07.04.2012 - Coma Divine / Henke (Engel07 - Hannover)

Hallo und herzlich willkommen zu einer selten gewordenen Folge von Rittis Feierabend. Dieses mal im wahrsten Sinne aus dem Untergrund mit der gemeinsamen Tour von Henke und Coma Divine, welche am Ostersamstag, den 07. April, in Hannover Station machte.

Ursprünglich für das etwas in die Jahre gekommene Musiktheater Bad geplant, musste das Konzert kurzfristig aufgrund einer Doppelbelegung verlegt werden. Was den örtlichen Veranstalter vor die schwierige Frage nach dem „Wohin“ stellte. Die Hannoveraner mögen zwar als Stimmungslegastheniker der Nation gelten, trotzdem gehört die Stadt an der Leine längst nicht zu denen, wo nach 22 Uhr die Bordsteine hochgeklappt werden. Die Suche nach einem geeigneten Club für Konzerte bis 200 Personen ist trotzdem keine leichte Aufgabe. Noch dazu wenn man für das Osterwochenende eine neue Bleibe finden muss, wo jeder Sepp eine Veranstaltung auf dem Kalender hat. So begab es sich, dass das „Engel07“, eigentlich ein Disco-Club, zum Austragungsort der österlichen Konzertveranstaltung improvisiert wurde. Ein Szenario das sich noch als gleichermaßen abenteuerlich wie spannend für Zuschauer und Zugeschaute herausstellen sollte.

Als ich an diesem siebten April nach siebzig Kilometern gegen viertel nach Sieben den Engelbosteler Damm Null-Sieben ansteuerte, hatten sich schon einige Konzertbesucher vor dem Eingang aufgereiht, um auf den bevorstehenden Einlass zu warten, bzw. vorab noch genüsslich eine durchzuschmauchen. Nebenbei huschten Coma Divine noch mal schnell aus dem benachbarten Gastronomiebereich zum vor der Tür parkenden Nightliner im Jägermeister-Design, als schließlich der Lemmingwalk in die Unterwelt seinen Lauf nahm.

Heraus aus dem natürlichen Licht, hinein in die Dunkelheit, führte der Weg vorbei an der Abendkasse, hinab in die Kellereien des Gebäudes, die ,wenn nicht als Disco genutzt, in Atmosphäre und Ambiente auch gut zu einer Geisterbahn gepasst hätten. Spinnwebendeko an der Decke und die hauptsächlich Schwarz getünchten Wände versprühten ihren eigenen Charme.

Nachdem sich am strategisch gut postierten Merchandise Stand ein kleiner Rückstau gebildet hatte, der ein Durchkommen zur Bühne für Nachzügler und schwer Beleibte wie mich erschwerte entschloss ich mich kurzerhand eine Runde ums Karrée zu wagen und mich über die gläsern abgetrennte Raucherlounge an den noch unbekannten Schauplatz des Abends heran zu pirschen.

Was ich anschließend zu sehen bekam machte mich zunächst stutzig, gefolgt von der Einsicht dass alle Besucher an diesem Abend wohl zwei Konzerte erleben würden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit schon bald Kultstatus genießen. Während seitlich das technische Equipment, Instrumente, Kisten und Kästen in akuter Tetris Manier verräumt waren, diente ein Teil der Tanzfläche als provisorische Bühne. Die Monitor Boxen direkt auf den Fußboden gestellt, dahinter zwei Batterien aus Footboards und einem Mikroständer, sollten ein paar Podeste für Drums und Cello die einzigen Elemente bleiben, die entfernt an eine Bühne erinnerten. Unwillkürlich musste ich wieder an den alten Jux von Ingo Insterburg denken: „Wanderer kommst Du nach Liechtenstein, tritt nicht daneben tritt mitten rein!“. Kurios...!

Während sich der Saal allmählich füllte, vertrieb sich Sonja Kraushofer (Coma Divine) die Zeit vor dem Auftritt um sich ein wenig unters Volk zu mischen und das ein oder andere bekannte Gesicht zu begrüßen. Immerhin blieb noch über eine Stunde Zeit bis zum Beginn der Darbietung, auch wenn sich Uneinigkeit über den genauen Zeitplan auftat. „Warum bist Du denn noch hier“ fragte einer. „Auf der Karte steht um 8 geht’s los“ ein anderer. Kurzes Stutzen bei der Künstlerin, die sogleich korrigierte „Nein um 9!“. Ansonsten wäre es 10 vor 8 wohl mit dem Dress-Up auch ein wenig knapp geworden.

Blendete man die kuschelige Kellerkulisse für einen Moment aus, versprach der Abend immer noch etwas besonderes zu werden, hatten sich mit Sonja Kraushofer und Oswald Henke nicht nur zwei der bekanntesten Künstler der Gothic-Szene zu einer gemeinsamen Tournee vereint, sondern obendrein zwei, die es sich zum Sport gemacht haben kreativen Konventionen konsequent aus dem Weg zu gehen. Während Oswald Henke, heute mit seiner Band Henke, als Frontmann von Goethes Erben schon in den frühen 90ern schwerstlyrisch Musiktheater mit morbidem Einschlag zelebrierte, machte sich L´Âme Immortelle Sängerin Sonja Kraushofer als „Persephone“ zunächst mit einem Crossover aus neoklassischer Kammermusik und flammend rot gefärbten Musicaleinflüssen einen Namen, bevor sie als Frontfrau von Coma Divine ins andere Extrem wechselte.

Coma Divine lässt sich getrost als direkter Gegenentwurf zu Persephone einordnen und hat auch mit L´Âme Immortelle nur entfernt etwas am Hut. Laut, rockig und frei von kreativen Zwängen erschien im August 2011 das Debütalbum „Dead End Circle“, welches mit abwechslungsreichen Songs, experimentellen Effektorgien und einem Riff-Gewitter aus verzerrtem Cello und Gitarre fraglos als Vollwertkost für fortgeschrittene Gothic Rocker daher kam und mit seiner Eigentümlichkeit für partielles Schubladenversagen sorgte.

Straighte Powernummern, stimmungsvolle Epen, skurrile Kurzgeschichten in Songform, ein Spritzer Musicalattitüde im Gesang, versetzt mit schwarzem Humor im Tim Burton Stil – wer sich an das Coma Divine Debüt wagt, hat einiges zu Verdauen. Im Grunde genommen ist „Dead End Circle“ wie Grimms Märchen, nur dass sich Rotkäppchen mit dem bösen Wolf gemeinsam übers Großmütterchen hermacht und die „Sieben Geißlein“ den Isegrimm mit der Pumpgun vom Hof jagen.

Rasiermesserscharf ergibt somit auch das gemeinsame Tourplakat totalen Sinn, wo es dem stark bewaldeten Oswald Henke von Hinten an den Kragen geht. Ob es Sonja Kraushofer gelingen würde den geschätzten Kollegen einen Kopf kürzer zu machen oder frei nach Martin Rütter der bekannte Satz „Die tut nix, die will doch nur spielen“ zutreffen sollte, würde der Abend zeigen. Frei der Devise „Ladies First“ blieb es in jedem Falle der Dame vorbehalten den Ring zuerst mit Rock zu füllen.

Obwohl Coma Divine aktuell ihre erste Tour spielten, sind die Mitglieder der Band natürlich beileibe keine Unbekannten. Neben Cellist Martin Höfert (Persephone) und Whispers In The Shadow-Oberschamane Ashley Dayour an der Gitarre, sorgte Franz Heinrich Lirsch (L´Âme Immortelle/Persephone) am Bass für gepflegtes Wummern in der Magengrube. Den Part der Trommelfellmassage hätte eigentlich Wolfgang Luckner übernehmen sollen, er musste jedoch kurzfristig seinen Platz an David Pernsteiner abtreten, der für die Band auch schon beim letztjährigen Metal Female Voices Fest in Wieze in der Schießbude zu finden war.

Unter den gespannten Blicken aus dem mittlerweile kuschelig gefüllten Saal, betraten soeben besungene Herren gegen kurz vor 21 Uhr den knapp bemessenen Bannkreis, welcher sich Bühne nannte. Fairerweise hatten es sich die erste Reihe zum Teil auf dem Fußboden gemütlich gemacht, wodurch auch die hinteren Reihen zumindest einen halben Blick auf das Geschehen bekamen.

Anhand des Debütalbums „Dead End Circle“, als der bisher einzigen zählbaren Veröffentlichung, konnte man durchaus der Annahme verfallen, zu wissen was einen in den folgenden knapp 60 Minuten erwarten würde - ein alternativloses Herunterspielen jener Songs, die man bis dato als die einzigen im Repertoire von Coma Divine wähnte. So hatte die Band den Überraschungseffekt auf ihrer Seite, als eine zerzauste Sonja Kraushofer im Fransenkleid vor das Publikum trat und zunächst unerwartet moderate Töne anschlug. Für einen Moment erweckte es den Anschein als stünde da Persephone vor einem. Die Akustik des kleinen Clubs verstärkte diesen Eindruck noch, bis einem allmählich dämmerte, dass sich mit „Everything You Want“ gerade ein Non-Album Track vor einem aufbaute, der bislang nur über iTunes und im Rahmen der M´era Luna Warm-Up Show im vergangenen August zu hören war.

Nach diesem gelungenen, weil nett um die Ecke gedachten Einstieg begann die Band nun den Hahn voll aufzureißen. Gehüllt in dunkle Farben aus schummeriger Beleuchtung walteten Coma Divine ihres Amtes und fluteten den Raum mit kantigem Gothic-Rock aus der direkten Nachbarschaft zum Celli-Metal. Insbesondere die Kombination aus E-Gitarre und Hi-Gain Cello, im Demostadium von Coma Divine noch Besonderheit und Achillesferse zugleich, sorgte für strammen Vortrieb.

Sonja Kraushofer, gemeinhin für ihre markante und kraftvolle Stimme bekannt, nutzte die Wall-Of-Sound dazu mal richtig die Sau raus zu lassen. Wobei ich sagen muss, dass sie hier und da dem Drehzahlbegrenzer doch verdächtig nahe kam. Soll heißen: mit ihrer warmen und klaren Stimme wird aus ihr auch unter Starkstrom keine Reibeisen Röhre vom Format einer Doro Pesch. Das Prädiakt „Sunny is a headbanger“ trifft daher nur eingeschränkt zu. Gott sei Dank reiht sie sich aber auch nicht in die abgedroschene Liga der Symphonic-Juchzen ein, die sich noch immer in zunehmend nerviger werdenden Metal-Produktionen pseudo-klassisch durch Doublebass-Gewitter wimmern.

Stattdessen durfte es zwischen Schnaps und roten Reben gerne etwas Drittes geben und so knüpfte Sonja live an ihre ebenso vielseitige wie eigenständige Studioperformance an, fütterte die druckvoll vorgetragenen Songs mit verspieltem Psycho-Charme und inszenierte dabei ein herrlich-verwegenes Grusical von der Ausstrahlung einer Helena Bonham Carter (um mal einen prominenten Vergleich zu ziehen). Intensiviert wurde das Erlebnis noch durch die frontale Auge in Auge Situation, durch die der Abend sich Stück für Stück zu einer herrlich schweinischen Rock-Session entwickelte, wie ihn nur kleine Clubs von der Sorte eines Engel07 hervorbringen können. Verschwitzt, vermackelt und voll auf die Fresse!

Trotz eingeschränkter Bewegungsfreiheit tat sich während des Konzerts einiges, sodass die Zeit wie im Flug verging. Immer wenn einer der Musiker in Front (meist Sonja und Ashley) sich nach hinten zu Martin und David auf das Podest gesellten, blieb vorne Raum für Improvisationen. Wobei man stets unwillkürlich den Atem anhielt, wenn wieder einer der beiden Anlauf auf die schmale Gasse nahm und zwischen Drumset und Cello-Skelett Oskar hindurch rauschte. Im „Erdgeschoss“ kam es dann durchaus vor, dass Shadowman Ashley und Francis sich anspielten und gegenseitig über die Bühne trieben oder Sonja in ihrer bekannten Manier umher wirbelte.

Für die erste Hälfte des Konzerts hatten sich Coma Divine „Rotten World“, „I Remember“, die putzige Shortstory „The Odd One Out“, das orientalisch angehauchte „Secret Lover“ und den Vollgas-Rocker „From Time To Time“ vorgenommen, bevor mit „Praise The Fallen“ ein Song den zweiten Abschnitte einläutete, welcher heute schon Legende ist.

Zur Erklärung sei mir an dieser Stelle ein kleiner Exkurs in den vergangenen Sommer gewährt, als Coma Divine ihr Festivaldebüt auf dem M´era Luna gaben. Den ganzen Morgen hatte es bereits in Strömen geregnet. Selbst während des Konzerts tröpfelte es unermüdlich aus dem grau verhangenen Himmel über Hildesheim. Nun wäre der Auftritt auf einem solchen Festival alleine schon Grund genug vor Aufregung aus den Puschen zu kippen. Doch nach den ersten Takten von „Praise The Fallen“ setzte der Festivalgott noch einen drauf, als das Dach der Hauptbühne den Wassermassen nicht mehr stand hielt. Mit einem Schlag ergoss sich das angestaute Regenwasser in einem stattlichen Wasserfall vor Gitarrist Ashley und drohte selbigen mitsamt seiner Effektpedalerie davon zu spülen. Von der Gefahr eines möglichen Stromschlages ganz zu schweigen. Während die Rhythmusfraktion aus Francis und Wolfgang gemeinsam mit Martin Höfert unbeeindruckt die Sattelfestigkeit der Band in Live-Situationen bewiesen, ging Ashley direkt einige Meter in Deckung. Zeitgleich von zwei Seiten kamen plötzlich Sonja (aus der Mitte) und 2 Stagehands (von der Seite) heran gehechtet, um die Blank liegende Elektronik in Sicherheit zu bringen. Mit einem Ruck ward das Equipment aus der Gefahrenzone gezerrt und damit auch die freiwilligen Helfer, die nicht minder der Gefahr entgangen waren, als Grillfleisch auf die Bretter zu gehen. So rasch wie Sonja den Rettungseinsatz begleitet hatte, so zackig spurtete sie wieder zurück ans Mikrofon und setzte nach einem Blick der Marke „huiuiui – das war ja was!“ ein, als wenn nichts geschehen wäre.

Unweigerlich erinnerte „Praise The Fallen“ auch an diesem Abend an die bestandene Wasserprobe von Coma Divine, als Schrubber und Besen statt harten Gitarren diesem Song ihren Stempel aufdrückten. Passend dazu ließ Sonja Kraushofer auch heute das Wasser ein. Tränen sammelten sich in Ihren Augenwinkeln, rannen über die Wangen und verteilten das Augen Make-Up in schwarzen Bahnen über ihr Gesicht, was ihr für den Rest der Show einen noch aggressiveren und düsteren Charakter verlieh.

„About A Girl“ lockerte die finstere Stimmung wieder etwas auf. Die schrullige Mär vom Mädchen, dass beim Anblick der Farbe Gelb komplett aus der Fassung gerät, passt so herrlich in die spleenige Welt von Coma Divine und ging obendrein noch ordentlich nach vorne. Das brachte Spaß, das machte Laune! Anschließend setzte es mit „Falling Down“ einen weiteren non-Album Track.

Für das Finale des regulären Sets hieß es dann gleich zwei mal Arschbacken zusammenkneifen und die Matte in Rotation zu bringen. „Fast Lane“ – der mit Abstand heftigste Songs des Abends lieferte die ideale Vorlage für den bis dato bekanntesten Song, „Burn Sister“, einen wuchtig-stampfenden Rocker mit cleverem Break im Mittelteil, welcher es inzwischen nebst einer drolligen Cartoonfigur als Wahlspruch auf das Band-Merchandise geschafft hat. Explosionsartig füllte sich der Raum ein weiteres mal mit Energie. „Burn sister! Learn sister! There is no return sister!“ - wen das kalt ließ der hat entweder keine Geschwister oder einen an der Waffel!

Nach einer kurzen, vom Beifall begleiteten Pause durfte die obligatorische Zugabe nicht fehlen. „Damit es zählt“ fehlte noch ein besonderes Stück: „Dead End“, seines Zeichens stattlicher Achtminüter mit erhabenem Fields Of The Nephilim Einschlag der Marke „Mourning Sun“ erwies sich als exzellenter Abschluss. Während Sonja kurz vor Ende des Songs durch das Publikum die Flucht nach vorn ergriff, hatten die Jungs aus musikalischer Sicht das letzte Wort. Erwähnt sei hier wieder Ashley Dayour, der sich schließlich seiner Gitarre entledigte und, über sein Effektboard gebeugt, den akustischen Blackout herbei schraubte.

So endete ein gelungenes Konzert Nummer Drei der ersten Coma Divine Tour. Trotz beengter Bedingungen gab es keine nennenswerten Unfälle zu beklagen und das Publikum fühlte sich trotz der Überzahl von Henke-Anhängern gut unterhalten. Bleibt zu hoffen, dass Coma Divine weiterhin ihren eingeschlagenen Weg beschreiten und auch in Zukunft das Überraschungsmoment auf Ihrer Seite behalten. Es ist ihnen zu wünschen, dass der Mut, mit einem nicht immer leicht verdaulichen Sound an den Start zu gehen, belohnt wird und sie auf diesem Weg einen wohltuenden Beitrag zur notwendigen Entschlagerung der Gothic-Szene leisten können. Alles in Allem eine runde Sache!

Bevor nun Henke als Headliner des Abends die provisorische Bühne bespielen konnten, galt es zunächst Platz zu schaffen. Zeit für ein paar Hintergrundinfos: nach dem sanften Entschlummern von Goethes Erben vor einigen Jahren und dem Abschluss von „Erblast“ im Rahmen der Exodus Tournee 2003, verwirklichte sich Oswald Henke mit dem Projekt „Fetisch:Mensch“ welches vor allem Live einen deutlich rockigeren Einschlag aufwies als seine Vorgänger. Trotz einiger Achtungserfolge kam es (bewusst) nicht zu einem physischen Release. Nach vereinzelten Goethes Erben Tribute Shows und Gastauftritten bei befreundeten Künstlern – man denke nur an den phänomenalen Auftritt beim Jubiläumskonzert von Girls Under Glass beim letzten Wave Gotik Treffen – ist es Oswald Henke mit seiner aktuellen Band Henke nun gelungen sich von der Vergangenheit mit Goethes Erben zu emanzipieren, ohne seine Wurzeln zu leugnen.

Nach der Vorab-EP vom „A zum F“ und dem Debütalbum „Seelenfütterung“ stand kurz vor der aktuellen Tour der Epilog seines aktuellen Zyklus, die “EP“ „Herz“, auf der Matte, welche in dem Duett „Helden“ einen dankbaren Aufhänger für die gemeinsame Reise mit Sonja Kraushofer und Coma Divine lieferte. Zudem sorgte ein gemeinsames Fotoshooting im Vorfeld der Veröffentlichung für unerwarteten Gesprächsstoff. Die Ankündigung gemeinsam ein „musikalisches!“ Kind gezeugt zu haben, wurde von der Husch-Husch Facebook-Gemeinde natürlich missverstanden und den beiden Künstlern prompt ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Plötzlich ließen sich gestandene Gothics (Tuschel Tuschel) kaum noch von den Gossip-geilen GALA-Hennen unterscheiden, die täglich den neuesten Klatsch verbreiten. So ist das eben in unseren modernen Zeiten, wo ein unbedarfter Mehrzeiler und ein Foto bereits die Aufmerksamkeitsspanne der Leser an Grenzen treiben. So entstehen Gerüchte!

Doch zurück zum Geschehen. Der Umbau war inzwischen abgeschlossen, die Henke-Mannschaft vollzählig auf dem Platz, High Noon für den Anpfiff zur zweiten Runde. Mittlerweile erlebten die ersten Reihen das Konzert geschlossen im Sitzen. Dabei wurde das Publikum Zeuge einer weiteren Glanzpartie aus dem Hause Henke. Den Anfang bestritten die aktuelle Single „Herz“ und „Dokument2“. Wie in alten Zeiten verlor sich Oswald Henke völlig in seiner Bühnenshow. Sein blitzschnelles umschalten vom Gänseblümchen zum aggressiven Hulk ist auch Anno 2012 und ganz ohne CGI beeindruckend anzusehen. Folglich dauerte es nicht lang bis der Bruce Banner des Gothic sein bereitgestelltes Bühnenwasser quer über die Podeste verteilt hatte und bei einem seiner beherzten Sprünge vor das Publikum kurzzeitig ins Trudeln geriet.

Es folgte eine kurze Ansprache an den „freundlichen Helfer“ mit der Bitte das Wasser doch nicht in der Flugbahn zu platzieren. Leichter gesagt als getan, angesichts des Missverhältnisses aus verfügbarem Platz und Henkeschem Aktionsradius, der selbst vor seinen Bandkollegen nicht halt machte. Hinterrücks schlich sich Oswald an Gitarrist Stefan Söllner heran, packte ihn beim Schopfe und wurschtelte mit Klauenfingern in dessen Gesicht herum. Letzter ließ die Sonderbehandlung stoisch über sich ergehen – der kennt das wohl schon ;).

Typisch für Henke-Auftritte (ein Erbstück aus Goethes Tagen wenn so will) ist die Inszenierung der Songs mit speziellen Kostümen oder Requisiten. Während das gedämpfte Licht die passende Stimmung lieferte, sang Henke, über sein bekanntes Pult gebeugt, verträumt von „Orangenschiffchen“, als sich just von der Seite eine Dame mit Silbertablett näherte. Es war Sonja Kraushofer, die einen Platte mit fruchtigen Leckereien vorbei brachte, Orangenspalten auf Orangenschale. Offen gestanden wunderte es mich, dass es noch etwas zu bringen gab. Stand das Tablett doch, für jeden sichtbar, schon vor dem Konzert in verlockender Griffweite des Publikums. Letztlich hat sich aber doch keiner getraut ein Stück zu mausen und so reichte Oswald Henke gemeinsam mit seiner prominenten Servierdame dem Volke im Schneidersitz eine kleine Vitaminbombe nach Art des Hauses.

Wo Frau Kraushofer gerade mal da war, lag es nahe sie direkt für ein Duett zu verhaften. Überraschend früh kam es somit zum Showdown unter der Sonne. Als hätte die Gerüchteküche nicht schon genug gebrodelt, präsentierten die beiden den David Bowie Klassiker „Helden“ betont innig. Im Gegensatz zum eingangs erwähnten Tour-Plakat ging es nun der Sängerin seitens Oswald an den Kragen, der sie umgarnte und ihr mit seiner Stimme sprichwörtlich ins Ohr kroch.

Eben noch Hand in Hand die Berliner Mauer hingerissen, blieb es fortan Henke und Band überlassen den Rest des Abends im Alleingang zu bestreiten. Und wie immer wenn Mutti außer Haus ist, wird die Bude mit Getöse auf den Kopf gestellt. Einen weißen Kittel überstreifend, näherte sich Oswald Henke mit wirrem Blick dem Publikum, in der Hand einen Strauß Papierflieger. Heute ohne Marshmellowtennis (ja Oswald, das Ding zwischen die Augen hab ich mir gemerkt) waren es nun die Paper-Jets, welche eines nach dem anderen durch die Lüfte segelten.

Neben aller Dramatik ist Henke auch eine Rockband. Daher fügten sich die beiden taffen Goethes Erben Nummern „Nichts bleibt wie es war“ und „Himmelgrau“ aus dem Zyklus „Düstere Utopien“ nahtlos in das knapp zweistündige Programm ein. Derweil näherte sich der Sauerstoffgehalt im Engel07 dem Nullpunkt. Von den Rinnsalen aus Schweiß will ich gar nicht erst anfangen. Wie gesagt: die Fans erlebten hier einen richtig schweinischen Club-Gig mit allem was dazu gehört. Dabei stand noch mindestens eine weitere Stunde auf dem Programm, inklusive reichlich Material zur Seelenfütterung, wie „An jedem Haar“, „Ich protestiere“, „Manisch Aggressiv“ oder „Weil ich´s kann“).

Als wäre der Konzertabend nicht schon speziell genug gewesen, startete im Nebenraum, dem anderen Ende des Engel07, bereits während der Zugabe die Disconacht. Ob der DJ einen Frühstart hingelegt oder Henke überzogen hatte sei mal dahingestellt. Fragwürdig erschien das schon. Gewiss war nur, dass das Gros der Fans nach knapp 2 Stunden im Schwitzkasten erst einmal Richtung Tränke oder an die frische Luft drängte. Mein Respekt gilt besonders denen, die es die ganze Zeit sitzend vor der Bühne ausgehalten hatten. Mir wären da wohl spätestens nach 20 Minuten die Beine abgestorben.

Alles in allem konnte man beide Konzerte als interessante Erfahrung verbuchen, bei der Publikum und Bands das beste aus den begrenzten Möglichkeiten heraus kitzelten. Coma Divine hatten einen vielversprechenden Grundstein gelegt und Henke konsequent vollstreckt. Nach den musikalischen Freuden folgte der gewohnte Ablauf. Künstler und Fans trafen sich am „Checkpoint Merchstand“, auf der Aftershowparty füllte sich die Tanzfläche und parallel dazu wurde abgebaut. Hierbei hielt das Engel07 aber noch eine kleine Gemeinheit bereit. So kam man nicht umhin zu beobachten, wie die Jungs von Coma Divine ihr ganzes Equipment die einzige Treppe hinauf wuchteten. Bepackt mit einer Kiste nach der anderen schien das Geraffel irgendwie kein Ende zu nehmen bis die bedauernswerten Musiker sich unweigerlich mit knallroten Rüben den Weg durch das herumstehenden Partyvolk bahnten. Es gibt wohl definitiv angenehmere Momente im Leben eines Rockstars. Zumindest aber hatten sie sich ihr Feierabendbierchen redlich verdient.

Als gegen kurz nach 1 schließlich auch der zweite Floor mit Musik vom Teller geflutet wurde, schlug es mich in die Flucht. Auch an Ostern wird aus eurem ollen Ritti kein Partylöwe. Zumindest geht mir das immer gehörig auf den Keks, wenn man sich im Gespräch anbrüllen muss. Das wird in diesem Leben nicht mehr meine Welt. Treppauf wieder an der Oberfläche angekommen, offenbarte ein Blick zur Linken, dass die Kunstschaffenden ihre Möbelpacker-Mission überlebt hatten und inzwischen dabei waren, den Trailer für den morgigen Tourtag in Berlin zu bestücken, welcher bereits der letzte sein würde. 4 Shows an 4 Tagen waren dann doch schnell um. Doch Nachschub ist in der Pipeline: Im Herbst 2012 geht es in identischer Konstellation noch einmal auf große Fahrt. Hannover ist zwar nicht dabei, dennoch sollte man sich für einen lohnenswerten Abend die folgenden Termine unbedingt vormerken. Besonders wenn man die aktuellen Termine verpasst hat:

16.06.2012 Augsburg, Ofenhaus (Grenzenlos Festival)
02.10.2012 Frankfurt, Das Bett
03.10.2012 Rostock, M.a.u. Club
04.10.2012 Berlin, K17
05.10.2012 Glauchau, Alte Spinnerei
06.10.2012 Wien, Szene

Viele Grüße
Euer Ritti

 

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