11.10.2008 - Persephone (Schlosskirche Wernigerode)

Ein Konzert wie wenig andere...
Hallo Liebe Freunde und willkommen zu einer neuen Ausgabe der beliebten Reihe "feier lieber ungewöhnlich!". Manchmal gibt es Bands, die derart außergwöhnlich sind, dass sie selbst in der größten Schublade keinen Platz finden und selbst in den dehnbaren Grenzen der schwarzen Szene jeden Rahmen sprengen. Persephone zählen zweifelsfrei zu diesem erlesener Kreis, in dem die Gesetze der Rock- & Popwelt keine Anwendung finden und Musik und Darstellung sich ihren eigenen Weg bahnen. Wer sich auskennt weiß was ihn erwartet: eine filigran instrumentierte Melange aus klassischen Streicherarrangements, umgarnt von der musicalgeprägten Darstellung Sonja Kraushofers. Mal bezaubernd, mal, mal gewitzt, mal berückend, ja sogar bedrohlich geht es zu, wenn das Quintett die Bühne betritt. Kammer Musical - wenn man so will - beeindruckend und intensiv.

Nachdem Persephone bereits im Frühjahr anlässlich ihres aktuellen Albums "Letters to a Stranger" einige ausgewählte Club-Konzerte gegeben hatten, ergriffen Sonja Kraushofer und ihre Mannen die aufkommende Herbststimmung beim (Rot-)Schopfe, um erneut auf die Reise zu gehen. Auch in dieser Hinsicht lieben es Persephone für gewöhnlich ungewöhnlich, befinden sich ihre Spielorte doch bevorzugten in alten Schlössern und Burgen. Besonders mit dem Schloss Wernigerode und seinem Betreiber Dr. Christian Juranek verbindet die Band eine langjährige Freundschaft, weshalb die Band in regelmäßigen Abständen immer wieder als gern gesehene Gäste in der angestammten Schlosskirche empfangen wird.

Kaum verwunderlich dass der Besuch eines Persephone Konzertes in Wernigerode für echte Fans inzwischen einen ähnlichen Stellenwert eingenommen hat, wie der Wacken-Besuch für Metalfreaks oder für Elvisfans die Reise nach Maryland. Man muss es einmal erlebt haben!

Da Elvis längst tot ist und ich als Spezialist für Plüschgotenrock ohnehin in Wacken nur als jämmerlicher Pseudo-Nerd in den Staub getreten würde, wollte ich wenigstens in einem Fall meine Verbundenheit bekunden und folgte Sonja´s Sirenenruf auf die Anhöhe des Schlosses Wernigerode, welche ich nach knapp 80 Minuten Fahrt und einem Taxilift durch die schneckenartig angelegte Auffahrt in freudiger Erwartung erreichte.

Ich muss schon zugeben, wenn man es normalerweise gewohnt ist in Großstadtclubs und alten Industriegebieten zu gastieren, kann einem solch eine Kulisse für ein Konzert schon mal den Atem rauben. Es macht eben doch einen Unterschied ob man auf einer Klassenfahrt dazu gezwungen wird sich ein solches Bauwerk mittels einer öden Besucherführung zu erschließen oder ob jemand dieses mit einer originellen Darbietung zum Leben erweckt.

Der Vorhof des Schlosses bot bereits einen ersten Vorgeschmack auf das was noch folgen sollte und lud geradezu ein mit gezückter Kamera ein paar Aufnahmen zu schießen. Brockenblick inklusive. Kein Wunder dass es nicht lange dauerte, bis ich den ersten Fotografen entdeckte, der samt Gruftimaus im Schlepptau ein privates Shooting abhielt. Während ich die beiden flüchtig bei ihrem Treiben beobachtete, sinnierte ich darüber, welche Abendgarderobe für ein solches Schlosskonzert wohl die richtige wäre und welches Publikum sich heute hier versammeln würde. Nach und nach stellte sich dann heraus, dass meine Befürchtungen von einer hochgeschlossenen Veranstaltung unbegründet waren und die Gruftiquote bei weit über 90% lag.

Der Einlass begann bereits gegen 18:30 Uhr und gestaltete sich als lockere Angelegenheit. Man merkte es den Damen am Einlass zwar an, dass sie mit dieser Art von Publikum nicht täglich zu tun haben. Dafür hoben sie sich jedoch wohltuend von der Eingangspedanterie ab, der man zuweilen in manchem Club ausgeliefert ist. Hier durfte man sich als Gast fühlen, nicht als Geduldeter.

Diverse Stufen und eine Atemnot später erreichte ich den Innenhof des Schlosses. Da es noch einen Moment dauerte bis die Pforte zur Kapelle sich öffnen würde Blieb noch Zeit für einen kurzen Blick durchs weite Rund, als auch schon Sonja hinter einem der Fenster hervor lugte und fröhlich winkend die ersten Besucher begrüßte. Einen Augenblick später öffnete sich das Sesam und der Weg war geebnet für die Schlacht um die besten Plätze.

Die Schlosskirche, im Innenraum mit etwa einhundert rot gepolsterten Stühlen bestückt, füllte sich zusehends. Dabei mussten die ersten Besucher zunächst an Cellist Holger vorbei, der bereits an der Tür Spalier stand. Ob er das wohl vom Grafen hat? Sicher nicht! ;) Auch Sonja kam wenig später aus dem zum Backstage umfunktionierten Nebenraum und begrüßte flugs jeden, den sie auf Anhieb erkannte. Eine tolle Geste, wenn man bedenkt wie viele Künstler sich vor einem Auftritt ihren Fans gegenüber verschließen. Dabei stand durch den Verzicht auf ein Vorprogramm sogar der Auftritt bereits direkt bevor. 20 Minuten noch, dann würde das Spiel seinen Lauf nehmen. Letztere verflüchtigten sich beim gedämpften Nachbarschaftsplausch wie im Flug. Dazu gesellten sich auf der Empore noch weitere Konzertbesucher.

Um kurz nach 19 Uhr schritt hernach der Schlossherr zur Tat. Nachdem er Bandmaskottchen "Hagen" an seinen Platz getragen hatte fand er stellvertretend für die Musiker einige Begrüßungsworte, gefolgt von der Bitte an alle Gäste ihre Fotoapparate weg zu stecken, um die Atmosphäre des Konzertes nicht zu beeinträchtigen.

Anschließend wurde es still im Saal. Totenstill? Nicht ganz! Leise öffnete sich die Tür zum Nebenraum. Martin (Höfert) trat in den Raum setzte sich seitlich auf einen Hocker, richtete das Cello auf, welches neben ihm am Boden lag, stellte es sorgsam auf den glatten Marmorboden und begann mit der Ouvertüre. Langsam führten nun Johannes (Kramer), Holger (Wilhelmi) und John (Abdelsayed) Sonja (alias Persephone) durch die Mitte des Kirchenschiffs in Richtung Altar. Ganz in Weiß nebst Schleier bot sich ein Bild wie bei einer Trauung, während das Publikum gespannt den Atem anhielt.

Einen Augenblick in der Mitte verweilend, wartete Sonja, bis alle Musiker ihre Plätze eingenommen hatten, dann entfesselte sie den Sturm. Wie für Persephone Konzerte üblich präsentierte sich das Quintett auch heute bar jeder elektrischen Verstärkung. Keine Mikros, keine PA, Natur pur! Und das war gut so! Ansonsten hätte es in der kleinen Kapelle vermutlich den Putz von den Wänden gehauen, als Sonja unvermittelt zu "Reflection" anhob. Zusammengezuckt ist das Publikum auch so :)

Zwischen den einzelnen Stücken blieb es mucksmäuschenstill. Etwas irritierend wenn man es nicht gewohnt ist aber für Persephone ein wichtiger Bestandteil der Inszenierung, welche die Fünf genüsslich zelebrierten. Denn so rustikal wie der Beginn gestaltete sich eher die wenigsten Stücke. In vielen Momenten konnte man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören, während eine flüsternde Sonja in ihrer Rolle als griechische Göttin der Unterwelt aufging, die Streicher sanft ihre Bögen über die Saiten führten und Percussion-Spezialist John mit allerlei Geräuschen eine geradezu gespenstische Atmosphäre herauf beschwor. Ein Umstand, der mir schon beim Konzert in Hannover größten Respekt einflößte. Faszinierend was der Kerl da alles so auf die Beine stellt.

Im Gegensatz zu den Frühjahrskonzerten hatten Persephone ihr Programm für den heutigen Abend spürbar umgekrempelt. Das begann mit Sonjas Kleid – zu Anfang im Look des ersten Albums Home, später schwarz  - und machte vor der Songauswahl nicht halt. Auch hier rückten verstärkt die Songs des Debuts in den Mittelpunkt, wie "The Man Who Swallowed My Soul", "The Gift", „The Day You Went Away" und viele mehr. Dazu gesellten sich natürlich Highlights wie „My Sweetes Pain“ (Atma Gyan), The last Song (Mera Sangeet Kho Gaya) und Highlights des aktuellen Albums, wie "Everlasting", "Merciless" und das drollig verspielte "Wishful", bei dem Sonja sich nach Herzenslust austoben konnte.

Ohnehin zog sie die Blicke wie ein Magnet an sich und füllte jeden Song mit seiner anderen Form von Leben. Da konnte es schon mal vorkommen, dass die Sängerin wie ein Wirbelwirbelwind umher rotierte, gedankenversunken einen Blumenkranz flocht, wie ein Panther nach vorn preschte, mitten im Stück das Kleid wechselte, sich auf dem Boden wand und anschließend Tot stellte. Niedergestreckt vom Biss der schwarzen Witwe.

Und auch stimmlich lieferte Oswalds Erbin mal wieder beeindruckendes Grand-Slam Tennis. Es gibt ja immer noch Unverbesserliche, die behaupten Frau Kraushofer könne nicht singen. Sorry Leute aber wer „Persephone“ einmal live erlebt hat wird angesichts solcher Sprüche nur mitleidig schmunzeln. Es gibt eben gewisse Situationen in denen sich klar die Spreu vom Weizen trennt und ein reines Akustikkonzert wie dieses ist so eine! Einen Saal ohne technische Hilfsmittel mit der Stimme zu befeuern ohne dabei ins Schreien zu geraten, gehört nicht zu den einfachsten Übungen. Probierts mal aus!

Ebenso wie der Beginn, war auch das Finale des Konzertes eine tolle Sache. Ganz in Schwarz gehüllt und verschleiert stand "Persephone" da, gekrönt mit jenem zuvor geflochtenen Kranz, und der mythologischen Vorlage entsprechend, bereit für die Rückkehr in die Unterwelt. Thematisch passend dazu: "Coming Home". Einer nach dem anderen erhoben sich nun die Herren von ihren Stühlen, jeder von ihnen mit einer Kerze in der Hand und gesellten sich zu ihrer Göttin. Ein letztes Mal hörte man die Stimmen -sowohl der Dame als auch der Männer- dann erlosch mit den Kerzen in den Händen das Lebenslicht der Persephone. Für einen kurzen Moment der Andacht herrschte völlige Stille, dann entschwanden die Musiker und Beifall brandete auf! Aus!

So unkonventionell die Inszenierung im Vergleich zu Rockkonzerten ausfiel, eines blieb auch am heutigen Abend gleich. „Zugegeben“, Madonna´s "Like A Prayer" zum Ausklang des Abends anzustimmen, grenzte in diesen heiligen Hallen schon ein wenig an „Punkrock im Beichtstuhl“, andererseits handelte es sich bei Persephone nach wie vor um eine Band aus dem Szene-Kreis und ein bisschen Provozieren hat noch keinem Geschadet. Madonna selbst hat den Papst ja auch schon zu einem ihrer Shows eingeladen ;).

Anschließend brandete erneut Applaus auf. Noch einmal verneigten sich die Fünf Freunde vor ihrem Publikum, bevor sie zum letzten Geleit aus dem Saal entschwanden.

Einen weiteren stillen Moment später stieg emsiges Gemurmel im Saal auf. In die reale Welt zurückgekehrt gab es nun erstmal Gesprächsstoff unter den Besuchern, wobei sich eine Hälfte der Publikums überraschend zügig aus der Kapelle schlich, wie ein Kinopublikum, dass den Abspann nicht abwarten will. Dabei sollte es nicht einmal lange dauern, bis Holger und John als erste aus dem Backstage purzelten, um mit den verbliebenen Fans die Nachlese zu begehen, während Martin und Johannes mit dem Abbau begannen. Selbst Sonja, die mal zugegeben hatte nach Persephone Konzerten eine Weile zu brauchen, um Abstand von ihrer Rolle zu gewinnen, ward 15 Minuten später umringt von Fans gesichtet! Geschichten über das WGT und Wientourismus machten hier die Runde, Autogramme wurden geschrieben und auch das ein oder andere Fan-Foto fand noch den Weg auf die Chipkarte, bis es Zeit war Abschied zu nehmen.

Trotz der für Konzertveranstaltungen frühen Stunde - es mag so gegen 21:20 Uhr gewesen sein - stellte sich kurz darauf heraus, warum es einige der Gäste so eilig gehabt hatten. Das Hauptportal des Schlosses war mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes „geschlossen“, weshalb nur der Weg durch den Personalausgang blieb. Irgendwo seitlich aus dem Gemäuer springend, stand ich nun wieder in der Auffahrt zum Schloss und wartete auf ein Taxi. Dabei begegneten mir noch Martin der „schonmal den Wagen vorfuhr“ und Johannes, der das Tor hinter sich zu schob. Dann tauchten aus dem Dunkel zwei Lichtkegel auf. Die Heimreise konnte beginnen.

Wie nicht anders zu erwarten, ließ sich der Abend schlecht mit dem im Frühjahr vergleichen. Neben dem grundauf geänderten Programm, strahlte allein das Schlossambiente eine Atmosphäre aus, mit der es kleine Clubs nicht aufnehmen können. Persephone lieferten in ihrem Wohnzimmer einen fesselnden Auftritt ab, der sich angenehm vom einheitlichen Szene-Tralala abhob. Ein bezauberndes Nischenprogramm ohne Netz und doppelten Boden, in dem Sonja Kraushofer und Martin Höfert als musikalische Köpfe hinter Persephone ihr kreatives Potential voll ausleben. Eine Tugend, die vielen Musikern heutzutage leider abhanden gekommen ist! Somit lautet das Fazit: beide Daumen hoch!

Euer Ritti

Setliste:

1) Intro
2) Reflection
3) Last Song
4) The Man who swallowed my Soul
5) The Gift
6) My Sweetest Pain
7) Home
8) The Day you went away
9) Everlasting
10)Guardian Angel
11) Immersion
12) Wishful
13) Beautiful Prince
14) Black Widow
15) Merciless
16) Still...
17) My Greatest Day
18) Coming Home
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Zugabe: Like A Prayer

 ---> FOTOS VOM KONZERT <---