Back to Biss-ness! Mann, was haben mich die 69 Eyes seinerzeit erzürnt, als sie mit Paris Kills ein halbgares Schlabberalbum vorlegten auf dem sie im bravokompatiblen Süsspop-Kleister zu ersaufen drohten. Saftlos, kraftlos, ohne Esprit und zündende Ideen lavierten sich die Finnen nach dem Überwerk "Blessed be" durch ein Sammelsurium trantütiger Wegwerfnummern, von denen sich auch heute, fast 4 Jahre später gerade mal 2 oder 3 zum engeren Kreis meiner Favoriten zählen dürfen. Diese Zeiten sind zum Glück inzwischen vorbei!
Nachdem (den Göttern des Rock´N´Roll sei dank) der Nachfolger "Devils" schon für vieles entschädigte was die Stadt der Liebe mit den Finnen angerichtet hatte und ihnen den Weg in die USA ebnete, setzen die Eyes mit Angels ihren Aufwärtstrend konsequent fort und laufen sogar regelrecht zu neuer Hochform auf:
Vor allem musikalisch hat der Sprung ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten hörbar Eindruck hinterlassen: Bereits der Opener "Angels" atmet den Spirit eines Texas Vampire Roadmovies entlang der Route 69, irgendwo zwischen Carpenters Vampiren und einem Besuch im Titty Twister. Stramme Riffs, orchestraler Orgelbombast, packender Refrain, donnerndes Finale und ein pathetisch schmetternder Jyrki mit Wüstenstaub in der Stimme, mehr geht nicht! Und was das geilste ist: die Eyes halten dieses Niveau! Zwar kommt das Nachfolgende "Never Say Die" in Sachen Härtegrad etwas weniger offensiv daher, überzeugt dafür jedoch als straighte typische Eyes Nummer mit Ohrwurmcharakter vom Schlage eines "Brandon Lee" oder "Feel Berlin".
Doch verweilen wir noch einen Moment beim US-Einfluss des Albums, speziell der Beziehung zur Traumfabrik Hollywood. Als bekennender Film- und Comicfan schlug Jyrki ja bereits in der Vegangenheit immer wieder thematische Brücken zur Welt des bewegten Bildes, indem er beispielsweise den vorstorbenen Brandon Lee hochleben ließ oder den Song "Betty Blue" an einen Film anlehnte. Auf "Angels" geht er nun aber noch einen Schritt weiter. So dreht sich "Perfect Skin" um den Schönheitswahn der in Hollywood reichlich vertretenen Glamour Society, aus Frankensteins Menschenbausatz wird ein "Frankenhooker" und nach Paris und Berlin fand sich mit Los Angeles wieder eine Stadt über die es lohnt einen Song zu schreiben, zumal der Name auch noch wunderbar zum Albumtitel passt. Bleibt eigentlich nur noch zu klären was hier zuerst da war: die Henne oder das Ei?
Die "Eyes" selbst (nochn Ei) scheinen sich bei der Entstehung von Angels derart philosophische Fragen nicht gestellt zu haben. Stattdessen wirken die Finnen wie von einer Last befreit und sprudeln mitunter nur so vor Ideen: "Ghost" zum Beispiel stapft in weiten Teilen wuchtig daher, bevor es zum Ende hin mit zwei völlig unterschiedlichebn Cello-Passagen überrascht und man sich verwundert fragt welche finnische Band da gerade zur Apocalypse streicht. Gleiches gilt für Star of Fate, eine echte Desert-Sundown-Ballade, Anfangs mit dezenten aber effektiv eingesetzten Streichern, später mit morriconegeschwängerten Westernanleihen nebst eines grandiosen Gitarrensolos. Definitiv der ruhigste Song der Platte aber vermutlich auch der Intensivste.
Generell geben die Jungs an den Gitarren, respektive Timo Timo und Bazie, auf Angels hörbar den Ton an und bilden damit einen wichtigen Gegenpol zu Jyrkis stimmlicher Allgegenwärtigkeit, der Finlands Most Famous Elvis Impersonator ab und an sogar die Show zu stehlen weiss. Ein Beispiel hierfür liefert neben bereits erwähntem "Star of Fate" vor allem "Shadow of your love". Obwohl im Refrain die Gitarrenarbeit eher Hintergründig angelegt ist, springt die singende Saitenorgel doch ins Ohr und vermag sich, vorbei an der nicht minder treffsicheren Hook, ins Ohr zu mogeln. Songs wie Rocker, dessen Message vielleicht etwas Platt geraten ist ("I´m a rocker...oh yeah....I´m a rocker...that´s right"), Los Angeles oder Frankenhooker gehen wiederum den direkten Weg und drücken ohne Umwege auf die Tube, wobei letzterer auch Drummer Jussi seinen Großen Auftritt verschafft, da man ihm eigens für eine Sequenz einen zusätzlichen Effekt auf die Drum gelegt hat, der dem Ganzen noch ein dickes Pfund mehr Bumms verleiht bzw. wuchtig aus den Boxen "nagelt".
Ohnehin haben Produzent Hiili Hiilesmaa, respektive Eyes-Inventar Johnny Lee Michaels ihr übriges zum Gelingen des Projekts "Angels" beigetragen. Mal von einem merkwürdigen Blüpser zu Beginn von Perfect Skin abgesehen, der eventuell auch im Mastering enstanden sein könnte, hat "Angels" einen Brettsound spendiert bekommen, in dem sich die zurückgekehrte Härte optimal entfalten kann.
Wo Licht scheint fallen allerdings auch Schatten, wenngleich sie es angesichts der tiefstehenden Sonne auf Angels mit einer gewissen Ironie tun und einerseits überraschend kurz ausfallen während sie andersherum an Stellen auftauchen wo man sie gar nicht erwartet. Gut, dass Jyrkis Texte, wie im Beispiel "Rocker" zu hören, nicht immer Shakespere sind, habe ich ja bereits erwähnt. Dass man aber ausgerechnet im Bonusmaterial der Limited Edition anfängt halbe Sachen zu machen und eine 23minütige Flickwerk-DVD aus amateurhaft zusammengeklemptnerten Live-Aufnahmen mit Blockbildbausatz und 2 Videos mit dem Song Perfect Skin (einmal Video einmal Roadmovie) abzuliefern will nicht zur Ambition des Gesamtpakets passen. Deshalb schnell wieder zurück zur "audio side of life" und hinein ins Vergnügen.
Im Gegensatz zu "Paris Kills", wo so ziemlich alles schief ging (samt Einbruch im Studio) beweisen die Eyes heuer, dass die Stadt der Liebe sie doch nicht gekillt hat. Ein kugelsicheres Gespür für packende Melodien, reihenweise coole Ideen und eine deftige Portion Druck im Kessel sind die Zutaten mit denen "Angels" erst richtig zu schmecken beginnt. Von Jyrki69 als stilsicher-charismatischem Frontmann in allen Sangeslagen ganz zu schweigen, sodass man hier und dort geneigt ist ihm seine teils plakativen Texte nachzusehen. Die 69 Eyes knüpfen mit diesem Album endlich dort an, wo sie mit "Blessed Be" seinerzeit aufgehört haben. Vielleicht brauchten die Eyes auch ihre beiden Alben dazwischen, um mit der gewonnen Erfahrungen diesen wichtigen Schritt zu gehen. In jedem Fall haben es die Finnen mit "Angels" geschafft jene Extraportion Coolness zu erlangen ohne ihr einstiges Überwerk stets zu wiederholen und erneut zu dem zu werden was sie immer schon sein sollten: Goth´N´Roller und Helsinki Vampires mit Biss!!!
Der Kauf der Limited Edition lohnt sich hingegen nur für Sammler die alles haben wollen. Qualitativ überzeugt die enthaltene Bonus DVD jedoch nicht!
9 / 10 Ritti
Anspieltips: -Angels -Star of Fate -Los Angeles -Frankenhooker
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