9,5 / 10 Punkten
 


Disc Facts:



Label: Trisol

Spieldauer CD I: 49:25 Min.
Spieldauer CD II: 29:56 Min.

Tracklist Disc 1:

-Vergessen
-1000 Voices
-Behind the light
-Bleib
-Requiem
-Lost
-Blutrot
-Reborn
-Es tut mit Leid
-Niemals
-Jenseits der Schatten
-The Cleansing
-Namenlos
 

Tracklist Disc 2:
-Erneuerung
-When the Sun has
 ceased to Shine
-Love is Lost
 (by Anthoni Jones)
-When the Sun has
 ceased to Shine
 (by Spiritual Front)
-Es tut mir Leid
 (by Steinkind)
-Niemals
 (by Sieben)
-Requiem
 (by Whispers i. t. Shadow)
-Erinnerung
 (by Thomas Sabottka)

Release: 25.01.2008
 

Produktion:
L´Âme Immortelle
Bernd Mazagg

Homepage:
www.lai-music.com
www.voiceless.de (Fanclub)
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

L´Âme Immortelle - Namenlos


Totgesagte leben länger, böse Scherze aber auch!
Manchmal gibt es Musiker, denen möchte man vor dem Kauf ihrer Platten erstmal mit Anlauf in den Hintern treten. Zu diesem elitären Kreis dürfen sich neuerdings auch L´Âme Immortelle zählen. Nun mag die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod in Gothic-Kreisen zwar zum täglichen Brot gehören, eine überdimensionale Todesannonce in einer großen Szene-Gazette aufzugeben und seine Fans anschließend Monatelang zappeln zu lassen hingegen weniger. Im Zwiespalt zwischen mysteriösen Andeutungen und fragwürdiger PR-Masche, konnte wenigstens das Ableben der Bandmitglieder relativ schnell ausgeschlossen werden. Dennoch durften sich die LAI-Fans berechtigte Sorgen um die Zukunft ihrer Band machen, klang doch der letzte Track ihres Best-Of-Albums „10 Jahre“ gefährlich nach dem finalen Farewell.

Über 2 Monate ließ der König sein Volk zappeln, bis des Rätsels Lösung über dunkle Kanäle an die Oberfläche geschwemmt wurde, wie eine aufgedunsene Wasserleiche am Sonntagnachmittag. Ein makaberer PR-Gag also, zur Einstimmung auf ein neues Album, über den die besorgten Fans zugegebenermaßen nicht wirklich lachen konnten.

Angesichts dieser Vorgeschichte, stand „Namenlos“ nun gleich doppelt in der Pflicht. Zum einen um mit einem besonderen Geniestreich die blöde Aktion wahlweise zu rechtfertigen oder vergessen zu lassen und andererseits die Scharte des vorherigen Albums, „Auf deinen Schwingen“, auszuwetzen, mit dem sich die Österreicher ins finnisch angehauchte Gothrock-Lager verirrt hatten, ohne dabei die Brillianz des Originals zu erreichen. Sollte sich damals vielleicht doch der Major-Deal seinen Weg in die musikalische Feder des Herrn Rainer gefressen haben? Wenn ja, dann ist es Ihm gelungen sich dieses Dämons zu entledigen. Die Rückkehr zum ehemaligen Label „Trisol“, ging für LAI einher mit der Besinnung auf die alten musikalischen Stärken, ohne dabei die Gegenwart aus dem Blickfeld zu verlieren.

Zunächst einmal wäre da das Konzept des Albums: Nach dem Ausflug ins fluffige Land der Liebe, kehren LAI auch geographisch heim und widmen sich auf „Namenlos“ dem Mysterium des Wiener Friedhofs der Namenlosen. Erstmals im Jahre 1840 erwähnt, ruhen dort insgesamt 478 Leichen, welche über die Jahre von den Fluten der Donau freigegeben wurden. Die meisten von ihnen bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Nur die Wenigsten konnten jemals identifiziert werden. Heute findet man den Friedhof von Bäumen überwuchert und nur seine Geschichte erinnert derer, die dort für immer begraben liegen. Nachdem der Friedhof selbst mehrfach ein Opfer der Fluten wurde, enstand um die Jahrhundertwende ein zweiter Friedhof der Namenlosen. Kreuze und anonyme Tafeln mit Aufschriftetn wie „Namenlos“ oder „Unbekannt“ gedenken der 104 Ertrunkenen, welche dort ihre letzte Ruhe fanden.

Vor diesem Hintergrund beginnt LAI´s „Namenlos“ mit einer ebenso unerwarteten, wie grandiosen Rolle Rückwärts. Anstatt mit der Tür ins Haus zu fallen, erhebt Sonja ihre Stimme für ein traurig-schönes Requiem („Vergessen“) zu Ehren der namenlosen Toten, dessen sakrale Atmosphäre einen sprichwörtlich an den Ohren in das Album zieht. Ganz ohne musikalisches Beiwerk nimmt einen die Stimme gefangen, während Thomas Rainer noch seinen Maschinenpark vorglüht.

1000 Voices“, einigen sicher schon aus den Prelistenings bekannt, dürfte dann für viele LAI-Hasen der alten Schule das größte Aha-Erlebnis seit „Dann habe ich umsonst gelebt“ darstellen. Wer dachte Thomas hätte endgültig das Rotzen verlernt, sieht sich urplötzlich von tonnenschweren Electrobeats, pickenden Nadelstichsynthies und dem fiesesten Gebell seit „Slut“ umzingelt, dass einen mit 1000 Stimmen auf die nächste Tanzfläche zerrt. Doch nicht nur der Old-School-Faktor weiß zu begeistern, auch die spielerische Finesse, mit der die Sounds aus den Boxen hämmern, wecken große Hoffnungen für den Rest des Albums und zeigen, dass der Hund beim Streunen in fremden Revieren eine Menge dazugelernt hat.

Ein riesiges Problem, mit dem „Auf deinen Schwingen“ seinerzeit zu kämpfen hatte, war seine Blutarmut. Kreative Ideen und überraschende Soundexperimente waren rar gesät und nur wenige Songs konnten sich aus dem hölzernen Rockkorsett befreien. Nach dem mutigen „Gezeiten“ stellte sich die Frage, ob LAI ihr Pulver tatsächlich schon verschossen hatten. Doch weit gefehlt. Mit „Namenlos“ belehren sie uns eines Besseren, jonglieren wieder mit spannenden Sounds quer durch die verschiedensten Stilprägungen und präsentieren dabei sowohl ihr bislang ausgereiftestes, wie organischstes Werk. Es gehört schon einiges dazu, den Bogen von sakralem Kirchengesang und Klassikelementen über Electrobretter bis hin zu akutem Düsterrock zu schlagen, ohne dabei wie eine zerpflückte Vogelscheuche umher zu irren.

Ein schönes Beispiel für die wiedererlangte Kreativität und Klangesfreuden findet sich in „Behind The Light“. Als synthetischer Vollwaschgang mit Bohlentypischen Schenkelschubser-Beats entführt einen der Song dank atmosphärischer Streicheleinheiten in eine Klangwelt jenseits der Wasseroberfläche, dass es eine helle Freude ist, seine Augen zu schließen und sich von den Wellen treiben zu lassen. Es sind die kleinen Details, die hier den Unterschied zum Vorgänger ausmachen, denen es ein ums andere Mal gelingt, einem Song seine unverwechselbare Stimmung zu verleihen. Sei es nun ein Sehnsucht versprühender Gitarrenknarzer („Bleib“), eine Schweigesekunde am richtigen Fleck in „Blutrot“, der einem den Atem stocken lässt oder Sonja, die sich in „The Cleansing“ an den Rande des Wahnsinns singt. Es gibt viel zu entdecken.

Obwohl es schwer fällt einzelne Tracks hervorzuheben, da jeder für sich einzigartig bleibt, spülen sich einige Songs direkter ins Gehör als andere. Während sich die beiden Klassik-Interludien „Lost“ und „Jenseits der Schatten“ aus der Feder von Cellist Martin Höfert (Persephone) in der Kürze ihrer Würze schwer tun, marschiert der hymnische Rocker „Requiem“ mit seinem Killerrefrain beherzt voran. Wer hätte gedacht, dass wir nach den Schreckensmeldungen im vergangen Herbst ausgerechnet die Worte der Todesannonce „Was bleibt von uns übrig wenn der letzte Ton verklingt?“ inbrünstig mitschmettern dürfen? Die Nummer hat das Zeug zum Klassiker!

Ein weiterer heißer Kandidat für die anstehende Blitztournee dürfte „The Cleansing“ sein. Sucht man nach einer ähnlich tanzbaren Nummer, muss man im LAI-Repertoire schon weit, sehr weit zurückblicken. Gleiches gilt für „Es tut mir Leid“ - Fetziger Stakkatogesang, prallt auf pumpende Beats, die in Zukunft sicher so manche Party befruchten dürften.

Das unbestrittene Highlight des Albums findet sich jedoch in seinem Titeltrack. „Namenlos“, ein sechsminütiges Epos von morbider Schönheit, nach einem Text des Grafen von Wickenburg. Sensationell umgesetzt mit akustischen Gitarren, dezenten Synthis und grandiosen Streicherarrangements, deren Spannungsbogen sich in einem ergreifenden Finale entläd, während reale Drums die atemberaubende Stimmung des Songs behutsam voran tragen. Mit diesem beinahe folkigen Ausklang setzen L´Âme Immortelle nicht nur den namenlosen Seelen an den Ufern der Donau, sondern auch sich selbst ein Denkmal. Unfassbar schön!

Womit wir bei der Gesangleistung des Duos angekommen wären. Dass Sonja Kraushofer singen kann, muss sie niemandem mehr beweisen. Spätestens seit ihren Alben mit Persephone zählt sie zum Besten, was der deutschsprachige Raum zu bieten hat. Und das beste ist für „Namenlos“ gerade gut genug: Befreit von den musikalischen Zwängen des 2006´er Durchschnittswerks, ruft der stimmgewaltige Rotschopf eine riesige Bandbreite ab. Mal kreischend wie eine verzickte Göre („Es tut mir Leid“), dann wieder engelsgleich aus 1000 Winden („Namenlos“), sind es vor allem die persönlichen Freiräume, die begeistern. Sei es das kiebige Zwapseln einer betrunkenen Milster -ähh Elster- („The Cleansing“), das man auch schon in Persephones „Wishful“ hörte oder der musicaleske Powergesang in „Niemals“. Ihre Fans können sich freuen. Denn so viel Sonja gab es noch auf keinem LAI-Album!

Wackelkandidat Thomas hält sich hingegen vornehm zurück. Die Duette in alter „2 Unlimited“-Manier sind selten geworden und auch sonst gibt es von ihm dieses Mal vor allem Musikalisches auf die Ohren. Wenn er dann doch mal zum Mikro greift, kommt aber, je nach Tagesform, erneut ein mehr oder weniger befriedigendes Ergebnis dabei herum. Um es kurz zu machen. Mit Sonja an seiner Seite blüht er auf: „Requiem“ funktioniert gut und in „Namenlos“ schafft er es für meinen Geschmack erstmal einen Song Unfallfrei über die Ziellinie zu tragen. Wohingegen „Reborn“ wieder den alten Strophenknödler zu Tage fördert, der lieber bei seinen Leisten („1000 Voices“) geblieben wäre, anstatt mit dem Kehlkopf gegen die selbstgebaute Wall of Sound zu rennen.

Textlich präsentieren sich L´Âme Immortelle ebenfalls in Top-Form. Gut, die lyrischen Ergüsse des Duos waren noch nie jedermanns Sache und dürften auch auf diesem Album ihre Kritiker schwerlich umstimmen können. Wer er es darauf anlegt nach Schlüsselworten wie „Engel“, „Tod“, „Liebe“ und „düster“ zu forschen, wird auch auf „Namenlos“ schnell fündig. Doch ein zweites Lovesong-Massaker á la „Auf deinen Schwingen“ bleibt definitiv aus. Im Themenkontext widmen sich LAI mal mehr, mal weniger verbindlich dem Schicksal der Namenlosen und stellen die Frage woher all die Toten kommen. War es eine unerfüllte Liebe, ein quälender Schmerz oder gar ein Unfall der sie in die tödlichen Fluten trieb? Auch verleihen die Texte den Opfern Posthum eine Stimme („Requiem“, „Namenlos“). Es stellt sich die Frage: „Was bleibt von uns wenn der letzte Ton verklingt?“. Ein Gedanke, dem wohl jeder von uns schon einmal nachhing. Vielschichtigkeit ist hier Trumpf und es lohnt sich genauer hinzuhören, um zu erkennen, welche Interpretationsmöglichkeiten sich bei aller Konzeption eröffnen. Simples „I Love You“-Blabla überlassen LAI ab sofort endlich wieder den anderen.

Als ob es nicht schon schwer genug wäre, ein Haar in dieser Suppe zu finden, zerstreuen LAI heuer auch noch die letzten Zweifel. Zur Not auch mit „Bestechung“: Wem das reguläre Album nicht genügt, den erwartet mit „Erinnerung“ ein üppiger Beilagenscheibling, dessen Dancekracher „When the Sun has ceased to Shine“ den Weg für eine Reihe interessanter Coverversionen aus dem Namenlos-Fundus (u.a. von Steinkind und Sieben), sowie ein Essay des Szene-Schreiberling Thomas Sabottka eröffnet. Als Bonus zu schade, komplettiert „Erinnerung“ den regulären Content des „Namenlos“-Pakets und sollte auf jedenfall Beachtung finden. Wer es noch aufwändiger liebt, kann zur limitierten Auflage greifen. Diese beinhaltet das vollständige Artwork des Janus-Illustrators Oliver Schlemmer („Schlafenden Hunde“) in einem aufwändig gestalteten Booklet, sowie ein individuelles Foto aus dem Entstehungsprozess des Albums.

Wie einem Phönix aus der Asche gelingt L´Âme Immortelle mit „Namenlos“ eine beeindruckende Rückkehr aus dem drohenden Mittelmaß. Den Finnenrock als inkompatibel erkannt, vereinen Thomas und Sonja ihre Stärken so facettenreich wie nie zuvor, auf einem Album, das vor Ideen nur so sprüht. Durchdacht und ausgereift bietet „Namenlos“ alles was LAI-Fans, jung oder alt, Spaß macht. Instrumentale Vielfalt begegnet treffsicherem Songwriting, mit dem passenden Killer-Refrain am richtigen Fleck. Kleine Macken bleiben dabei zwar nicht aus, aber insgesamt ist „Namenlos“ schlichtweg reifer, präziser und runder als alle bisherigen LAI-Alben und rechtfertigen das alte Sprichwort „Totgesagte leben länger“. Auch wenn es sich zum Glück nur um eine morbide PR-Masche handelte, ist „Namenlos“ zweifelsohne das beste Album, dass man nach „Auf deinen Schwingen“ erwarten durfte!

9,5 / 10 Punkten! Für die neue Referenz in Sachen L´Âme Immortelle!

 

Anspieltips:
1000 Voices
Requiem
The Cleansing
Namenlos