10 / 10 Punkten
 


Disc Facts:



Label: Vertigo (Universal)

Spieldauer: 73:40 Min.

Tracklist:

-
Anteroom of Death
-Until My Last Breath
-I Feel Immortal
-In For A Kill
-Underneath
-Little Lies
-Rivers Of Lust
-Dark Star
-Falling Awake
-The Archive Of Lost Dreams
-Crimson Deep
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-We Are (Bonus)
-Naiad (Bonus)
-Still Of The Night (Bonus)

Release: 03.09.2010
 

Produktion:
Tarja & Mic
 

Homepage:
www.tarjaturunen.com
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tarja – What Lies Beneath (Ltd. Edition)


Auf Tauchfahrt mit Tarja Turunen...
Leute was war das damals für ein Urknall, als Bandleader Tuomas Holopainen und seine Kollegen von den finnischen Symphonic Metallern Nightwish im Oktober 2005 ihre Galleonsfigur vom Bug sprengten. Die Königin des Metal-Soprans, Tarja Turunen, ausrangiert wegen divenhaften Benehmens! Ein Schock, gefolgt von einem Brief der um die Welt ging und einer legendären Schlammschlacht mit der beide Parteien der Welt demonstrierten, dass sie sich nichts mehr zu sagen hatten. So endete die Ära zweier offensichtlich grundverschiedener Welten mit einer Trennung welche nicht nur die Betroffenen sondern auch deren Fans im Zwiespalt zurück ließen. Vor allem die Frage ob Nightwish fortan ohne Tarja und Tarja als Solokünstlerin auf die Menschheit losgelassen werden konnten beschäftigte viele Fans.

Während im Lager von Herrn Holopainen mit der Schwedin Anette Olzon eher eine Popsirene als Front-Walküre installiert wurde und das Album „Dark Passion Play“ dank des nicht zu unterschätzenden Neugier-Faktors weltweite Erfolge feierte, galt es für Tarja zunächst eine neue musikalische Basis zu schaffen. Mit angekratztem Image und der berechtigten Frage wie viel künstlerische Aufrichtigkeit in ihrem 2007er Reboot wirklich steckten, gelang Tarjas „My Winter Storm“ zumindest kommerziell ein Achtungserfolg. Goldstatus in Finnland nach nur einem Tag und Platz 3 der Deutschen Albumcharts täuschten darüber hinweg, dass das Solowerk zu großen Teilen fremdproduziert war und die Frage nach der Authentizität der Künstlerin lange im Raum stand. Dienten die bombastischen Rockelemente nur dazu die Aufmerksamkeit der alten Fans zu gewinnen oder zeichnete „My Winter Storm“ tatsächlich den Weg den Tarja Solo beschreiten wollte?

Ich muss zugeben. Auch ich wurde aus „My Winter Storm“ seinerzeit nicht schlau. Songs wie der Titeltrack oder das ohrwurmige „Die Alive“ nährten die Hoffnung, dass Tarja der Rockwelt erhalten bleibt. Viele balladeske Momente und holprige Retortennummern wie „Cirian´s Well“ oder das verunglückte Alice Cooper Cover „Poison“ warfen jedoch ein unstimmiges Bild auf das Album. Ganz so, als ob zu viele Köche die Sängerin in einen immer lauer werdenden Brei hinein rührten.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2010. Viel ist seitdem passiert. Nightwish erholen sich von den Strapazen ihrer Tour, Anette Olzon von den Tarja-Sprechchören der südamerikanischen Konzertbesucher und deren Fans von den immer schwächer gewordenen Live-Auftritten der Finnen. Verkehrte Welt dagegen bei Tarja, deren letzte Deutschlandtour im Herbst 2009 zwar nicht die ganz großen Hallen befeuerte, dafür aber sehr aufschlussreich in Bezug auf die Kampfmoral war. So sahen beispielsweise rund 1000 Hannoveraner einen mit viel Herz vorgetragenen Auftritt bei dem sich Tarja nicht nur als gewohnt begnadete Sängerin auszeichnete, sondern zudem volksnah und sympathisch mitten im Publikum ihre Fähigkeiten am Klavier präsentierte.

Diesen Weg beschreitet Tarja mit ihrem neuen Album „What Lies Beneath“ nahtlos fort und nutzt unter anderem die enthaltene Bonus CD dazu, eine Viertelstunde lang ihr angekratztes Image aufzupolieren. Dabei geht sie auf die Entstehung des Albums ein und erläutert ihren Einfluss auf die Songs, welcher alles andere als gering war. Ein cleverer Schachzug, der nicht nur das Rätsel um die Authentizität der Sängerin auflöst, sondern auf sehr charmante Weise erklärt warum „What Lies Beneath“ ein solch verdammt gutes Album geworden ist. Die Ideen, der Spaß und Elan mit dem Tarja mit ihrer Truppe offenkundig an dieses Album heran gegangen ist, spiegelt sich in vielen Stellen wider. Nicht nur dass das Album merklich befreiter drauflos rockt als sein Vorgänger, auch aus kreativer Sicht weiß das Album Akzente zu setzen und dem angestaubten Genre des Female Fronted Heavy-Rock einige interessante Denkanstöße zu verpassen.

Gleich der Opener „Anteroom of Death“ ist so ein Kandidat bei dem einem gerne die Kinnlade zu Tale klappen darf. Dabei leiten die soliden Rocksounds und das klassisch eingesetzte Spinett so herrlich unscheinbar auf den Großen Moment hin, als Tarja das Rockmusical für sich entdeckt und gemeinsam mit den Meistern der Metal Acapella „Van Canto“ ihre Interpretation der Bohemian Rhapsody zum Besten schmettert. Hundsgemein und völlig unerwartet trifft einen dieser perfide Bruch wie ein Hammer. Und das ist gut so!

Auf die nächste faustdicke Überraschung muss sich der Hörer zwar bis zum Ende des Albums gedulden, doch was man in der Zwischenzeit geboten bekommt kann sich wahrlich hören lassen. In ausgewogenem Verhältnis reihen sich fortan beherzte Rocksongs und romantische Balladen aneinander. Hierbei glückt Tarja der gefährliche Spagat aus rockig-metallischen Elementen und bewußt eingesetztem Pop-Appeal. Songs wie „Until My Last Breath“, der bombastische Midtempostampfer „I feel Immortal“ werden so zu unwiderstehlichen Ohrwürmern, die sich schon nach wenigen Durchläufen durch die Hirnrinde fräsen. Perfekt produzierte Chöre und orchestraler Bombast lassen zudem Erinnerungen an die gute alte Nightwish-Zeit aufkeimen, ohne diese blind kopieren zu wollen. Auch das ist wieder gut so! Im Gegensatz zu den Pfaden von Nightwish, die sich stets in einem abgesteckten Rahmen bewegen, nutzt Tarja als Solokünstlerin die Freiheit sich auszuprobieren. So lässt sich auch das an James Bond Soundtracks angelehnte „In for a kill“ erklären, bei dem sich die Sängerin in immer steiler werdenden Gesangspassagen unwiderstehlich in die Höhe schraubt. Dabei verweist Frau Turunen die Konkurrenz dermaßen in die Schranken, dass es nur so scheppert! Was für eine Range!

Auch das nachfolgende „Underneath“ ist wieder eine dieser perfekt nuancierten Nummern. Anfangs noch als stimmungsvolle Ballade vorgetragen öffnet sich der Song zur Hälfte in ein getragenes Epic-Rockarrangement, bei dem vom Gesang über die traumhafte Melodie bis hin zum Breitwandsound alles aus einem Guss scheint. Und so ist es ausgerechnet das herben Riffgewitter „Little Lies“, dem im Vergleich zum Rest ein wenig die Puste ausgeht. Zwar darf sich Gitarrist Alex Scholpp hier mal so richtig austoben, der Refrain jedoch wirkt nach dem traumhaften „Underneath“ etwas arg sperrig.

Völlig ohne Gewitter, dafür umso intensiver geht Tarja auf „Rivers Of Lust“ zu Werke. Reduziert auf Streicher, Klavier und dezentes Schlagzeug schöpft die Diva hier stimmlich ein weiteres mal aus dem Vollen. Gefühlvoll geht Frau Turunen hier zu Werke und steigert sich im Refrain hinein in eine ausgewachsenen Arie.

Das deftige „Dark Star“ schmückt sich hernach mit leichtem Prog-Einschlag. Neben ex Apocalyptica Mitstreiter Max Lilja am Cello, darf hier auch „All That Remains“-Sänger Phil Labonte als männlicher Konterpart ein paar Zeilen beisteuern. Zwar bleibt sein Auftritt eher blass, der Song gehört aber definitiv zu den Stimmungskanonen des Albums. Selbiges gilt auch für die Street-Single „Falling Awake“ zu der niemand geringerer als Gitarrengott Joe Satriani ein gepfeffertes Solo beisteuerte. Wie so oft auf diesem Album wird einem fast schon beiläufig ein kleines Stückchen Genialität serviert, dass man sich wohlwollend einverleibt.

Womit wir auch schon beim vorläufigen Finale wären. Während Tarja mit „The Archive Of Lost Dreams“ die Balladenfraktion des Albums verstärkt, hebt sich die Finnin das Filetstück für den Schluss auf: „Crimson Deep“! Ein Song den man nicht mit Worten erklären kann, man sollte ihn selbst gehört haben. 7 Minuten und 35 Sekunden lang darf man sich an diesem Monolithen aus Black Sabbath Lavariffing, perfektem Gesang und überwältigendem Bombast ergötzen, bis dieses gleißende Strom musikalischer Schönheit zum erliegen kommt. Ein Wahnsinn in Idee und Ausführung! Und ein schöner Gruß an alle Female Fronted Kapellen, denen dieser geniale Twist leider nicht eingefallen ist!

Während für Besitzer der regulären Fassung die Reise durch das subkutane Tarja-Universum endet, darf man mit der Limited Edition noch ein wenig tiefer. Anders als herkömmliche Bonusbeigaben, fügen sich die Songs der zweiten CD jedoch nahtlos in das Gesamtkonzept des Albums ein. So wird der straighte Rocker „We Are“ fast wie die typische „Hit Single“ angeführt, die Live zu gern als Zugabe verfeuert wird um das Publikum bei der Stange zu halten. „Naiad“ bringt anschließend das inhaltliche Konzept von „What Lies Beneath“ in Wort und Klang dermaßen treffend auf den Punkt, dass sich die Frage aufdrängt wieso dieser Song nicht auf dem regulären Album gelandet ist. Dabei steuert Tarja ihr U-Boot, begleitet von stimmungsvollen elektronischen Sounds, bis auf den Grund der Thematik und liefert so eine begnadete Downline die das Album gleichermaßen zusammenfasst wie um eine weitere Facette erweitert!

Leider lässt Frau Turunen aber auch dieses Mal das Covern nicht! Da gibt die Queen 67 bärenstarke Minuten lang alles was drin ist und verhebt sich am Schluss dann doch wieder an einem Klassiker wie Whitesnakes „Still of the Night“. Zugegeben, der Bombast und die Chöre funktionieren noch ganz gut. Als David Coverdale Ersatz erweist sich Tarja jedoch als Niete. Der Song passt hinten und vorne nicht zu ihrer Stimme, woran die Nummer unweigerlich zu Grunde geht. Aber wo kämen wir auch hin wenn es gar nichts zu meckern gäbe?

Nach dem durchwachsenen Einstand „My Winter Storm“ legt Tarja mit „What Lies Beneath“ mehr als nur EINE Schippe drauf. So klingen die Songs einerseits runder und gereifter und treiben die stimmlichen Fähigkeiten der Sängerin in immer neue Höhen, zum anderen bleibt das Album stets in der Schwebe zwischen Pop-Appeal und Rockpower. Es ist faszinierend mit welcher Perfektion die Songs ausbalanciert sind. So gelingt es „What Lies Beneath“ jederzeit die klebrigen Klippen des Kitsch zu umschiffen und zugleich den verlockenden Walkürenritt zu verweigern. Stattdessen bringen gelungene Experimente wie „Anteroom of Death“, „Crimson Deep“ und „Naiad“ frischen Wind in das von viel stumpfem Doublebass-Gehacke geprägten Heavenly Voices Genre.

Man hört dem Album von Vorne bis hinten an, dass es mit sehr viel Liebe zum Detail entstand. Auch wenn es hier vielleicht poplastiger zugeht als anderswo werden hier keine 08/15 Songs herunter gekurbelt, was man vor allem daran merkt, dass selbst die schwächeren Momenten noch zu zünden vermögen. Die direkte Einbeziehung von Tarja in die gesamt Produktion hat sich offenbar sehr positiv ausgewirkt und mündet in einem Werk dass sich geschlossener präsentiert als eine Teflonpfanne. Starke Melodien, überragende Hitdichte, gelungene Überraschungen und die begnadete Stimme Tarja Turunens. So und nicht anders hat eine moderne Rockplatte mit Klassikelementen Anno 2010 zu klingen! Da können sich auch die überzüchteten Ex-Kollegen von Nightwish eine ganz dicke Scheibe von abschneiden. Nach dem großen Fragezeichen „My Winter Storm“ entpuppt sich „What Lies Beneath“ zu einem ganz heißen Anwärter auf das Album des Jahres entwickelt. Endlich zeigt die Turunen wieder der Welt wo der Hammer hängt. Scheiß auf das Cover, mehr geht nicht!

10/10 Punkten

 

Anspieltips:
Anteroom of Death
Underneath
Falling Awake
Crimson Deep
Naiad