10.08.2008 - 9. M´Era Luna Festival (Hildesheim_Drispenstedt, Flugplatz)

Fortsetzung des ersten Teils! vom 09.08.2008

Selbiger begann gleich mit einem neuerlichen Niederschlag. Dieses Mal gar von ganz oben! Mit erster Kraft aus der Koje gerollt und unter die Dusche gerobbt, folgte mit einem Blick durch das Haustürfenster die Erleuchtung, dass ich mir den Aufwand eigentlich hätte sparen können! Aus trübem Einheitsgrau goss es Bindfäden. Eine schöne Bescherung, besonders beim M´era Luna, einem Festival der alten Schule, dessen Geländestruktur bei Regen nur zu gern sein eigenes Woodstock-Revival zelebriert.

Sumpf oder Sahel?“ lautete schon immer die Frage beim M´era Luna und wie es aussah sollten es in diesem Jahr ein bisschen von beidem geben. Der Regen jedenfalls riss bis Hildesheim nicht ab. Die alternativen Parkplätze waren auch inzwischen belegt und so konnte sie beginnen, die Ride-Rade-Rutschparty auf dem Fliegeracker Hildesheim.

Zu meinem Erstaunen hielt sich der Boden auf den Festivalparkflächen noch recht wacker. Mit ein bisschen Glück würde demnach das große Traktor-Pulling vielleicht ausbleiben. Der Weg zum Gelände machte trotzdem keinen Spaß. Den geplanten Abstecher auf den Mittelaltermarkt schon nach der halben Strecke gecancelt erreichte ich den Ort des Geschehens zwar ohne größere Probleme, dafür aber Nass bis auf die Knochen.

Im Herzen des M´era Luna angekommen, beendeten auf der Hauptbühne gerade die Horrorpunker „The Other“ ihren aus der Ferne launig klingenden Auftritt. „Einen können wir noch, weil wir so schnell gespielt haben“ hörte man es von der Bühne kalauern, somit die Band unumstößlich ihre rheinische Herkunft untermauerte. So fröhlich, bei Dauerregen um diese Uhrzeit, japp das mussten einfach Kölner sein!

High Noon erfolgreich überlebt, stand das Thema Grusel an diesem M´era Luna Mittag ganz groß auf der musikalischen Speisekarte. Insofern machten die US-Amerikaner „Blitzkid“ im direkten Anschluss auf der Hauptbühne ebenso Sinn, wie die nachfolgenden Horrormetaller von „The Vision Bleak“ oder die agonoizesche Splatterdisco im Hangar.

Doch bleiben wir zunächst bei den Amerikanern:

Argyle Goolsby (Bass), TB Monstrosity (Gitarre) und Rhea M (Drums) lauteten die Namen der drei Musiker aus Bluefield / Virginia, deren musikalische Referenzen, ebenso wie bei „The Other“ im Bereich der oft kopierten aber selten erreichten Misfits zu suchen sind. Die Show des Trios, besser gesagt der vorderen zwei erinnerte dagegen unwillkürlich an einen Asterix und Obelix Film. Gitarrist TB - als Kind in den Zaubertrank gefallen - und Asterix Goolsby machten hier aus den Hildesheimer Römern buchstäblich Kleinholz! Blutbesudelt über die Bühne hopsend, von Druidix mit ausreichend Zaubertrank für eine ganze Garnison ausgestattet, ging auf der Bühne gepflegt die Post ab. Gekonnt inszeniert, nebst angespitzter Eckzähne, verbissen sich die Rocker wie ein Pitbull in ihr Publikum. Dabei entpuppte sich Basser Goolsby zunehmend als Sprungwunder olympischen Formats und war mit konventionellen Mitteln kaum zu bremsen.

Angesichts solch roher Gewalt, bekam es selbst der Regengott mit der Angst zu tun und drehte kleinlaut seinen Hahn zu, wenngleich bei näherer Betrachtung auch musikalische Gründe dafür in Frage gekommen sein konnten. So brachte die Show der Amis zwar gehörig Leben in die Bude, doch ob einem das wilde Punkgerupfe des Trios da mithalten konnte, bleibt der Betrachtung des einzelnen überlassen. Das Publikum der ersten Reihen schien sich in jedem Fall prächtig zu amüsieren, während weiter hinten im luftig befüllten Auditorium noch erfolglos der Kater vom Vortag auskuriert wurde.

Wenden wir uns nach Asterix und Obelix nun den Werken Bram Stokers und H.P.Lovecrafts zu, mit „The Vision Bleak“. Allen B. Konstanz und Ulf Theodor Schwadorf, auch bekannt als die John Carpenters und Roger Cormans des Metal - und ich schreibe hier ganz bewusst Metal - kehrten nach dreijähriger Abstinenz mit ihrem inzwischen dritten Album „The Wolves Go Hunt Their Prey“ nach Hildesheim zurück, um den dunklen Seelen am hellichten Sonntagnachmittag einen wohligen Schauer über den Rücken zu jagen.

Bemerkenswerter Weise landeten Herr Schönemann und Herr Stock (so die bürgerlichen Namen der beiden Klangschmiede) mit ihren Mannen nach mehreren Zeitplanumstellung nahezu an der gleichen Spielposition wie 2005, bei praktischen identischem Wetter. Ein Dejá vu? Nicht ganz! Denn 1 fehlte die Medusa, bzw. sie „glänzte durch Abwesenheit“, und 2. lieferte statt dessen ein vereinzelter Herr der Vision Bleak Crew den obligatorischen Mikro-Check des Wochenendes. Eine Phänomen, nach dem man auf großen Festivals sprichwörtlich die Uhr stellen kann. Irgend einen Scherzkeks gibt es so einem Wochenende immer, der mit drolligen Sprüchen oder banalen Schüttelreimen seine 15 Seconds of Fame für sich beansprucht.

Angeführt von dieser kleinen Sondereinlage, begann das sinistre Spiel mit „The Demon Of The Mire“. Dabei finde ich es mitunter schon erstaunlich, welche Abgründe sich zwischen den einzelnen Gigs so auftun, wenn man eine Band nur alle Jubeljahre mal zu Gesicht bekommt. Oft im Negativen, im Falle von The Vision Bleak jedoch absolut im positivsten Sinne:

Wenn mir 2005 auf dieser großen Bühne eines gefehlt hatte, dann der Kontakt zum Publikum. Ein im Tageslicht kühl und leblos wirkender Gig hatte mich seinerzeit etwas enttäuscht zurückgelassen. Doch davon war heute nichts mehr zu spüren. Bereits während des Soundchecks ließ sich aus Schwadorfs Bleich-Gesicht die Spiellaune ablesen und auch Konstanz enterte die Bühne wie ausgewechselt. Grimassierend und das Publikum bölkend in Stimmung feuernd, gefiel sich der Sänger in der Rolle des Antreibers und Entertainers. Dass er dabei gelegentlich wie eine Stimmungskanone aus dem Musikantenstadl rüberkam, störte wenig. Da hatte einer Spaß bei der Arbeit und gab sich keinen Zwängen hin, diesen nicht mit der Umwelt zu teilen.

Doch zurück zur Musik: Mit der Wandlung The Vision Bleaks weg von Keyboard bestimmten Goth-Rocksounds, hin zu stärker gitarrendominierten Songs, durfte sich das Live-Quintett als einzige Band des Wochenendes den Schwermetall-Stempel aufdrücken. Ein musikalischer Gewaltmarsch im Vergleich zu vielen Standgasmetallern, die das M´era Luna immer wieder aufzufahren versteht. Derart saftige Gitarren bekam man höchstens noch beim gestrigen Moonspell-Gig um die Ohren geballert. Womöglich war das auch der Grund, weshalb das Publikum sich eher mäßig für den Gig interessierte, stehen finstere  Gitarrenwände derzeit doch nicht gerade ganz oben auf der allgemeinen Geschmacksskala. Ich zumindest bildete mir ein, beim letzten Mal eine größere Menge Publikum vor der Bühne erspäht zu haben. Dabei gab es an dem Auftritt, wie die aktiven ersten Reihen belegten, nichts auszusetzen. Mit dabei ein Einblick in die „Black Pharaoh Trilogy“, Carpathia und das entsprechend angekündigte: Kutulu! (Könnt Ihr Kutulu sagen?) – in Anlehnung an H.P. Lovecrafts Cthulhu Mythos.

Von den nekrophilen Kalkleisten nun zu ernsteren Themen, wie dem Bedürfnis zur Kopulation im Kontext zeitgenössischer Paarungstriebe, besser bekannt als „Agonoize“. Binnen kürzester Zeit von ganz unten nach ganz oben geschlafen, zählen die Berliner Electroproleten, um Frontstiefel Chris L. zu den wahren Göttern der Pornographie. Eine Hand am Sack, die andere an der Kunstblutpumpe, hatten Agonoize noch nie Probleme, auch unter den hartgesottensten Electrojüngern noch für Aufsehen zu sorgen. Daran sollte sich auch heute nichts ändern. Im Gegenteil: der prall gefüllte Hangar platzte schier aus allen Nähten und wer erstmal drin war, gehörte schon zu den Privilegierten. Der Andrang für das Konzert der Berliner erstreckte sich weit über die Grenzen von Gut und Böse hinaus und sollte noch für einigen Wirbel sorgen..

Um einen großen Auftritt selten verlegen begrüßten Agonoize ihr Publikum mit der protzigsten aller Einmarschhymnen, dem „Imperial March“ aus Krieg der Sterne. Derart auf das pure Böse eingeschworen, konnte hier eigentlich nichts mehr schief gehen. Johnson und Senger. an den Keys, Chris L. vorneweg, machten Agonoize binnen Sekunden die komplette Halle dem Erdboden gleich. Ganz zu schweigen von den bemitleidenswerten Hütern der Pole-Position, direkt am Wellenbrecher, die bei allen Feier-Bemühungen ordentlich was einstecken mussten.

Stumpf ist Trumpf in der Szene, das zeigte sich hier mal wieder sehr anschaulich. Und Agonoize kleckerten nicht, sie klotzten! Speziell in den schmutzigen Momenten wie „Femme Fatale“ oder „Koprolalie“. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn ein ganzer Flugzeughangar voller erwachsener Menschen lautstark „Wenn Du vom Ficken sprichst ist das so schön...“ skandiert.

Leider sparten sie Agonoize ihre berühmt berüchtigte Blut und Schmaddershow heute für die Zeit nach dem dritten Song auf. Sodass ich aus vergleichsweise erbämlicher Position, seitwärts der Bühne, keinen Blick darauf erhaschen konnte. Wohl aber auf die überkochende Stimmung im Hangar, die sich mittlerweile nicht nur in einer stetig steigenden Raumtemperatur manifestierte, sondern leider auch in zunehmendem Gestank aus verbrauchter Luft und menschlichen Ausdünstungen. Kurzum: der Hangar stank wie ein Pavianfelsen! Eine Mischung aus Schweiß, kaltem Rauch und ungeputzten Zähnen, versetzt mit einer Note Käsemauken. Aber wie heißt es so schön? „You gotta fight for your right to party!“...lecker!

Während die wahren Beasty Boys hoffentlich nie von der Verstümmelung ihres Beatbox-Klassikers erfahren, dürften sich die Glamrock-Kasper von Kiss wohl noch darüber freuen, nach Scooter nun auch von Agonoize eine Technoversion von „I was made for loving you“ spendiert bekommen zu haben. Womit wir letztlich zum Kern der Sache vorgedrungen wären, den Gemeinsamkeiten von Agonoize und Scooter. Die einen fröhlich wie Smarties, die anderen „evil as hell“, funktionieren beide Acts doch irgendwie nach der selben Masche. Musikalisch dumm wie Brot und Spaß dabei! Mit naiver Schlichtheit die begeistert! Und so kann ich ohne Reue bestätigen, dass die Berliner ihre Aufgabe in Hildesheim bestens gelöst haben und mit Abstand zu den Gewinnern des Festivals gehörten.

Kurz nachdem Agonoize ihren denkwürdigen Vortrag beendet hatten, sollte sich das komplette Ausmaß der Verwüstung offenbaren. Während zahllose Eisbrecher-Fans in den Hangar drängten, zog es einen Großteil der Elektrojünger vorerst an die frische Luft, was am Eingangstor zum endgültigen Kollaps führte. Rien ne va plus - nichts ging mehr!

Nachdem ein engagierter Besucher dem Security aufgeregt klar machte, dass es dort hinten im Karton gleich rappeln würde, wenn nicht schleunigst jemand eingreife, war schnelles Handeln gefragt, woraufhin fortan ein provisorisch herbeigeholter Gitterzaun den Verkehr in und aus dem Hangar heraus regeln sollte. Der Fehler, der zu diesem Zustand geführt hatte, war dagegen ganz woanders zu suchen. Es sollte jedem halbwegs Szenekundigen klar sein, dass Bands wie Agonoize, Eisbrecher und Combichrist, in dieser Reihenfolge unweigerliche Pilgerreisen zur Folge haben, deren unterschiedliche Teilnehmerschaft zu regem Publikumsverkehr im Hangar führt. Noch dazu wenn eine Band wie Eisbrecher an die frische Luft und nicht in einen stickigen überfüllten Hangar gehört.

Sei´s drum, das Festival musste weitergehen und wer, wenn nicht Eisbrecher, wäre prädestinierter dafür gewesen, den schlingernden Karren zurück in die Spur zu wuchten? Allerdings hatten selbst die bajuwarischen Dampfbolzen anfangs ihre liebe Mühe, dem versammelten CVJM-Camp der vereinigten Combichristen beizukommen, was Eisbrecher Kapitän Alexx Wesselsky immer wieder mit lakonischen Bemerkungen zu karikieren wusste: „Dies, liebe Freunde, ist eine Gitarre! Nur für alle, die sowas heute zum ersten Mal sehen...“. Und Gitarren sollte das Publikum bekommen: „Kein Mitleid“ (für die Electro-Mehrheit), starteten Eisbrecher scharrenden Hufes ins Programm. Ein Dieselross von ungezügelter Kraft! Klingt vielleicht etwas pathetisch, ist aber so! Wenn derzeit eine Band den Bogen raus hat druckvolle NDH-Sounds ungekünstelt auf die Bühne zu dreschen, dann Eisbrecher.

Den Direktvergleich der ersten Reihen verloren sie trotzdem haushoch. Da hatten Agonoize zuvor deutlich mehr Vortrieb erzeugt, da das Gros der Eisbrecher Fans vermutlich noch irgendwo auf halbem Wege im Stau stand, weshalb es weiter hinten in der Halle schon um einiges mehr abging. Auf diesen Schreck genehmigte sich Kapitän Alexx erstmal einen Schluck aus der Jack Daniels Pulle. Ein starker Motor will schließlich geschmiert werden!

Und wie geschmiert lief es auch. Zumindest auf der Bühne. Es zahlt sich eben aus sein Instrument zu beherrschen. So wuschen Noel Pix und Jürgen Plangger dem Elektrovolk als doppelter Gitarren-Whopper gehörig den Kopf, während Alexx seine fast schon fahrlässig lässige Show abzog. Da flogen dann auch schon mal Eispickel krachend auf die Bühne und im Infight auf Tuchfühlung fühlt sich der Hochgeschossene 1,93m Hüne eh am wohlsten! Also nix wie raus auf den Boxenbau und ran an den Feind! „Immer feste druff!“

In der Würze der Kürze beschränkten sich Eisbrecher heute jedoch auf das nötigste. Hatten sie beim Amphi Festival noch 70 Minuten Spielzeit zum Verprassen bekommen, mussten es heute derer 40 tun. So boten Eisbrecher einen Querschnitt ihrer wichtigsten Klopper: „Leider“, „Antikörper“, „Schwarze Witwe“, „Vergissmeinicht“ und “Phosphor”, gefolgt von einem kleinen Ausblick auf das neue Album „Sünde“ mit „Kann denn Liebe Sünde sein“, bevor mit “Mein Blut” und dem guten alten „Miststück“ aus Alexx' Megaherz-Zeiten die Geschichte volle Pulle über die Ziellinie schoss.

Nach knapp zwei Stunden im Zoo-Gehege „Hangar“ hatte ich fürs erste genug gesehen, sodass mir die anschließende Raubtierfütterung mit Combichrist entging. Augen und Ohrenzeugen berichteten später von Wasserdrumming über orgienhafte Zuständen, bis hin zur mutwilligen Zerstörung des Bandequipments. Nicht schlecht Herr Specht! Doch das alles wird zusehends relativ, wenn der Preis für dieses Erlebnis eine weitere Stunde im Mief der Massen bedeutet. Ohne Atemschutz: Nein Danke! Und ich hatte mich schon gewundert weshalb neuerdings so viele damit rumlaufen ;)

Froh wieder heile im Pressezelt angelangt zu sein, erwarteten mich auch hier interessante Neuigkeiten. So machte rasch die Kunde Runde, dass es infolge des Agonoize-Staus auch im Pressezelt zu einer Meuterei gekommen war, bei der ein Dutzend aufgebrachter Fotografen gleichzeitig auf die Pressemitarbeiterin von FKP Scorpio eingestürmt waren, um letztlich erfolgreich den lange verweigerten Backstagedurchgang in den Hangargraben zu erzwingen. Ursprünglich aufgrund von unerlaubten Ausreißern ins Heiligtum des Festivals verwehrt, war mit der Öffnung des Hintertürchens nun auch die letzte Änderung gegenüber des Vorjahres aus den Angeln gehoben und das neue Pressekonzept endgültig über den Haufen geworfen! Das, liebe Skorpione, hättet Ihr wirklich einfacher haben können!!! Schade, dass es so laufen musste.

An der Hauptbühne stieg inzwischen die große Klatschparade von und mit Saltatio Mortis. Von den angesprochenen Programmumstellungen stark begünstigt, diktierten die rockenden Spielleute von erhabener Position aus ihrem Publikum, wie es zu feiern hatte und das funktionierte augenscheinlich richtig gut! Immerhin hatten die SaMo´s mit ihrer aktuellen Langrille „Aus der Asche“ ihr bisher stärkste Album in der Hinterhand, welches sie mit Stücken wie „Prometheus“, „Wirf den ersten Stein“, „Varulfen“ und „Spielmannsschwur“ wohl bewogen in Szene setzten.

Die vollkommene Allzweckwaffe gegen mieses Wetter und üble Laune bot sich hernach mit den Partygaranten Apoptygma Berzerk. Obwohl das norwegische Quartett seine Fans nun bereits seit geschlagenen drei Jahren nach neuem Material schmachten lässt, waren Stephan Groth und seine Jungs auch heute wieder für eine veritable Sause gut. Angeführt von Drummer Frederik, der als erste Amtshandlung seine neue Spiegelreflexkamera am Publikum ausprobierte, traten die Herren mit „Love Never Dies“ sogleich wie die Berserker aufs Gas.

Damit hatte es sich aber auch schon fast mit den erwähnenswerten Details. Denn abgesehen von einem Geburtstagsständchen für Bandoberhaupt Stephan und dem neuen Song „Green Queen“ des in Bälde erscheinenden Albums „Rocket Science“, bezeugten die Fans ein solides Best-of Set, das man so oder so ähnlich auch schon beim letzten M´era-Gig der Band gehört hatte. Spaß gemacht hat das zwar allemal, überraschen konnte es allerdings nicht mehr.

Ganz anders standen diesbezüglich die Aktien für New Model Army. Als Ersatz für die zwischenzeitlich gen Amerika entfleuchten Cello-Rebellen Apocalyptica, fügten sich die Altmeister des Indie-Rocks bestens mit den anschließenden Headlinern „Fields of the Nephilim“. Eine tolle Konstellation, die vor allem bei den Dienstälteren M´era Publikümmern schon im Vorfeld für feuchte Augen gesorgt haben dürfte. Aber Leider zeigte sich auch hier wieder sehr deutlich, was in der Szene heute gespielt wird:

Während nebenan der Hangar darauf wartete, von den mexikanischen Electrowühlern Hocico eingeebnet zu werden, sahen sich Justin Sullivan und Co. einer ähnlichen, wenngleich nicht ganz so extremen Situation gegenüber gestellt, wie im vergangenen Jahr „The Jesus and Mary Chain“. Ergo versammelte sich ein vergleichsweise übersichtliches Häuflein Mensch vor der Mainstage, dessen Quantität der musikalischen Qualität nicht mal Ansatzweise gerecht wurde.

Nach 7jähriger Hildesheim-Abstinenz meldeten sich New Model Army mit energischem Antritt (um nicht gleich Arschtritt zu sagen) zurück. Besser noch, sie erklärten uns mit „Here Comes The War“ den Krieg:

Spielgeil bis in die Haarspitzen, ließ es sich Sullivan nicht nehmen, auch sich selbst und seine Band augenzwinkernd als „Inselaffen“ aufs Korn zu nehmen. Gute Laune kann man eben genau so wenig kaufen, wie das Talent ein Publikum mitzureissen, ohne es alle 90 Sekunden zum Klatschen aufzufordern. Und noch etwas unterschied New Model Army von vielen anderen Bands an diesem Wochenende. Anstatt sich auf einen schier unerschöpflichen Fundus von Klassikern zu verlassen, spielten New Model Army auf Risiko, indem sie mit „Nothing Dies Easy, „Island“, High“, „No Mirror“ und „Bloodsports“ jede Menge Songs ihrer letzten Alben „High“ und „Carnival“ ins Feld führten. Erst später im Set folgten Hits, wie „Vagabonds“, „Wonderful Way To Go“ oder „I Love The World“, während Evergreens wie „51st State“ teils komplett unter den Tisch fielen.

Somit erlebte das M´era Luna einen mutigen, enthusiastisch vorgetragenen Auftritt einer Band, die zwar nicht unbedingt zu den typischen Vertretern der Szene gehört, dadurch aber erfrischende Abwechslung in das vorherrschende Einerlei aus Dunkelschlager und Elektrokrach brachten. Bleibt zu hoffen, dass sich einige Jungmusiker von heute an solchen Helden ein Beispiel nehmen und mal wieder anfangen anständige Songs mit Herz und Verstand zu schreiben, ohne sich allgemeinen Trends anzubiedern. New Model Army, 12 Points!

In Anbetracht der nun folgenden Fields of the Nephilim, wagte ich es anschließend nicht einmal, mich zu den kaum minder legendären DAF in den Hangar zu mogeln. Nachdem mir die Fields auf dem diesjährigen Wave Gotik Treffen aufgrund widriger Umstände entgangen waren, galt meine ungeteilte Priorität heute den britischen Gothic-Ikonen um Altmeister Carl McCoy. Zu präsent sind noch immer die Bilder aus dem Jahr 2000, der Geburtsstunde des M´era Luna, als die Fields am Sonntagabend vor Project Pitchfork das Festival für sich in Beschlag genommen und pures Rock-Feeling verströmt hatten, Fan-Tower inklusive.

Ich werde wohl nie das Bild vergessen, als sich ein drei Zentner Typ von seinen Kollegen hochwuchten ließ, um der Band aus luftiger Höhe zujubeln zu können. Szenen, die es schon lange nicht mehr auf dem M´era Luna zu sehen gab. Und die Band? Damals noch mit Tony Pettit an Bord, setzten die Fields seinerzeit noch stark auf den Zoon-Faktor. Mit viel Geschraddel und hämmernden Drums strahlte der Auftritt eine erhabene Macht aus.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2008. Von den einstigen Fields ist nur noch Carl McCoy übrig, während der Rest der Band als „NFD“ vergleichsweise untot den alten Zeiten nachtrauert. McCoy selbst bewies hingegen, dass er es immer noch drauf hat und überzeugte seine Anhänger nach endlosen Jahren der Enthaltsamkeit mit dem 2005 erschienenen Album „Mourning Sun“. Zum Leidwesen der treuen Fans blieben Konzerte der Fields jedoch nach wie vor Mangelware, bzw. wurden kurzfristig immer wieder abgesagt. Erst im vergangenen Jahr nährte sich die Hoffnung auf neue Live-Aktivitäten, mit ausgewählten Konzerten, von denen sich auf deutschem Boden letztlich das Wave Gotik Treffen und nun auch das M´era Luna eine Scheibe abschneiden durften. Umso gespannter verdichtete sich daher die Atmosphäre auf dem Hildesheimer Flugplatz, dessen ganztägig geschlossene Wolkendecke kurz vor Konzertbeginn aufriss und einen stimmungsvollen Sonnenuntergang offenbarte. Kein Fan, der bei diesem Anblick nicht sofort an den Titelsong des Albums „Mourning Sun“ dachte.

Britisch höflich mit 5 Minuten Verspätung war schließlich der Moment gekommen. Die Nebelkanonen bis zum Anschlag aufgerissen, hüllte sich die massive Bühne in eine dichte Wolke, aus der sich nach und nach drei Schatten schälten. Zwei davon in lange Mäntel gehüllt, mit Hüten, die einem Sergio Leone Western zur Ehre gereicht hätten. Der Showdown konnte beginnen! High Noon in Hildesheim!

Mit dem großzügig bemessenen Intro „Shroud (Exordium)“, dass seiner Aufgabe mehr als gerecht wurde, beförderten die Fields ihre Fans in eine andere Welt. Der lange, sich steigernde Aufbau des Songs, ließ die Spannung, einem Duell-Showdown gleich, ins unermessliche steigen, bis Carl McCoy schließlich aus dem Nebel trat und sich die Anspannung in einem kollektiven Jubelsturm entlud. Ein beeindruckend inszenierter Einstieg an dessen Ende Carl dem Opener „Straight into the Light“ gekonnt den Abzug betätigte. Als eines des wenigen Post-Zoon Stücke im Set, holzte die Nummer ein paar stattliche Eichen aus dem Wald.

Der weitere Verlauf der Show wendete sich jedoch verstärkt den atmosphärischen Songs der Fields zu. Wobei auch hier wieder eine sehr stark komprimierte Ansammlung der  Klassiker im Vordergrund stand. 70 Minuten sind eben nicht viel, wenn man bis zu zehnminütige Epen in der Hinterhand hat. Dennoch verlegte sich McCoy, wie gewohnt in sein abgefahrenes Mad-Max Outfit gehüllt, nicht ausschließlich auf Quickies und kredenzte dem gespannt lauschenden Publikum legendäre Songs, wie „The Watchman“, „Trees Come Down“ und „From The Fire“ auch die großen Straßenfeger „Dawnrazor“ (inklusive Sequel) und „Psychonaut“durften nicht fehlen. Während selbst erlesene Fans bei „Penetration“ und „Endemoniada“ mit der Zunge schnalzten, horchten spätestens bei „Moonchild“ auch die weniger eingefleischten Fans begeistert auf.

Die geradezu mystische Lichtshow, gepaart mit Carl McCoys Grabesstimme zogen das Publikum hypnotisierend in ihren Bann und auch heute fanden sich wieder ein paar Mutige, die als menschliche Türme aus der Masse empor ragten, um mit Carl, in einen Dialog zu treten. Vor allem die Mitglieder des englischen Fan-Forums Dawnrazor.co.uk ließen es sich nicht nehmen aus luftiger Höhe ihrem Gott zu huldigen oder mit aufblasbaren Clownfischen zu werfen.

Während sich die Inszenierung des Konzertes in ihrer Erhabenheit keine Blöße gab, fiel einmal mehr der Live-Sound an der Hauptbühne negativ auf. Nicht wirklich druckvoll, dafür umso scheppernder, wollte sich trotz aller Intensität kein richtiges Wohlgefühl einstellen. Ein satter Sound klingt anders. Hier sollte Scorpio im kommenden Jahr vielleicht mal eine andere Anlage an den Start bringen, die mehr kann als einfach nur laut zu sein. Im Hangar ist man inzwischen Kummer gewohnt aber nicht nur bei den Fields offenbarte der Sound an der Mainstage in diesem Jahr einige Unzulänglichkeiten.

Das Konzert näherte sich unterdessen unaufhaltsam dem Ende. Eben noch mittendrin, verabschiedete sich Carl - gewohnt wortkarg - um 5 vor 10 von seinen Fans. Konnte da noch was kommen? Wenn überhaupt würde es wohl nur ein kurzer Nachschlag werden. Oder etwa nicht?

Während hinterrücks die tolle Stimmung vom rücksichtslos drauflos böllernden Discohangar erdolcht wurde, rumorte es plötzlich noch einmal vor der Bühne. Im Jubel der Massen kehrten die Fields doch noch für eine Zugabe zurück und sorgten mit dem 10 Minütigen „Last Exit For The Lost“ zeitgleich für Glücksgefühle bei ihren Fans und Bange Minuten beim Veranstalter, die wehrlos mit ansehen mussten, wie die Fields ohne mit der Wimper zu zucken in die Nachtruhe hinein spielten. Aber so ist das eben: Angesichts einer solchen Legende, muss der Schönheitsschlaf eben mal 5 Minuten warten ;).

Wie sagt man so schön? Ende gut alles gut? Ganz sicher nicht! Dennoch hatten die Fields dem M´era Luna 2008 mit ihrem Auftritt einen triumphalen Abgang beschert, der über so manche Dissonanz im Verlauf des Wochenendes hinweg zu täuschen vermochte.

Mit dem Abschluss der Live-Aktivitäten bewegte sich der überwiegende Besucherstrom rasch in Richtung Zeltplatz, wo die wirkliche Aftershow-Party ihren Lauf nehmen würde. Ich hingegen packte noch in Ruhe meine siebenundrölfzig Sachen, bevor ich mich dem großen Abmarsch anschloss. Auf dem Weg zum Parkplatz, welcher Gott sei Dank von einer weiteren Überschwemmung verschont geblieben war, ließ sich dann noch ein kleines Zeltplatzfeuerwerk beobachten, das dem M´era Luna 2008 seinen endgültigen Abgang bescherte.

Übermäßige Feierlaune wollte bei mir allerdings nach wie vor nicht aufkommen. Obwohl der zweite Tag ohne weitere persönliche Enttäuschungen verlief, saß der Stachel des Skorpions noch immer in der Wunde, weshalb es mir in diesem Jahr schwer fällt auch nur ein halbwegs objektives Fazit des Festivals zu ziehen. Organisatorisch gaben sich die Veranstalter dem Publikum gegenüber wenig Blößen. Das Grundkonzept des M´era Luna, über Jahre bewährt, wurde erneut erfolgreich durchgezogen und selbst wenn Scorpio mit der Bandbesetzung im Hangar dieses Jahr eindeutig den Rahmen gesprengt hatte, konnte man ihnen nicht vorwerfen im Ernstfall versagt zu haben. Da war doch vergleichsweise zügig ein Plan B zur Hand! So fiel das Hangarproblem für viele Besucher in die Kategorie „das war doch schon immer so“ und spielte letztlich nur eine untergeordnete Rolle.

Nachdem 2007 viel über das Line-Up genörgelt wurde, blieb die Kritik in diesem Jahr weitgehend aus. Nicht umsonst zeigte sich das Programm merklich traditioneller und ließ Szene-Exoten wie „Tool“ oder „Fair to Midland“ links liegen. Dabei waren es überwiegend die großen Bands und Electro-Kombos, die heuer für Bewegung im Publikum sorgten. VNV Nation, Front 242, Agonoize, Combichrist das waren die Namen wenn es um große Party ging. Wogegen sich die gitarrenorientierten Bands überwiegend schwer taten.

Am Ende pilgerten in diesem Jahr überwiegend zufriedene 23.000 Besucher nach Hildesheim, von denen viele im kommenden Jahr wieder mit dabei sein werden. Ganz so einfach lässt sich das M´ era Luna als fünfte Jahreszeit für Grufties eben nicht aus der Bahn werfen, selbst wenn es mal nicht so stark besetzt ist (2007). Der König ist tot, lang lebe der König! Bleibt nur zu hoffen, dass die zerschossene Presse-Strategie zurück zu ihren Wurzel wechselt. Ansonsten wird dies wohl das letzte Mal gewesen sein, dass ich Euch vom M´era Luna berichten konnte! Traurig aber wahr!

Euer Ritti!

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