Folge 22: 24.04.2003 - Eläkeläiset, Famous in 9 Years (Hannover / Musikzentrum):

Hallo Leute, und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Rittis Feierabend. Einer Schnapszahl wie der 22 würdig, setzt es dieses Mal ein echt hochprozentiges Programm, das sich auf herkömmliche Weise eigentlich kaum in Worte fassen lässt: Eläkeläiset! Die finnischen Urväter des Humppa (einer Art Polka für jung gebliebene Senioren) mit dem kauzig unaussprechlichen Namen hatten zum munteren Stelldichein ins Musikzentrum zu Hannover gerufen, wo sie mit rund 400 bunt gemischten Fans ihr neues Album „Humppaellämää“ feiern und begießen wollten.

Bevor die Sause der „Rentner“, so die deutsche Übersetzung für „Eläkeläiset“, beginnen konnte, hieß es erst einmal Abwarten und Tee trinken. Und zwar vor dem mehr oder minder verschlossenen Eingang, wo bereits ein kleines Grüppchen von Frühstartern Stellung bezogen hatte, um später im Kampf um die besten Plätze die Nase vorn zu haben. Während sich klaren Abendhimmel allmählich verdunkelte, die Sonne ihr Licht dimmte und hinter dem Horizont zu verschwinden begann, hörte man aus dem inneren der Halle plötzlich „Famous in 9 Years“. Die Folkrocker mit Westernflair hatten für heute den Part des Supportacts übernommen und schossen sich nun unter relativem Ausschluss der Öffentlichkeit auf das Musikzentrum und das bevorstehende Konzert ein.

Als nach einigen Minuten die Vorbereitungen abgeschlossen waren, die Künstler sich in Richtung Backstagekajüte verdünnisiert hatten, konnte der Ort des Geschehens für das Publikum frei gegeben werden. Allerdings wirkte es zunächst etwas befremdlich, dass sich nur eine Handvoll Menschen in die kleine, seltsam stickige Halle begab. Das angenehme Wetter genießend, hielten sich die meisten der eintrudelnden Fans fürs erste an der frischen Luft auf und entschieden sich erst kurz vor Beginn den Weg vor die rustikal gebauten Bühne zu finden.

Als Famous in 9 Years gegen kurz nach 20 Uhr die Bühne enterten, hatte sich die Kulisse jedoch angenehm gefüllt und so stand dem Konzert nichts mehr im Wege. Lockerer Folkrock im Stile von Fiddler´s Green, gepaart mit dezenten Punkeinflüssen war an der Tagesordnung. Frontmann Willi und seine Jungs hatten es anfangs mit dem Publikum aber alles andere als leicht: Wie angewurzelt, ja fast schon scheu standen die Leute mit einem Respektsabstand von mindestens 2 Metern vor der Bühne und lauschten aufmerksam abwartend den Songs die Willi, Salino (Drums), Hans (Bass), Allan (Gitarre), Thommy (Geige) und Thor (Gitarre) da zum besten gaben.

Nur langsam fanden Band und Publikum zueinander, was sich angesichts der ordentlichen Spieldauer von knapp 35 Minuten jedoch nicht unmittelbar als Beinbruch herausstellte. Stattdessen gaben sich die Akteure alle Mühe das Eis zu brechen, was mit unter bizarre Formen annahm. Nachdem “Johny I hardly knew you” und “Find me” eher wirkungslos verpufft waren, holten sich FINY von einem eingeweihten Eläkeläiset-Fan Unterstützung, der flugs auf die Bühne hüpfte und eine kleine finnische Rede hielt. Ok, 90% der Anwesenden hatten mit Sicherheit nur Bahnhof verstanden, doch der wundersame Schmunzeleffekt reichte aus, um die Verkrampfung zu lösen.

Und auch Willi versuchte nun von Zeit zu Zeit mit urigen Ansagen der Marke „Jetzt kommt Raeggae aus Schottland“ kleine Scherze an den Mann zu bringen. Der wirkliche Spaßfaktor sollte allerdings noch folgen, als sich zu den schmissigen Klängen von „Party“ und „Gunfight @ OK Corrall“ eine Handvoll Punks dazu entschloss ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen und den Freiraum vor der Bühne in eine Pogozone zu verwandeln.

Als FINY nach einen guten halben Stunde von der Bühne gingen, war die Aufgabe „Support“ weitestgehend erfüllt. Das Musikzentrum zeigte sich nun bereit für den Hauptact des Abends, bedankte sich bei FINY aber auch mit Applaus und vereinzelten Zugaberufen für die gebotene Show, was sich Big Willi nicht zweimal sagen ließ. Kurzerhand bedeutete er seinen Jungs der höflichen Aufforderung Folge zu Leisten und meinte Sinngemäß „Einen spielen wir noch, damit die Rentner früher anfangen können“. Während sich die Logik der soeben gesprochenen Worte irgendwie selbst in den Schwanz biss (weil länger gleich kürzer?!?hö) ließ das Sextett mit Tommy´s Tune den angekündigten Absacker vom Stapel und verabschiedete sich danach endgültig.

Mit eiligen Schritten machte sich nun die Stage-Crew des Musikzentrum daran, aus den Brettern die die Welt bedeuten ein stilechtes finnisches Altersheim für die „Rentner“ zu basteln. Die alten Instrumente wurden abgebaut, noch Altere aufgebaut und von der Seite zurrte jemand ein niedliches Minischlagzeug herbeim das lediglich aus einer Bassdrum, Snare und ´nem Hihat bestand. Irgendwie süß! Als Bühnendekoration dienten ein paar Stühle, ein paar Tische (auf denen zur Rechten nun zwei ramponiert aussehende Keyboards thronten) sonst weiter nichts.

Während auf der Bühne weiterhin emsiges Kramen, Stecken und Basteln vorherrschte, bot sich bei einem kurzen Blick über die zahlreich gewordenen Fans ein echt kultiges Bild. So hatten sich neben einigen Gelegenheitsbesuchern und Freunden ungewöhnlicher Musik auch zahlreiche Veteranen unters Volk gemischt, die nun mit stilechten Rentneroutfits oder „deutsch-finnische Freundschaft“-T-Shirts im Vorfeld für gute Laune sorgten. Hinzu kam noch ein gewisses Polnisches Humppa Team, dessen Mitglied „Kris“ später noch seinen großen Auftritt haben sollte. Dazu aber nachher mehr, denn erst einmal war es nun an der Zeit „Eläkeläiset“ auf die Bühne zu bitten:

Einmarsch der Gladiatoren meets Musikantenstadl! Die Finnen, die sich kurz vor der Tour mit Gelegenheitsmember Petteri Halonen an Keyboard und Gitarre offiziell zum Quintett verstärkt hatten, liefen nun etwas unsortiert auf und begannen erstmal mit dem großen Stühlerücken. Kristian Voutilainen der schwergewichtige Drummer nutzte die Gelegenheit um feierlich einen 30er Kasten Einbecker Bier herein zu tragen und diesen in sicherer Entfernung zum Morgenluft witternden Fan zu verstauen. Weit weniger vorsichtig war da Akkordeonmann Lassi Kinnunen. Er postierte seine mitgebrachten Wodka/O-Saft Flaschen demonstrativ auf den vor ihm befindlichen Tisch und nahm dann gemütlich Platz. Als auch Onni (Keys), Martti (Bass) und Petteri sich in Startposition gebracht hatten und Kristian ein paar Bierflaschen durchreichte, war Hannover bereit für knapp 2 Stunden Irrsinn!

Von irgendwoher schallte es plötzlich „We come in peace“ und wie in der Schule hoben die 5 Musiker nacheinander ihre Hand und sprachen in astreinem finnischen Akzent:

„Ferrtikk!“....“Fertik“....“Ferrrtikk“....“Fertik“...“Ferttig“

Was nun folgte, war das spontane Aussetzen des menschlichen Verstandes, bedingt durch die Unfassbarkeit des gebotenen Schauspiels. In einer Mischung aus Karl Moik und Ville Valo startete die große Humppa-Party mit allem was dazu gehört: Pogo, Stagediving, Crowdsurfing, im Musikzentrum brach die Hölle los! Gefangen im Rhythmus wo man immer mit muss konnte sich niemand dem Charme der Finnen entziehen. Eher das Gegenteil war der Fall: Während Eläkeläiset Hit auf Hit aus ihren Hemdsärmeln zogen und munter bekannte Melodien aus Rock und Pop durch den Pogopolka Hexler jagten, verschwommen die Grenzen bekannter Konzertregularien mit den Emotionen eines gigantischen Miteinanders. Wo bei FINY noch ehrfürchtig Respektsabstand gehalten wurde, verkehrte sich die schüchterne Zurückhaltung nun ins absolute Gegenteil. Es wurde getanzt was das Zeug hielt, nicht nur vor der Bühne sondern auch darauf. Immer wieder hüpften Fans zu Ihren Helden auf die Spielwiese, um dort vor versammelter Mannschaft abzuhotten oder sich nach einem gewagten Sprung von der Menge tragen zu lassen.

Leider führte dies dazu, dass die Band sich nach einigen Stücken gezwungen sah durchzugreifen. Die zahlreichen Besucher verhielten sich zwar in keiner Weise gefährlich oder respektlos, doch gestaltete sich der Blick auf die Musiker für unten stehenden Fans durch die menschliche Mauer als reichlich blockiert. So gesellte sich notgedrungen ein eilig herbeigerufener Ordnungswächter zu den Finnen, der in regelmäßigen Abständen den Feierwütigen ihre Grenzen aufzeigen musste und sie frei nach dem Motto „Jeder der nach 30 Sekunden nicht weg ist, wird weg gemacht“ von der Bühne gelobte.

Eläkeläiset selber pflegten inzwischen ihren Ruf als hochprozentige Partybombe. Mit spaßigen Gesten, ansteckender Fröhlichkeit und viel Bier wurde das Konzert begossen. Dabei übte sich Onni unter Beobachtung von Merchandiser und Kameramann Pekka im Extrem-Hardcore-Keyboarding oder setzte sich sein beliegendes Handtuch in Form einer Wüstenkönigs auf den Kopf. Kristian wiederum öffnete von Zeit zu Zeit eine Flasche Cerveza mit seinem Drumstick, um sie gegebenenfalls in einem einzigen Zug zu entsorgen. Prost!

Den prozentual hochwertigsten Auftritt hatte jedoch Lassi: Neben der Bedienung seines Akkordeons bestand seine Aufgabe darin Mixgetränke zu bereiten, was er dann auch tat. Beherzt breitete das Männchen mit dem lustigen Bart einige Becher vor sich auf dem Tisch aus, griff die vorhin erwähnten Flaschen, senkte sie über Kreuz und panschte liebevoll eine 50/50 Mischung aus Wodka und O-Saft. Dies ließen sich die Fans natürlich nicht entgehen. Kurzerhand wurde Lassi zum Freiwild erklärt und stand für einen Moment da wie ein Kassierer während eines Banküberfalls. Schwuppdiwupp hatten sich die Becher samt Inhalt in Luft aufgelöst und waren jenseits der Bühne verschwunden. Doch Lassi löste sich wieder aus seinem Staunen und griff reflexartig nach den Flaschen: Gerade noch rechtzeitig bekam er seine Finger an die Behältnisse, bevor auch sie noch Opfer der durstigen Wegelagerer werden konnten. Mit einem Gesichtsausdruck zwischen naivem „Meins Meins“ und grimmigem „Beim Alkohol hört der Spass auf“ brachte er seine traurigen Reste in Sicherheit.

Weit weniger raubritterhaft, dennoch keineswegs unlustiger, setzte sich der Abend fort: Schwerstfeierlichkeiten zu hammerhartem Humppa-Sound, da blieb kein Auge trocken. Zudem zeigten die „Rentner“ einem anderen altbekannten Rentner wie man „Smoke on the Water“ anständig auf einem Akkordeon spielt oder wie der „Wind of Change“ in Finnland bläst. Natürlich durften auch die kultigen Kraftmeierposen zwischen den Songs nicht fehlen, mit denen sich die fünf Musiker in regelmäßigen Abständen für die ausgelassene Stimmung im Musikzentrum bedankten.

Und der anfangs eher ruhige Lassi drehte nun richtig auf. Immer seltener hielt es den Mann mit der Lizenz zum Quetschen auf seinem Schemel. Stattdessen benutzte er selbigen als Stufe,  um immer wieder mit großen Schritten auf den Tisch zu steigen und dort eine im wahrsten Sinne „überragende“ Show abzuliefern. Mit Akkordeon, Charme und Melone...oder so!?.

Nach etwa 80 Minuten fand die deutsch-finnische Freundschaft jedoch ihr vorübergehendes Ende. Angesichts fallender Bierfüllhöhen ergriffen die Rentner eilig die Flucht und ließen sich nur durch intensive Zugabe-Rufe zum Weiterspielen bewegen:

Zu Beginn der Verlängerung sollte dann Keyboard-Killer Onni Varis der Show seinen ganz persönlichen Stempel aufzudrücken. In bester Flake Manier (Rammstein-Kenner wissen was gemeint ist) sang er nun für uns ein wenig „guhte finnisse Humppa-Musikk“ und zappelte dabei wie ein Suppenkasper von einer Bühnenecke in die andere. War diese Nummer in Punkto Skurrilität kaum zu Toppen, schoss nun aber eingangs erwähnter Kris vom Polish-Humppa-Team den Vogel ab. In einem unbeobachteten Moment schob er sich ganz dicht an die Bühne, wartete auf Onni und just in dem Moment als sich jener nach vorne über beugen wollte machte es „Grapsch“ und weg war das Mikrofon. Dreimal dürft ihr raten wer nun seine Sangeskünste zum besten gab! Genau, der Pole!!! Nicht dass ich hier wieder das Vorurteil des kleptomanen Osteuropäers bemühen will, doch die Nummer war schon echt hammerhart. Der beraubte Rentner indes konnte von Glück reden, dass er gerade noch das Kabel seines Mikros zu packen bekam, sonst wäre die Sprechmuschel wohl fürs erste nicht wieder in seinen Besitz gelangt.

Als Onni dann wieder alle Schateken beisammen hatte, schien er von der Idee mit der Publikums-Karaoke durchaus angetan und so entschloss er sich kurzfristig dazu ein paar Konzertbesuchern hinsichtlich ihrer Textfestikeit und Finnischkenntnisse auf den Zahn zu fühlen. Ergebnis: Totalausfall, dumme Gesichter und ein triumphal grinsender Finne.

Nach diesem Stunt brachte erneut Lassi einen echten Kalauer ein: Mit besorgtem Blick auf die leere Einbecker-Kiste rief er verzweifelt in Richtung Bühnenrand „Hey Mr. Orrganiserr, mehr Bierrr, very very snell“. Erhört wurde sein Notruf nicht. Stattdessen mussten Eläkeläiset den Rest der Show mit ihrer bierseeligen Laune und den verbleibenden Resten aus ihren angebrochenen Flaschen beenden. Bevor sich die ersten Entzugserscheinungen manifestieren konnten, war dann aber Schluß im Musikzentrum. Geschafft verabschiedeten sich Band und Fans voneinander und freuten sich über einen gelungenen Abend, der zeigte, dass es nicht immer düsterer Roben und flammender Infernos bedarf, um eine gute Zeit zu haben. Stimmung pur im Musikzentrum zu Hannover ohne Schikanen, ohne Grenzen. Einfach schön dabei gewesen zu sein und  Spaß gehabt zu haben.

Seinen Spaß hatte im Anschluss auch noch der vorhin erwähnte Kameramann Pekka. Hinter seinen stilfesten Merchandising-Stand, bestehend aus einem abgeranzten Reisekoffer, hatte er alle Mühe seine zahlreich umherstehenden Kunden zu bedienen und der Lage irgendwie Herr zu werden. Jeder wollte was, jeder bekam auch was aber etwas Geduld musste man schon mitbringen. Ist ja auch nicht so einfach einen alkoholisierten Deutschen zu verstehen, wenn er die letzten verbleibenden Brocken seines Schulenglischs bemüht. ;)

Wie dem auch sei, ein feuchtfröhlicher Abend fand damit sein Ende und mit riesen Dank an Eläkeläiset für dieses geile Konzert heißt es: Beehrt Hannover recht bald wieder.

So liebe Leute ich verabschiede mich nun auch und wünsche euch bis zum nächsten Mal alles Gute. Next Stop: Wolfsheim!

CU
euer Ritti

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