26.12.2007- The Cristmas Ball 2007 (Hannover, Capitol)

Alle Jahre wieder, singen wir, oh du fröhliche, von Klingglöckchen, Tannenbäumen und sonstigem Gestrüpp. Alle Jahre wieder hetzt sich Mensch wie Tier durch die Einkaufspassagen dieser Welt und alle Jahre wieder freuen sich jung und Alt über neue Krawatten, frische Schlüpper, Reizvolles aus der Damenabteilung oder die guten alten Wollsocken aus Omas Häkelstube. Alle Jahre wieder will uns ein rot-weiß gekleiderter Dickwanst, der als Kind wohl in den Zaubertrank seines Schöpfers gefallen zu sein scheint, Gemütlichkeit und Nächstenliebe anerziehen und alle Jahre wieder stiehlt er damit einem die Schau, der erstens schon viel früher da war als dieser rauschbärtige Kapuzenonkel und zweitens noch an Weihnachten Geburtstag feiert. Doch nun gibt es in Hannover den Christmas Ball und jetzt wird alles besser. Musikgruppen wie Unheilig, Welle:Erdball und Obscenity Trial (Obszönitätsprobe) singen Lieder zu Ehren von "Jott-sein-Sohn", während an der Theke durstig Coca-Cola geschlürft wird.

Und dennoch wird der Herrgott an diesem Abend mehr Spaß gehabt haben,
als mit den alle Jahre widrigen Weinachtsleiern in den Christbaumstuben dieser Welt. Denn wer so leichtsinnig war, sich zur Einlasszeit in Richtung des Hanno-
veraner Capitol zu begeben, staunte nicht schlecht über eine Schlange von hier bis Dortmund, die langsam in den "Schwarzen Bären Nummer 2" eindrang. Offenbar hat sich inzwischen Herumgesprochen, dass der Graf, bürgerlichen Namens ein anonymes Aachener Pflümli, dem frühen Wurm die Gelegenheit bietet ihn in freier Wildbahn zu treffen. Der Graf ist einfach immer da. Und so kam der unverwüstliche Recke umgehend nach Beendigung seiner Interviewtermine um die Ecke gespurtet, um dem nicht unerheblichen Tohuvabohu im Capitol-Foyer furchtlos gegenüber zu treten.

Obwohl ja noch zwei weitere Bands zur Disposition standen, wurde schnell
klar, dass das Capitol heute auf unheiligem Boden stattfand. Nicht umsonst hatte der Fanclub zur großen Weihnachtsversammlung getrommelt und am späten Nachmittag ein Cheftreffen im nahe gelegenen Pub "Irish Harp" organisiert. Darüber hinaus hatte sich eine nicht weniger als 170 Mann starke Fanclub
Fraktion angekündigt, die mittels Bändchen in einem separierten Bereich für Wirbel sorgen durften. Gemeinsam feiern auf Balkonien konnte man es auch nennen, obwohl sich dann doch der ein oder andere lieber als Einzelkämpfer an die Front wagte, wo einem noch blaue Bohnen und musikalische Schweißtropfen um die Ohren fliegen.

Wie bereits erwähnt brummte der Schwarze Bär...Entschuldigung...das Capitol, schon während der Einlassphase wie ein Dutzend Hummeln in ´ner Fanta-Flasche. Und selbst wer keinen Schlips zu Weihnachten bekommen hatte, konnte dies an einem entsprechenden Merchstand nachholen. Mit den Initiatoren des Christmas Ball im Flyerkampf an vorderster Front, herrschte Familienfeeling im Capitol. Die einen als Fanfamilie, die nächsten als Eltern mit Kind und wieder andere wagten sich trotz ihres älteren Semester in den "Schlund" der unheiligen Weihnachtsfeier.

Im Saal werkelte unterdessen bereits das DJ-Team Jeanny, Ronny und (später auch) Elvis an der Starthilfe für die erste Band des Abends, Obscenity Trial. Diese konnten dann auch im Vergleich zu ihrem letzten Hannoveraner Gastpiel, als Vorband von And One, deutlich mehr Zulauf verzeichnen und präsentierten sich erneut in ihrer, seit dem Amphi-Festival bestehenden, 4er Besetzung mit Live-Schlagzeuger Jürgen Reinert und Dirk Riegner (Secret Discovery) als zweitem Keyboarder.

Um ehrlich zu sein, kam der Auftritt für mich leider über solides Mittelmaß nicht heraus. Sicher, die aktuelle Besetzung ist im Vergleich zur vormals schnöden Zweier-Combo schon ein Quantensprung aber weder gelang es der Band um Sänger Oliver Wand, die Menge nachhaltig in Bewegung zu versetzen noch saßen die Töne alle am richtigen Fleck. Hier und dort lag der gute Olli doch hörbar daneben, bei dem Versuch die eine eigene Schallmauer zu durchbrechen.

Der Auftritt gehörte damit sicher nicht zu den besten der Truppe (beim Amphi ging da deutlich mehr!) aber wer auf Synthi-Pop im Sinne von Depeche Mode oder De/Vision abfährt, wurde hier ordentlich bedient. Und so ließ der zwischenzeitliche Applaus des Publikums den Schluss zu, dass es bei den Meisten wohl eher der Festtagserpel, als die Musik war, die sie von schwungvolleren Bewegungen jenseits der Kopfnickergrenze abhielten.

Ergo bliesen Welle:Erdball nach einer quälend langen Umbaupause, sie mag wohl 40 Minuten betragen haben, zur Entenjagd. Wer sich jetzt nicht bewegte wurde der Reihe nach mit Gummiballons beworfen, mit Sprühschaum beschossen und von Papierfliegern attackiert. Nur wer artig war und sich bewegte, bekam zum Schluss sein Geschenk von Santa-A.L.F, aus dem Wundersack gereicht.

Die Show von Welle:Erdball, konnte sich wirklich sehen lassen. 80 Minuten Welle:Wahnsinn, wie man sie kennt und liebt. Mit viel optischem Firlefanz und kreativen Ideen. So begannen die Lokalmatadoren in ihrem zweitem Wohnzimmer mit einem Kraftwerk-Cover. Oder besser gesagt einer Hommage an die Saurier des musikalischen Minimalmonotonismus. "Wir sind die Roboter" protokollierte HONEY pausenlos durch einen Stimmverzerrer, während die beiden schlüpfrigen Damen, Plastique und Frl. Venus ihren Rock nicht mehr hochzuziehen brauchten, denn man konnte auch so (fast) alles alles sehen. Monoton und vor allem Minimal somit auch die Bühnenoutfits ;).

Für weitere kreative Einlagen sorgte unter anderem die Welt der analogen Technik. Schluss mit Digitalem Fernsehen, zurück zum analogen Zapping, wo das Bild noch von Menschenhand gewendet wird, auf leinenem Tuch. Je nachdem welche Seite gerade Top war, erschienen ALF oder HONEY auf der Projektionsfläche, die hinter zwei Aufstellern in vor die Kameras ihrer Sendeanstalt getreten waren.

Neben dem üblichen Hits 23, VW-Käfer, Starfighter F104G, Ein Mensch aus Glas, Wo kommen all die Geister her und aktuellen Schlagern der Sendereihe Chaos Total, "Alpha Tier", "Das Souvenir" oder "Hoch die Fahnen" vielen mehr, brachte das Funkaus auch einige neue Sende-Fragmente zu Gehör, derer ich jedoch nicht im Stande bin sie einzeln beim Namen zu nennen. Einzig Frl. Plastiques programmatischer Song “Ich bin aus Plastik" vermag ich an dieser Stelle zu betiteln, welcher als zukünftige Single besonders aus dem neuen Material hervor stach. Beinahe hätte das Capitol aber auf "Telefonsex", verzichten müssen. Angenommen das Konzert wäre „so-lala“ gelaufen, hätte
sich das Funkhaus angemaßt diesen Song kurzerhand zu überspringen.

Glücklicherweise lief es für die Sendeanstalt gut genug, auch wenn es anfangs nach einem harter Kampf gegen die Entenbrüste und Semmelknödel dieser
Welt aussah. Welle hin Erdball her, ab Mitte des Konzerts wühlte sich der eingefleischte Hörerclub durchs Dickicht der Unheiligen und bescherte dem Ordnungspersonal einen weihnachtlichen Wandertag zwischen Bühnengraben und Saalmitte, wobei besagte Gänge wohl mehr der Prophylaxe dienten, denn der Vermeidung schlimmeren Übels.

Nach der Zugabe, Minimal und Monoton. Folgte dann die Bescherung und das erste waschechte Weihnachtslied. "Alle Jahre Wieder" in einer Technoversion, wie sie Holland einig Happyrave nicht schauriger hätte verwursten können. Zum Glück dauerte der grausame Spuk nur einen Augenblick an, bis sich das Funkhaus für heute verabschiedete, und sich gegen ein wuseliges Testbild eintauschte, dass über die riesige Capitol-Leinwand für weiter 45 Minuten das Publikum hypnotiserte.

Alles in allem war auf Welle:Erdball mal wieder verlass. Als Gute-Laune-Kapelle versprühten sie Spaß und Spielfreude, hatten hübsche Tricks auf Lager und machten dem schweinevollen Capitol gegen Ende gehörig Beine. Wie vor 3 Jahren beim Secret Garden Winterfest, heute im Capitol also abermals ein gelungener Weihnachtsgig für Welle:Erdball!

Fehlte nur noch einer im Bunde: Unheilig. Ihre Qualitäten
für romantische Stunden und festliche Anlässe konnten Der
Graf und seine Mitstreiter Henning und Licky ja bereits in der Vergangenheit hinlänglich unter Beweis stellen. Ob als Weih-
nachtsmänner oder Wedding Singer...mit Unheilig geht da so einiges. Auch wenn es für manchen Hartwurstindianer vielleicht befremdlich erscheinen mag einen Gothicact Weihnachtslieder spielen zu hören und dies dem „Rock Hard“, wenn ich mich noch recht entsinne, einst sogar die Gurke des Monats wert war, strafte die Realität alle Kritiker Lügen und bescherte Unheilig heute einen proppevollen Konzertsaal, gefüllt mit jenen, denen die Standard-Klimperglöckchen-Version von "Oh Tannenbaum" leidlich zum Hals raushängt.

Die Bühne stimmungsvoll in Kerzenlicht gehüllt, an der Rückwand ein Backdrop mit der Aufschrift "Frohes Fest", hob sich die grosse Leinwand langsam über die Köpfe der Zuschauer hinweg, als Henning und Licky das Feld der Ehre betraten. Der Graf folgte wie gewohnt als dritter im Bunde und entfesselte den frenetischen Jubel des Publikums, dass wie ein Mann hinter ihm stand. Oder wie es ein Kollege im Sommer anlässlich des Amphi-Gigs so treffend formulierte: "Man hatte das Gefühl, dass der Graf nichts mehr machen musste, um die Massen in Extase zu versetzen."

Bleibt nur zu hoffen, dass er sich dessen nicht eines Tages bewusst wird und wir auf solch energiegeladene Auftritte verzichten müssen, wie er ihn heute wieder ablieferte. Obwohl der Balladenanteil, dem Anlass angemessen, um einiges höher ausfiel als bei normalen Shows, verfiel der Aachener noch lange nicht in Lethargie. Weihnachtlieder schön und gut...aber auch ein Weihnachtlied kann ordentlich ballern, wenn Graf U., ein Keyboard und eine Gitarre im Spiel sind. Darüber hinaus wechselten sich Weihnachtslieder á la "O Tannenbaum", "Kling Glöckchen" und "Leise rieselt der Schnee" mit den bekannten Blockbustern des Unheilig-Repertoires ab. "Astronaut", "Der Zauberer", "Auf zum Mond", "Tanz mit dem Feuer", "Sage Ja", "Maschine", "Freiheit", "Mein Stern"...darauf musste auch an Weihnachten niemand verzichten. Das Publikum dankte es mit treuer Ergebenheit. Während vorne im Saal ausgelassen gefeiert wurde und sich die Hände ein ums andere Mal klatschend erhoben, blickte man sich weiter hinten tief in die Augen und verschmolz mit den Klängen zu einer harmonischen Einheit.

Wenngleich der Graf sein Programm straff durchzog und
relativ selten das Wort ergriff, was angesichts einer gewissen Vergangenheit in Hannover vielleicht auch die sicherere Variante darstellte, hebelte ihn sein Fanclub kurz vor Schluss dann doch noch aus den Angeln. „Gisela" nannten ihn diese Rabauken und bezogen sich damit mal wieder auf eine Insider-Teufelei zum Thema „Horst Schlämmer“. Von fliegenden BH´s aus Oma Elses Kleiderkiste ganz zu schweigen.

Schlag viertel nach Eins fiel dann der letzte Vorhang auf der Capitol-Bühne. Der Graf, Henning und Licky verabschiedeten sich aus der Arena und verschwanden in den Untiefen des Backstagebereiches, welcher zumindest den Grafen schon weniger später wieder ausspuckte, als dieser sich zur Shownachlese abermals mit bewundernswerter Ausdauer seinen Fans hingab.

Im Saal zündete unterdessen die Disco mit dem eigens aus Köln importierten Elvis Rashidi am Ruder und Kai Hawaii mit einem kleinen Cameo-Auftritt als Quizmaster für die Tombola. Wer wusste, welche Bands nächstes Jahr beim Amphi spielen, konnte hier CDs und andere Goodies absahnen.

Nachdem ein Teil der Besucher am nächsten Morgen wieder an die Arbeit musste, konnte der Discobetrieb längst nicht mehr alle Gäste im Saal halten. Ein Teil machte sich auf den Heimweg, ein anderer Teil umringte den Grafen und wieder ein Teil gab sich vor dem Eingang den Genüssen des blauen Dunstes hin.

In Anbetracht des heutigen Abends darf man von dem ersten "Christmas Ball" in Hannover zweifellos von einem Erfolg sprechen, was angesichts starker Konkurrenz aus Oberhausen, Chemnitz und Berlin rund um die Feiertage nicht selbstverständlich war. Die Exklusivität des Unheilig-Weihnachtskonzertes und der Heimvorteil von Welle:Erdball verhalfen dem Event zu besten besetzten Rängen mit über 1300 Beuschern.

Das Konzept, handverlesene Granaten mit einer ansprechenden Spielzeit zu präsentieren, ging voll auf und setzte damit ein Zeichen gegen die zunehmende Festivalisierung von Konzertabenden. Der Versuch die Leute durch überlange Umbaupausen ins Gespräch zu bringen fiel hingegen in die Kategorie: lieb gemeint aber nervenaufreibend. Bis zu 45 Minuten Pause zwischen den Gigs war schon eine Menge Holz. Die Atmosphäre im Capitol blieb dennoch friedlich, familiär und auf seltsame Weise vertraut. So mischten sich die Eingeborenen mit den weit Gereisten und führten das Weihnachtsfest 2007 zu einem ungewöhnlichen aber höchst unterhaltsamen Ende.

Somit dürfte einem weiteren Christmas Ball im kommenden Jahr eigentlich nichts im Wege stehen. Premiere geglückt. Publikum zufrieden. Alles ist gut!

Euer Ritti

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