7 / 10 Punkten
 


Disc Facts:



Label: Four Rock

Spieldauer: 75:57 Min.

Tracklist:

-
Vorhang auf
-Puppenspieler
-Spiegelbild
-Dein Clown
-Sei mein Licht
-Fang mich auf
-Feuerengel
-Kleine Puppe
-An deiner Seite
-Die Bestie
-Lampenfieber
-Wie viele Jahre
-Glaub an mich
-Spielzeugmann
-Der Vorhang fällt
-Memoria

Release: 22.02.2008
 

Produktion:
Henning Verlage
 

Homepage:
www.unheilig.com
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unheilig - Puppenspiel (ltd. ed. Digipack)


Wenn Erfolg die Mittel (un)heiligt...
Und da ist er wieder, "Unser Graf"! Nach einem langen Jahr im Komponisten-
kerker mit anschließendem Studiofreigang, meldet sich Deutschlands ausdauerndster Fansportler seit Erfindung des Edding-Markers mit seinem  brandneuen Album "Puppenspiel" zurück.

Ausgelöst durch den nahezu vollständigen Rückzug aus der Öffentlichkeit, lauerte die Fangemeinde zuletzt ausgehungert auf die neue Großtat des Unheilig-Häuptlings. Möglicherweise war es jene Gier nach mehr, gepaart mit der sympathischen "Netter-Onkel"-Aura des Grafen, die Unheilig kurz nach Veröffentlichung ihres Puppenspiels mit ausverkauften Konzertsälen und einer Top 20 Chartplatzierung den bisher größten Erfolg ihrer Bandgeschichte bescherten.

In dieser Hinsicht ging die Rechnung bereits voll auf. Die Frage ist nur: wie konnte so weit kommen? Ganz einfach: Man nehme 90% Bewährtes und 10% geheckselten Ideenversatz, garniere diesen mit 2 Eßlöffeln Einfühlungsvermögen und verspachtele das Ganze mit einer riesen Tüte Zuckerguss, der den Klumpatsch schön zusammenhält. Das Resultat ist ein Sonntagskuchen, den alle lecker finden. Oder etwa nicht?

Zugegeben, eines hat der Graf mit diesem Album definitiv erreicht und zwar seinen ohnehin schon unverkennbaren Stil endgültig in Stein zu meißeln. Generationenübergreifender Düsterrock mit Synthifundament und Songtexten aus der Seele für die Seele. So weit so gut! Und wenn Puppenspiel das zweite oder dritte Album des Grafen wäre, gäbe es daran auch nichts zu mäkeln. Nach "Zelluloid" und "Moderne Zeiten" spielt der Graf jedoch zum dritten mal in Folge die Karte der positiven Stagnation und läßt trotz einer epischen Breite von 76 Minuten (in der Limited Edition) den Blick über den Tellerrand vermissen. Stattdessen versucht er sich mit AUF den Tellerrand, wie etwas den verspreiselten 80er Electro Einflüssen á la "Der Clown" durchzumogeln, die allerdings dermassen auf Linie gezogen wurden, dass sie nicht mal im Entferntesten die unheilige Schallmauer zu durchbrechen vermögen. Erst im Detail versteckt sich dann doch der ein oder andere Ideenteufel, wie etwa die brütigen "Fieber"-Backings in "Lampenfieber", das elektronisch verfremdete Gemurmel in "Wie viele Jahre" oder des Grafen Flüstern im Bonustrack "Glaub an mich".

Obwohl mit Licky und Henning auch erstmals die unheiligen Live-Musiker in die Studioarbeit integriert wurden, wird man auf der Suche nach öffnenden musikalischen Impulsen selten fündig. Gänzlich spurlos gingen die Komparsen zwar nicht am "Puppenspiel" vorbei, doch muss man schon genau hinhören um den Unterschied zu entdecken. Dabei sind es vor allem Lickys Gitarren, die heuer deutlich mehr im Saft stehen ("Spiegelbild" / "Lampenfieber") und auch mal kleinere Soloparts eingeräumt bekommen ("Sei mein Licht").

Nach diesem kurzen instrumentlischen Plus, folgt die nächste Ungereimtheit auf dem Fuß. Dieses Mal textlicher Herkunft:

Als Spieler und Gespielter im Puppenspiel des Lebens, ergreift der Graf die Fäden der Macht, um sie zu ziehen, ihnen zu gehorchen oder sie zu kappen. Thematisch befasst er sich dabei wie gewohnt mit den Alltagssorgen, Geschichten und Gefühlen rund um die menschliche Seele, zwischen Stolz und Niederlage, Liebesglück und Trennungsschmerz. An sich eine spannende Angelegenheit, würden dem Grafen auf dem Weg dorthin nicht einige Schnitzer unterlaufen, die das vielschichtige Konzept auf links drehen:

"Man muss auch mal Schmunzeln können!", kommentierte der Graf einst eine klackernde Textzeile seines Songs "Maschine". Dagegen war auch nie etwas einzuwenden. Doch wenn ich vpn einem Szenemusiker eine Textzeile wie "la lalla laaa,  la lalla - lalla laaa" ("Kleine Puppe") serviert bekomme, ist es nicht allein das Lachen, welches mir im Halse Stecken bleibt. Out of Lyrics, oder was soll das werden? Sinnlose Lall-Laute als Füllsel in die Armseligkeit? Ohne mich!

Auch die zielgruppenorientierte Metaphorik, des Feuerengels, die den gleichnamigen Song einmal quer durch den Schmalztopf zieht, hätte im Vorhandensein entsprechender Gegenbeispiele nicht zwingend Not getan. Ganz finster wird es allerdings beim Thema Licht. Mit dem "Austronauten" erfolgreich an lebenden Fans getestet, gehört "Lichterland" offenbar zu den neuen Lieblingsworten des Grafen und wird uns deshalb innerhalb zweier aufeinander folgender Songs gleich dreifach um die Ohren gehauen. Ein absolutes No-Go!

Seine starken Momente hat Puppenspiel dagegen, wenn es dem Grafen gelingt, die emotionale Tiefe seiner Texte mit dem musikalischen Gewandt in Einklang zu bringen. Immer dann enstehen Songs die aus der Masse hervorstechen. Songs die tief berühren, anstatt zu plätschern:

Während "Sei mein Licht", als Beteiligter der "Lichterland-Affäre" disqualifiziert ist und damit in dieser Betrachtung haarscharf unter der Grasnarbe durchwischt, sind es vor allem "Der Clown", "Die Bestie", "Wie viele Jahre", der geckige Uptempostampfer "Lampenfieber", sowie das wuchtige "Spiegelbild", die sich mittelfristig aus der Masse erheben bzw. in letzterem Falle für eine gewaltige Gänsehaut sorgen. Dazu gesellen sich in der limitierten Auflage mit "Glaub an mich" (der Blade Runner lässt grüßen) und "Spielzeugmann" noch zwei Bonuseisen ins Feuer, die das gemächliche Tempo Ende des Albums tanzflächenkompatibel nach oben korrigieren.

Das Prunkstück der Sammlung markiert allerdings zweifellos "An deiner Seite", mit dem es dem Grafen tatsächlich gelingt seiner Jahrhundertballade "Mein Stern" einen ebenbürtigen Bruder zu schenken. Zerbrechlich und stark, traurig und doch optimistisch ziehen sich die Gegensätze dieses Songs magisch an, während der Graf den nahenden Abschied eines sehr engen Freundes verarbeitet. In diesem Moment präsentiert sich Puppenspiel zum Heulen schön und berührt den Hörer mit poetischer Wortgewalt und der einfühlsamen Stimme des Grafen.

Angesichts einer solchen Perle und dem einhergehenden Für und Wider ist Puppenspiel insgesamt schwierig zu bewerten. In der Einzelbetrachtung hat der Graf mit Puppenspiel ohne Frage wieder ein gußeisernes Album geschmiedet, mit dem er seine Fans zielgerichteter und facettenreicher denn je bedient. Von der stampfenden Rocknummer bis zur Feuerzeugballade findet sich auf "Puppenspiel" alles, was das Volk begehrt und in der Vegangenheit lieben lernte.

Albenübergreifendend geht der Schuss jedoch nach hinten los. Musikalische Stereotypie, Textredundanzen und der fehlende Mumm bei 16 Titeln mal was zu riskieren, degradieren "Puppenspiel" streckenweise zur Blutwurstausgabe eines Wolfgang Petry Albums. So stehen unterm Strich mit "Spiegelbild" und "An deiner Seite" gerade mal zwei unantastbare Granaten auf dem Papier, gefolgt von einem Hofstaat an zugegebenermassen sehr ordentlichen Nummern, die aber ebenso auf "Moderne Zeiten" oder "Zelluloid" hätten stehen können. Mir persönlich wird der ewige Steckbaukasten allmählich langweilig und angesichts der genannten textlichen Tiefschläge reicht es bei mir keinesfalls für einen Begeisterungssturm! Vielleicht hätte sich der Graf noch mehr auf bestimmte Stücke konzentrieren sollen, anstatt ein 76minütiges Epos abzuliefern, dem es an Abenteuerlust und leider auch an der letzten Präzision fehlt.

Für Neueinsteiger und Fans des typischen Unheilig-Sounds ist Puppenspiel möglicherweise das perfekte Album. Stark produziert, technisch auf höchstem Niveau, mit genügend Schlagern für den nächsten Konzertabend. Wer dagegen auf eine stilistische Öffnung hoffte, wird wieder einmal enttäuscht und darf die Frage stellen: "War das schon alles Herr Graf?"

7/10 Punkten

Anspieltips:
Spiegelbild
Kleine Puppe
An Deiner Seite
Lampenfieber