und vermochte die musikalische Leistung der Lakaien durchaus vom organisatorischen Rahmen zu trennen. Vom Jubel der Massen begleitet verabschiedeten sich die Musiker von der Bühne und beendeten damit ihren Auftritt, der trotz aller Hürden in seiner Eigenen Liga spielte und sich mit nichts auf dem Festival vergleichen ließ.

 M´era Luna, over and done?

Mit dem Abgang von Deine Lakaien wartete nun auf die Stage-
hands einiges an Arbeit. 35 Minuten blieben, um das komplette Orchester von der Bühne zu tilgen, die Schateken von The Jesus and Mary Chain aufzubauen und noch einen halbwegs brauch-
baren Soundcheck zu absolvieren. Durchaus eine Aufgabe von sportlichem Ehrgeiz, die die Crew mit bravour Bestand. Nur wofür?

Seit 1999 war ich nun jedes Jahr zu Gast in Hildesheim aber Szenen wie die nun folgenden, habe ich so noch nie erlebt:
Kurz nachdem Deine Lakaien von der Bühne entschwanden, löste sich auch das Publikum regelrecht in Luft auf. Keine 5 Minuten dauerte es, bis der Platz, der eben noch mit Menschen übersät war, einer Mondlandschaft gleichkam. M´era "Luna" mal anders...aber GANZ anders! Vielleicht drei-, maximal viertausend Seelen mochten es noch gewesen sein, die augenblicklich vor der Bühne verweilten. Alle anderen hatten sich entweder in Richtung Zeltplatz verkrümelt oder waren weiter zu Anne Clark in den Hangar gezogen. Für "The Jesus and Mary Chain" hingegen interessierte sich nach Headlinermaßstäben kein Mensch. Das mag sich jetzt vielleicht brutal anhören, aber wenn man überlegt, welche Massen eben noch den Laikaien beiwohnten, musste es einem als M´era Luna Fan kalt den Rücken herunter laufen.

Einigermaßen entgeistert über das ungewohnte Bild versuchte ich mir einen Reim darauf zu machen und landete immer wieder bei den vielen Unkenrufe im Vorfeld des Festivals bei denen „The Jesus and the Mary Chain“ alles andere als Headlinerqualitäten zugesprochen wurden. Was hatte Scorpio sich dabei gedacht das Festival auf diese Weise enden zu lassen? Wollten sie der Abreisewelle zuvorkommen und hatten dafür den eigentlichen Headliner vorgezogen? Oder hatte sich da schlichtweg jemand in der Hausnummer geirrt? Das Ergebnis sprach jedenfalls Bände und kam einer Abmahnung für die Programmplaner gleich.

 The Jesus and Mary Chain

Entgegen aller Vorzeichen zogen "The Jesus and Mary Chain" anschließend ihre Show eisern durch, was angesichts einer belebten Vergangenheit, in der die Schotten auch mal 30 Minuten mit dem Rücken zum Publikum aufgetreten waren, nicht selbstverständlich erscheint. Die Wenigen die noch vor der Bühne standen konnten ja auch nichts dafür, dass die anderen sie im Stich gelassen hatten und sollten daher wie die Legionen vor ihnen das Recht auf eine gute Show behalten.

So stellte sich heraus, dass es „The Jesus and Mary Chain“ mit ihrem Anfang des Jahres gestarteten Comebackversuch überraschend ernst meinten und der Zahn der Zeit weit weniger an den Gebrüdern Reid genagt hatte, als der magere Zulauf es einem glauben machen wollte. Im Gegenteil. Als die Sache erstmal rollte, ließen sich die Väter des wegweisenden Albums „Psychocandy“ sogar recht launig an und wer dachte, dass das restliche Publikum nur aus Altgruftis und 80er Jahre Relikten bestand, sah sich komplett getäuscht. Bunt gemischt fand sich alles vertreten und nutzte den vorhandenen Platz zum Abtanz in die Nacht, bevor um 22 Uhr in Hildesheim der große Zapfenstreich geblasen wurde.

Letztlich konnten aber auch diese versöhnlichen Szenen und der professionelle Angang der Band nicht darüber hinweg täuschen, dass sich die Jungs bei FKP Scorpio mit der Wahl des Abschlusskonzert komplett verzockt hatten und damit das M´era Luna schon vor dem offiziellen Ende beerdigten. Zwar füllte sich der Platz nach dem Ende des Anne Clark Konzertes noch etwas, doch der Drops um den es dabei ging war längst gelutscht!

 Endspiel in Hildesheim!

Da der Abspann des Festivals im Grunde schon lief, begab ich mich irgendwann gegen Viertel vor Feierabend auf den Weg Richtung Ausgang. Zwei aufregende Tage in Hildesheim waren mal wieder wie im Fluge vergangen und ein bisschen Wehmut erfasste mich bei dem Gedaken, nun wieder ein volles Jahr auf ein weiteres M´era Luna warten zu müssen.

Inmitten seines Trubels und des Großaufgebotes auf beiden Bühnen, ist dieses Festival einfach immer wieder der Dreh- und Angelpunkt für ein alljährliches Familientreffen der schwarzen Szene. Kaum anderswo trifft man derart viele Bekannte und altgediente Szeneanhänger wie hier, rund um den Flugplatz zu Hildesheim. Das verbindet das macht Spaß!

Viel wurde dieses Jahr im Vorfeld über das Festival diskutiert und wenig davon klang positiv. Nun, da das Festival Geschichte ist drängt sich die Frage auf: war wirklich alles so schlecht, wie manche es reden wollten? Ich denke nicht! Vor allem in Punkto Organisation spielte das M´era Luna mal wieder in seiner eigenen Liga. Nirgendwo sonst werden 20.000 Musikfans derart reibungslos bedient, wie in Hildesheim. Angefangen bei der Top-Security, die seit Jahren freundlich aber bestimmt ihres Amtes waltet, über die schnelle Reaktion des Veranstalters als das Gelände in den Fluten zu versinken drohte, die flexiblen Einhaltung des Zeitplans als Animal Alpha wegbrachen, bis hin zur Informationspolitik und den regelmäßig gesäuberten Dixi-Toiletten gab es nichts Erwähnenswertes zu bemängeln. Nach 8 Jahren M´era Luna funktioniert die Organisation wie ein Uhrwerk, was dem gesamten Team in den entscheidenden Momenten die Übersicht verschafft richtig und vor allem schnell auf Probleme zu reagieren. Absolut Spitze!

Darüber hinaus wurden in diesem Jahr neue Konzepte, wie das Chill-Out-Zelt und ein überwachter Grillplatz eingeführt die vom Publikum ebenso begrüßt wurden, wie die längst überfällige Absetzung von Moderatorin Medusa. Selbst in Bezug auf seine Sitzgelegenheiten kam das M´era Luna überraschend milde davon. Vor allem wenn man betrachtet, welche Dresche erst kürzlich die Veranstalter des Amphi Festivals bezogen hatten, weil die gebotenen Sitzmöglichkeiten desöfteren belegt waren. In Hildesheim hätte sich um ein Haar die ganze Meute in den Schlamm hocken müssen und wirklich daran gestört haben sich die wenigsten. Ist ja auch nichts passiert, gelle?

Dafür bekamen es die Caterer in diesem Jahr verstärkt mit
dem Volk zu tun. Vielerorts beklagten sich Besucher über ein schlechtes Preis-Leistungsverhältnis, trockene Speisen und abgestandenes Bier. Nun kann ich in Bezug auf die Qualität des Essens nicht mitreden, da ich selber nichts von alledem probiert habe, was die Getränke anbelangte besteht jedoch in der Tat  Diskussionsbedarf. Ist es wirklich notwendig 2,80 € für einen drittel Liter vorgezapftes Bier oder Alkoholfrei zu kassieren und beim Wasser den Inhalt von 0,3 auf 0,2 Liter zu reduzieren? Auf anderen Festivals gab es vom Publikum schon für weniger die gelbe Karte. Hier sollte Scorpio in jedem Fall ein Auge auf seinen Hauptsponsor Beck´s haben und weiterhin seiner TetraPak- Politik treu bleiben. Sonst könnte die Party irgendwann nur noch auf dem Zeltplatz stattfinden, wo sich die Leute dann zulaufen lassen. Quid pro quo, lautet die Devise! Dann klappt´s auch mit dem Zapfhahn!

Der zweite große Punkt der neben der Organisation über den Erfolg eines Festivals entscheidet ist und bleibt das Programm. Hier zeigte das M´era Luna im Hinblick auf sein Stammpublikum in diesem Jahr ungewohnte Schwächen. „Tool“ und „The Jesus and Mary Chain“ sorgten als Headliner vorab für Unzufriedenheit beim Publikum und servierten  damit Veranstalter FKP Scorpio gleich in doppelter Hinsicht die Rechnung. Während die Hildesheimer Zeitung am Samstag gerade mal 15.000 Besucher gezählt haben will, lag die offiziell bestätigte Zahl mit 19.500 ebenfalls deutlich unter der des Vorjahres und verfehlte sogar die bisherige Mindestmarke von 20.000 Besuchern.

So ernüchternd und kostspielig das musikalische Experiment aus der Veranstalterperspektive gewesen sein wird, diejenigen die dennoch nach Hildesheim gepilgert waren, profitierten natürlich von der Situation. Das Gelände wirkte mit Ausnahme des Auftrittes von Deine Lakaien bei weitem nicht so überfüllt wie in den letzten Jahren und das Platzproblem im Hangar fand bis auf wenige Konzerte nicht statt. Sollte das das Ziel gewesen sein, könnte man sogar von einem Erfolg sprechen.

Und überhaupt, waren die aufgebotenen Bands wirklich so mies oder hatten die knapp 20.000 nicht doch ihren Spaß? Natürlich hatten sie! Obwohl der Samstag sicher seine Ecken und Kanten hatte und man die Bühnenbelegung vielleicht etwas anders hätte verhandeln sollen, fand sich hier ein gutes Dutzend sehenswerter Auftritte, einschließlich solcher Überraschungen, wie The LoveCrave, die sich als Opener für höhere Aufgaben empfahlen oder Peter Tägtgrens Pain. Covenant, Schandmaul und And One feierten riesige Partys unter freiem Himmel und Suicide Commando klopften den Hangar weich, wie ein Wiener Schnitzel. Selbst Tool setzten ihren Starallüren eine starke Leistung auf der Bühne entgegen, sodass man auch hier von einem gelungenen Konzert sprechen durfte. Dass sie nicht zum M´era Luna passten stand auf einem anderen Papier.

Und der Sonntag? Abgesehen von The Jesus an Mary Chain, denen über die Jahre das Publikum abhanden gekommen war, bot der Sonntag volles Programm: Wer es rockig liebte verweilte bis zum späten Nachmittag an der Hauptbühne bei Krypteria, Lacrimas Profundere oder den 69 Eyes, während die Elektronikfans mit Angels & Agony, Diorama, Rabia Sorda, Welle Erdball und 32 Crash dem Nebenprojekt von Front 242 Sänger Jean-Luc DeMeyer abwechslungsreiche Kost geboten bekamen. Warren Suicide zeigten darüber hinaus am Mittag einen interessanten Stilmix, während Skinny Puppy am Vorabend die Menge mit ihrer abgedrehten Horrorshow unterhielten. Den musikalischen Höhepunkt des Tages lieferten hingegen Deine Lakaien mit der neuen Philharmonie Frankfurt, die trotz akustischer Nierentritte aus dem Hangar am Ende vom Publikum für ihr Meisterstück umjubelt wurden.

Trotz seiner vielen guten Momente wird sich das M´era Luna Programm im kommenden Jahr wieder schlüssiger präsentieren müssen. Bands wie Dir En Grey, Tool oder Fair to Midland gehören ungeachtet ihrer musikalischen Qualität nicht nach Hildesheim und wenn das M´era Luna seine Spitzenposition als erfolgreichstes Gothic-Festival behalten will, wird es im kommen Jahr wohl schon einen vernünftigen Headliner präsentieren müssen, um die verlorenen Seelen zurückzugewinnen. Bands wie Nightwish oder Nine Inch Nails würden da sicher helfen.

Letztlich ging das M´era Luna 2007 mit 19.500 Besucher zwar als das kommerziell schwächste in die Geschichte ein. Dennoch sorgten die perfekte Organisation, tolle Auftritte und das optimale Wetter ab Samstag Mittag wieder für ein gelungenes Festival auf dem Hildesheimer Flugplatz, das es trotz der vielen Unkenrufe sein Publikum begeisterte!

 "Bitte rechts anhalten..."

"...Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte!". Wer kennt ihn nicht, diesen Satz, wenn die Herren Grün mit freundlicher Geste winken und einen anschließend bitten mal kurz ins Röhrchen zu pusten! Angesichts des Risikos von Alkohol am Steuer, hatte sich die Hildesheimer Polizei zum Abschluss des M´era Luna noch ein kleines Abschiedsbonbon für die Besucher überlegt und in der Nacht zum Montag bei über 500 Fahrzeugen Alkohol und Dro-
genkontrollen durchgeführt. Für alle anderen endete das Festival entweder mit einer Nacht auf der Autobahn oder in einem Schlafsack auf der Luftmatratze, bis am nächsten Morgen
der Kehraus die letzten Camper vom Zeltplatz fegte und das M´era Luna seine Pforten für ein weiteres Jahr schloss.

Ich für meinen Teil hoffe, ihr hattet ebenfalls viel Spaß auf dem Festival und konntet euch beim Lesen meines „kleinen“ Berichtes das Wochenende wieder angenehm in Erinnerung rufen. Und vielleicht seid ihr ja auch im nächsten Jahr mit dabei, wenn es wieder heißt: "M´era Luna - Das Festival der besonderen Art!"

Euer Ritti!

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