Folge 19: 25.03.2003 - Project Pitchfork, Angels & Agony (Hannover / Capitol):

Kinder wie die Zeit vergeht. Kaum schaut man auf den Kalender sind schon wieder zwei Jahre ins Land gestrichen, seit das altehrwürdige Project Pitchfork zum letzten Mal seine sieben Sachen packte, um die Nation mit neuen Klängen von Nord nach Süd von Ost nach West zu bereisen. Doch auch die längste Zeit geht irgendwann vorbei und so hatten sich die Jungs um Chefdenker Peter Spilles für heute das Capitol in Hannover gesichert um dort gleich mit einer ganzen Trilogie an neuem Material in der Hinterhand, für ein hoffentlich munteres Stelldichein zu sorgen.

Bevor es allerdings so weit war, folgte erst einmal das übliche Prozedere vor jedem Konzert (Ticket abreißen, Waffen ablegen ;-) usw...). Da sich hiervon nichts Außergewöhliches zu berichten läßt, begeben wir uns Ausnahmsweise mal direkt in die Zweite Reihe und harren der Dinge. Nachdem sich der Saal bereits zusehends gefüllt hatte, sollte es auch nicht mehr lange bis zum Beginn der Supportacts dauern, den auf dieser Tour die Niederländer von „Angels & Agony“ bestreiten durften. Gegen zirka 21 Uhr betrat das Trio aus dem Land der Tulpen und Tomaten die Bühne, um sogleich mit munterem Electro-Pop der Kategorie mild bis würzig für ein bisschen Stimmung unter den angereisten Pitchfork-Anhängern zu sorgen.

Da es diese Allgemein etwas zünftiger gewohnt sind und sich der gemeine Hannoveraner naturgemäß auch eher zögerlich aus der Reserve locken lässt, hielt sich die Resonanz auf das lebendige Treiben zunächst stark in Grenzen. Erst als die mit Schwarzlichtfarben bepinselten Herren mit Stücken wie „Forever“, „Lost“ und „Darkness“ etwas härtere Briketts nachlegten, begann der mehrere Hundertköpfige Eisblock zu tauen, womit sich mehr und mehr Fans auf die Seite der Niederländer schlugen. Dieses äüßerte sich in erster Linie durch den zunehmenden Lärmpegel in der ersten Reihe, wo fortan einige Stimmungskanonen rhythmisch gegen das Metall des Wellenbrechers traten, was gelinde gesagt einen Höllenlärm zur Folge hatte.

Alles in Allem blieben Angels & Agony, in Person von Erik (Gitarre), Reinier (Gesang) und Marco (Keyboards) jedoch selbst für einen Support relativ blass. Das musikalische Konzept präsentierte sich zwar eingängig und nett hörbar, doch gelang es dem Trio nicht die Fans übermäßig aus der Reserve zu locken. Vor allem im Vergleich zu den 2001 angetretenen „Zeromancer“, die es Pitchfork damals wahrlich nicht leicht machten und schon vorab das Capitol in einen Hexenkessel verwandelt hatten, wirkte die Show der Holländer extrem gewöhnlich. Schwarzlichtlampen auf dem Keyboard, Tinte im Gesicht und wusselige, an eine Keyboard geklebte, Engelsschwingen schaffen eben noch keine mitreißende Live-Präsenz. Doch genau diese kam trotz einer guten Gesangsleistung von Fronter Reinier ein bisschen zu kurz. Prädikat Nett aber zu brav! Sorry aber hier muss ich sagen: Better luck next time!

Nachdem sich inzwischen die Pitchfork-Crew auf die Bühne begeben hatte, um sich über die versammelten Gerätschaften von Angels & Agony herzumachen, hieß es im Publikum nun erst einmal wieder „Abwarten und Bier trinken“. Gerade als die etwa zwanzigminütige Prozedur langweilig zu werden drohte, gellte jedoch plötzlich ein Ruf wie ein „Hackebeil“ durch das Capitol und sorgte für spontanen Spaß am Dienstag: „Heeeellllgaaaaa“ schallte es von irgendwoher und bei grob geschätzt jedem/jeder Vierten schrillten auf einmal sämtliche Alarmglocken. „Helga“, der Schlachtruf unzähliger durchwachter Festivalnächte und Hauptnervquelle wenn man eigentlich mal ein Stündchen Schlaf gebrauchen könnte, er war wieder erwacht! Sieht man mal davon ab, dass allgemeines Schmunzeln an der Tagesordnung lag, so konnte man in einigen Gesichtern die schiere Panik und die Erinnerung an eben jene schlaflosen Nächte erkennen.

Als sich die Lage in dem mittlerweile achtbar gefüllten Capitol wieder zu normalisieren begann, waren die Umbauarbeiten größtenteils abgeschlossen und auf der mit drei Leinwänden (zwei Kleine vorn eine Große hinten) bestückten Bühne erlosch das Licht. NUN musste sich zeigen was NUN wert ist und ob Project Pitchfork mit ihren neuen Stücken wirklich ein Inferno zu entfachen vermochten oder ob das textintensive Material einer ausgelassenen Feier eher im Wege steht.

Bereit die Antwort zu liefern, huschten NUN Achim (drums), Jürgen (Keyboards, Synthies, technisches Allerlei), Carsten (Gitarre) und Dirk, besser bekannt als „Scheubi“, auf die Bühne und legten, vom Beifall der ausgehungerten Meute begleitet, ohne Kommentar mit dem „Timekiller“ los. In diesem Moment flackerten auch die bereits beschriebenen Leinwände auf, die fortan verschiedenartige, inhaltlich auf die Songs gemünzte Videosequenzen zeigten. Kaum war die erste Uhr im Bild erschienen, schritt Peter Spilles als „letzte Zinke“ an der Heugabel eilig zum Mikro und machte mit dem Einsatz seiner markanten Stimme auch dem letzten Zweifler klar, dass die Zeit des Wartens endlich vorüber war.

Project Pitchfork waren wieder da und das mit Nachdruck. Denn die Jungs wussten genau, wie ihr Publikum zu knacken war. Vom Start weg ließen die Fünf mit „Timekiller“ und „God Wrote“ zwei ihrer Flaggschiffe vom Stapel. Mitsingen, mitfeiern, tanzen, hüpfen, freuen lautete das Motto. Und Peter spielte seine Rolle als Anheizer gut. So schmiss er sich zu flammendem Inferno auf den Leinwänden wagemutig selbst als Brikett auf den „Party“-Grill und hüpfte kurzerhand von der Bühne in den Graben, um auf Augenhöhe mit der ersten Reihe sein Volk auf die folgenden Ereignisse einzuschwören und gleichermaßen den Bahnhof für das erste neue Stück „Trialog“ zu bereiten, welches gleich im Anschluß folgte.

Zugegeben Jubelstürme löste der Song nicht direkt aus, doch es war zu spüren, dass das Publikum vom starken Beginn zehrte und dem etwas sperrigen Material der NUN Trilogie eine Chance geben wollte. Somit nahm dann der Abend seinen Lauf. Getreu dem Prinzip vorwärts immer, Rückwärts nimmer, kam das Capitol immer besser in Schwung. Während die Electro-Fraktion mit Drone State, Inferno, Terra Incognita und Awakening (übrigens mit spektakulären Explosionseffekten auf den Leinwänden präsentiert) bestens bedient wurde, bewiesen Project Pitchfork auch im Hinblick auf ihre zweifellos vorhandene Rockader ein gutes Gespür für den passenden Song im richtigen Moment. Unter tatkräftiger Mithilfe von Gitarrist Carsten Klatte, der mit seinem Spiel vorzüglich den Live-Sound der Heugabeln anreicherte, schoben Nummern wie „I Am“ und „Mine“ mächtig an.

Allgemein wirkte der nahezu lückenlose Gitarreneinsatz (zumindest auf mich) wie das fehlende Steinchen im Mosaik und trug neben Achim Färbers Drumming, das ja schon auf der Daimonion Tour zu erleben war, sehr dazu bei, die Sterilität der studioproduzierten Konservensounds erfolgreich zu bekämpfen, sowie Peter beim Schaffen einer Live-Atmosphäre tatkräftig zu unterstützen. Ich will jetzt nicht behaupten dass die Show nicht auch ohne die beiden funktioniert hätte, doch spätestens als nach „Carnival“ und „We are one“ die Live-Version des Klassikers „Alpha Omega“ (ihr wisst schon, der Song von den kleinen und großen Dingen) folgte und Achim dem völlig aus dem Häuschen geratenen Publikum ein Drumsolo um die Ohren knallte, verdeutlichte sich der Unterschied zwischen reiner Elektronik und handgemachter Musik.

Die folgenden Stücke „Tal der Dornen“ und „A spoken mirror“ sausten ebenfalls wie Hämmer aus den Boxen auf das Publikum herab. Stampfend und treibend prasselte das Inferno hernieder, versetzte die Massen mit seiner Druckwelle in Bewegung. Selbst wenn sich jemand dagegen hätte wehren wollen war Widerstand inzwischen zwecklos geworden! Als „Daimonion“ und „En Garde“ nach etwa anderthalb Stunden den ersten „Full Stop“ hinter das schmissige Treiben setzten, hatte das Project Pitchfork schon längst sein Soll erfüllt.

Damit stand NUN bereits die obligatorische Zugabe auf dem Programm, die der Spillespeter mit einem ebenso knappen wie treffenden Statement eröffnete: „Mensch, das ist ja nett hier!“ sprachs und bedeutete Jürgen hinter seinem Techniklabor eine Reise in die Vergangenheit einzuläuten. „Conjure“ vom 92´er „Lam-Bras“-Album erschallte und eine ganze Stadt begann zu beben. Die bis hierhin als „NETT“ zu beschreibende Feier schaltet urplötzlich einen Gang höher. Jetzt machten sich die wahren Kenner der Band bemerkbar, NUN trennte sich Spreu von Weizen. Doch damit noch nicht genug! Gerade als „Die Schlange“ und „Metamorphosis“ für eine kleine Verschnaufpause gesorgt hatten, holten Peter und Co. zum finalen Großangriff aus: Mit „Existence“ gingen Publikum, wie Band ans Limit. Deutlich wurde dies besonders an Carsten, der mit verzerrtem Gesicht das Griffbrett seiner Gitarre maltretierte, während Peter die Zeilen dieses rasanten Songs zielsicher ins Mikro schleuderte.

Begleitet von dem Applaus hunderter schweißnasser Leiber verschwanden die fünf Helden von der Bühne. Lautes Trommeln am Bühnengraben und aufbrandende Zugaberufe vermittelten jedoch, dass es dem Publikum, nach einem weiteren Schmankerl, einem Sahnehäubchen, gelüstete, ohne das der Abend nicht rund würde. Somit ließen sich die Pitchies gerne ein weiteres Mal auf die Bühne bitten, um mit „Rescue me“ ein letztes kleines Feuerwerk abzubrennen und sich endgültig von ihren hochzufriedenen Fans zu verabschieden.

Am Ende bleibt festzuhalten, dass Project Pitchfork mit diesem Konzert eine echte Entschädigung für ihre lange Bühnenabstinenz ablieferten. Tolle Lightshow, Leinwandfilmchen und der konsequente Einsatz akustischer Instrumente, gepaart mit kleinen Soloeinlagen machten unheimlichen Spaß zuzusehen und zu hören. Eine geschickte Songauswahl aus dem umfangreichen Pitchfork-Repertoire bediente neue wie alte Fans gleichermaßen und beantwortete die Frage nach der Live-Tauglichkeit der NUN-Trilogie mit einem klaren „Ja“. Die neuen Songs fügten sich wunderbar in das Set ein und kamen beim Publikum gut an. Vor allem „I Am“, „Awakening“ und „Tal der Dornen“ mit ihrer unwiderstehlichen Kraft machten dem Fussvolk sprichwörtlich Beine. Zwar konnten sich die neuen Songs in punkto Stimmung nicht ganz mit Klassikern wie „Alpha Omega“ oder „Conjure“ messen, doch das ist wohl immer so wenn etwas neu hinzukommt. Hier bleibt festzuhalten: Klassiker kann man nicht klonen, sie entwickeln sich!

Mit diesen abschließenden Worten gebe ich NUN fürs erste ins Funkhaus zurück. Die anschließende Aftershowparty werde ich leider nicht mehr erleben, da der Zeiger meiner inneren Uhr eine verdammt kurze Nacht voraussagt *hmpf*. Doch glücklicherweise ist das Ticket für den kommenden Samstag schon gelöst und so werde ich schon in Kürze wieder für euch von den glorreichen Fünf berichten.

Fortsetzung folgt....

...euer Ritti

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