Folge 13: 27.11.2002 - J.B.O., Nullskattesnylterne (Jolly Joker / Braunschweig):

Hallo Freunde und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von Rittis Feierabend. Heute bereits zum 13. Mal mit einem weiteren Bericht zur musikalischen Großwetterlage in deutschen Bühnenhäusern. Nachdem in den vergangenen Wochen vor allem Hannover mit attraktivem Konzertprogramm lockte, war es nun mal wieder an der Zeit für einen Besuch in der lautesten Diskothek Braunschweigs, dem Jolly Joker, wo heute der Tourtross von J.B.O. für ein musikalisches Stelldichein Halt machte. Da ich bisher aus terminlichen Gründen immer von einem Besuch der fränkischen Partybomben absehen musste, was sich im Nachhinein noch als echt ärgerlich herausstellen wird, war ich natürlich gespannt, welche Verrücktheiten das Quartett auf der Bühne vollziehen würde.

Getreu dem Motto, „ein Zeitungsfoto macht noch keine Bühnenshow“ begab ich mich also auf den Weg zum Jolly, welches ich dank massiv eingerosteter Streckenkenntnisse und eines fehlenden Stadtplanes erst mit reichlicher Verspätung erreichte. Wetzenden Schrittes hielt ich sodann auf den Eingang zu, der natürlich schon längst einer Wüstenlandschaft glich. Die meisten Fans hatten sich bei vorherrschenden Niedrigtemperaturen schon längst ins Innere des wohlgeheizten Scheunenbaus verkrümelt hatten, und warteten dort auf die Helden des Abends.

Nach dem obligaten Sicherheitsunbedenklichkeitscheck mit anschließender Abgabe eines Wegzolls wurde auch mir Einlaß gewährt, woraufhin ich mich in dem proppevollen Laden so weit vorne wie irgend möglich postierte. Glücklicherweise hatte das Konzert noch nicht begonnen und so blieb noch ein wenig Zeit um ein paar Eindrücke vom versammelten Publikum aufzunehmen, und festzustellen, wie hervorragend das J.B.O. Merchandising funktioniert: Neben unzähligen Shirts der Marke „Arschloch und Spass dabei“ scharten sich passend zum neuen Album einige Besucher in rosa Tarnanzügen vor der Bühne, was erahnen ließ, dass die Band am heutigen Abend kultisch abgefeiert werden könnte.

Alles andere als kultisch abgefeiert wurde hingegen erst mal die angetretene Vorband, deren Name nur durch einen Blick auf die Eintrittskarte einwandfrei identifizieren war: Nullskattesnylterne nannten sich die 5 norwegischen Recken um Frontmann Torkile die nun frei von der Leber weg Punk rock aus dem hohen Norden präsentierten. Dabei brachten die Herren alle Eigenschaften mit, die man für eine ordentlich punkige Show so braucht: Kurzum, sie waren laut, sie waren frech und gaben sich rotzig. Zu dumm nur dass die Mehrzahl der Besucher am heutigen Abend genau auf drei Merkmale absolut keinen Bock hatten, nämlich 1. übertriebene Lautstärke, 2. Freches Auftreten und 3. rotzige Sprüche. Und so kam es, wie es kommen musste. Schon nach dem ersten Song und Torkiles freundschaftlicher Begrüssung „J.B.O. told us you are the best audience in Germany“, fühlte sich der erste Kandidat dazu berufen ein lautes „Fuck You“ in Richtung Bühne zu schleudern. Zunächst noch von Torkile ignoriert, trieb der Unhold sein bitteres Spiel jedoch so weit, bis dem Sänger nichts Anderes übrig blieb, als donnernd „Yeah Fuck Me!“ zurück zu brüllen. Danach war komischer Weise Ruhe im Karton, auch wenn der Norweger es nicht gerade darauf anlegte in heilen Stücken von der Bühne zu spazieren. Vielmehr hüpfte er von einer Stelle zur Anderen , schrie was die Stimmbänder hergaben ins Mikro und legte sich mit provozierenden Gesten der Marke „Hand im Schritt“ oder „Ich zeige mein JBO-Arschlochundspassdabeishirt so lange es nur geht“ mit dem Publikum an.

Da half es auch nichts, dass sich Bassist Eirik vor Hingabe auf dem Bühnenboden fast durchbrach. Irgendwie wollte nicht so recht Stimmung aufkommen. Lediglich eine Handvoll Gestalten sah sich dazu genötigt im vorderen Bereich eine kleine Pogo-Pit zu eröffnen. Somit stießen die Bemühungen der Norweger weitgehend auf Unverständnis. Bedenkt man nun, dass die muntere Truppe in Ihrer Heimat durchaus nicht zu den unbekannten Acts zählt und bereits auf eine fast zehnjährige Vergangenheit zurückblicken kann, bleibt nur der Schluss übrig, dass hier die Falsche Band am falschen Ort spielte. Denn um ehrlich zu sein, dass der Fünfer hier so abgefrühstückt wurde lag nicht einzig daran, dass sie sich provokant auf die Bühne stellten. Nein, vielmehr spielte eine Rolle, dass sie mit ihrer zugegeben hörbaren Mixtur aus Alternative und Punk am Geschmack des Publikums vorbei spielten. Weder Reminiszenzen an Turbonegro, noch der Gebrauch deutscher Schimpfworte („Schweinehund“) und schon gar nicht die Gewalt, sprich Mitmachspielchen,  mit der Torkile das Publikum doch noch auf seine Seite zu ziehen versuchte konnten daran etwas ändern.

Wie nicht anders zu erwarten endete die Show von Nullskattesnylterne mit einem Höflichkeitsapplaus, der dem Band signalisierte beim nächsten Mal sein Glück lieber woanders zu versuchen. Ohne wirklich eine Chance erhalten zu haben, zogen die Jungs mit Sack und Pack von dannen um den Hausherren der kommenden zwei Stunden das Feld zu überlassen: J.B.O.!

Es hatte schon etwas geheimnisvolles, als die Bühnencrew den großen Vorhang herunter ließ und den Blick auf die Ereignisse dahinter verbarg. Rascheln, Rumpeln und das Abstimmen von Soundpegeln deuteten aber darauf hin, dass hinter der undurchdringlichen Stoffwand fieberhaft gearbeitet wurde um den Auftritt der fränkischen  Platzhirschen vorzubereiten. Gute 15 Minuten verstrichen, bis die tatkräftigen Helfer ihre Aufgaben bewältigt hatten und während einige ungläubige Mitglieder der Rosa Armee Fraktion immer noch über das eben erlebte Konzert und dessen mögliche Umgehung sinnierten, erlosch allmählich das Licht.

Nochmal tief Luft geholt, einen letzten Hieb aus dem Pulle genommen und schon ging auf einmal alles rasend schnell: Ein kurzes Intro, ein Rums, ein Knall, der Vorhang fiel und mit einem Schlag marschierte die Post ab. „Wem nutzt das schon?“, Opener des neuen Albums, sollte den Anfang machen. Geschoßartig ließen Vito, Hannes, Ralph und Wolfram damit die Stimmung im Jolly explodieren und in Windeseile hüpfte, quetsche, poguete sich ein einziges Knäuel Mensch durch den brechend vollen Laden. Während flutartig die Seelen überschwappten und alle Dämme brachen wurde getanzt, gefeiert, gesungen, gelacht bis einem die Luft wegblieb.

Und J.B.O. legten nach: „Walk with an errection“ setzte zum treffsicheren Seitenhieb auf die „Bangles“ an. Begleitet von einem seltsamen Sidekick, der von Zeit zu Zeit urig kostümiert auf die Bühne stiefelte und in diesem Moment mit einer Badehose bekleidet dem „Stehvermögen“ des Songs Ausdruck verlieh, ließ das Quartett keinen Zweifel daran aufkommen wer Herr im Hause Joker war. Darüber hinaus gaben sich die Franken durchweg von ihrer gesprächigen Seite und führten zwischen den Songs immer wieder kleine Diskussionen über das beste Stück des Mannes, Bier oder nicht Bier, Land, Leute, Gott, die Welt und sich selbst, natürlich meist in Hinleitung auf den nächsten Song.

Während die Party unaufhaltsam ihren Lauf nahm und „Sex Sex Sex“ und „Mensch Ärger dich nicht“ zu Eingangs erwähntem kultischen Ereignis avancierten, brach die Zeit für ein weiteres Showelement heran: In „Tausend und einer Nacht“  fragten sich die Franken, was wohl ihr Penis zur Monogamie sagen würde. Damit die Frage nicht ungehört im Raume verhallte, packten sie jenes edle Körperteil dann auch aus. Denn hinter Vito baute sich nun ein „großer kleiner Gummifreund“ auf, der fortan fröhlich stehend die Bühne erleuchtete. Doch damit noch nicht genug: Zu „Girls Girls Girls“ hüpfte erneut der furchtlose Helfer mit dem Mut zur kreativen Verpackung auf die Bühne, um dieses mal mit rotem Glitzerkleid, hochhackigen Schuhen und schwarzer Perücke als französische Femme Fatale für Lacher zu sorgen. Absolut göttlich!

Absolut teuflisch wurde es dagegen im Anschluss:

Vito und Hannes stellten sich mit putzigen Teufelskostümchen auf die Bühne und besangen mit „Ich vermisse meine Hölle“ den Niedergang der deutschen Popkultur. Der Kampf gegen die Zlatkos dieser Welt, wenn man so will! Ein nicht minder höllisches Thema hatte danach Vito zu bieten. Eine One-Man-Akustik-Lagerfeuer-Einlage erster Güte abliefernd hockte er alleine auf der großen Bühne und verkündete wehmütig von den Mordgrdanken seiner Freundin (Schon scheiße wenn die Freundin einen umbringen will, was? ;-)).

Nach dieser kleinen Verschnaufpause war dann allerdings wieder Party angesagt. „Ich will Lärm“ lautete die Devise und Krawall sollte es geben, vor allem vor der Bühne! Dort nahmen gleich einige die Forderung nach Rabatz ein wenig zu ernst und machten derart Alarm, dass man sich als Einzelner vorkam, als wäre man auf der alljährlichen Dorfkirmes versehentlich in den Auto-Scooter geraten. Unter den angespannten Blicken der zahlreich erschienenen Security tobte sprichwörtlich der Mob!

Apropos Mob...eben so einen hatte sich Vito mittlerweile auf den Kopf gestülpt. Mit einer Jamaika-Wollmütze bedeckt schlurfte er im besten Rastamann-Look in Richtung Bühnenmitte und begann auf seiner eigens dafür gebauten Cannabis-Klampfe Bob Marley zu imitieren. „No Woman No Cry“ oder wie der Franke sagt „Ka alde ka g´schrei“ und die obligatorische Eddy Grant Verarsche „Gimme Dope Jo´anna“ sollten Teil dieser stimmungsvollen Einlage sein, deren skurriler Charakter von einer geradezu ätzenden Bühnenbeleuchtung aus Grellgelb und Grasgrün noch verstärkt wurde.

Nachdem die Jungs von der „Sischerheid“ mittlerweile wieder etwas entspannter drei schauen durfteb, fanden die Herren in Schwarz die Zeit für ein wenig Abkühlung zu sorgen. Um etwaigen Zusammenbrüchen vorzubeugen, wurden Einwegbecher mit Wasser in die dürstende Menge geschleudert, deren Inhalt sich auf die mehr oder weniger darauf vorbereiteten Fans ergoss. „Mehr oder weniger“ sei an dieser Stelle besonders betont, denn wenn man wie ich überhaupt nicht damit rechnet und plötzlich einen Schwall Wasser ins Gesicht bekommt, kann man schon mal etwas irritiert aus der Wäsche gucken.

Den heimtückischen Wasserbomben zum trotz ging es dann aber weiter. Das grüngelbe Ätlicht hatte sich verflüchtigt und mit ihm drei viertel der Musiker. Der einzige der noch auf der Bühne saß war Wolfram, seines Zeichens Drummer aus Leidenschaft, der am hinteren Bühnenende bis jetzt ein eher unauffälliges Dasein fristete (gehört hat man ihn natürlich die ganze Zeit, mehr aber auch nicht). Doch während sich der Rest der Band Backstage regeneriert, gab der Kellner richtig Gas: Begleitet von wilden Lichteffekten setzte er zu einem furiosen Drumsolo an, mit dem er die staunende Menge in Atem hielt.

Als Wolfram seine lautstarke Performance beendet hatte, wurde es für ein paar Momente ganz still. Wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm tat sich absolut gar nichts. Erst nach mehrmaligem Zurufen trauten sich die Meister der Musik wieder auf die Bühne um ihr Finale Furioso einzuleiten. Angefangen mit Vito´s Playboyauftritt, bei dem schon wieder mächtig Zündstoff unterm Dach war, schlugen die Franken mit „Arschloch und Spass dabei“ dem Fass den Boden aus. Ein Song wird zum Kult, die Halle bebt, Herz was willst du mehr? Ganz klar: Die Beatles („Yellow Submarine“) und den guten alten Truckersound („Autobahn bring mi ham´“). Und wenn Vito sich zum zweiten Mal in der Anrede seines Publikums vertut (Hallo Bremen!), weiß auch der Letzte, heut ist „Ein guter Tag zum sterben“. Mit diesem Stück verabschiedeten sich die Franken von ihrem begeisterten Braunschweiger Publikum, welches sogleich gierig nach einer „Zugabe“ rief.

Diesbezüglich ließen sich „J.B.O.“ natürlich nicht lumpen und spendierten mit „Schlaflied“, „Verteidiger des wahren Blödsinns“ und „Forever JBO“ noch drei weitere Kostproben ihres Könnens. Begleitet von kleinen Pyroeinlagen, Ballspielchen  und überdimensionalen JBO-Gummibuchstaben entwickelte sich das Jolly ein letztes Mal zum Schmelztigel der Emotionen: Poguen, Moshen, Grölen, Feiern bis zum bitteren Ende! Einfach Party pur! Geil!

Den JBO-Gruß auf den Fingern ging nun aber eine schweißtreibendes Show zuende und während sich gut 15 Minuten später ein munteres Knäuel Mensch um den Merchandisingstand scharte, an dem JBO bereitwillig Autogramme gaben, machte ich mich so langsam auf den Heimweg. Mit dem Gefühl auf einem unterhaltsamen Konzert mit Bombenstimmung gewesen zu sein möchte ich diese Folge von Rittis Feierabend beschließen. Solltet Ihr das fränkische Quartett noch nicht live erlebt haben, so kann ich euch einen Besuch dieser Truppe nur dringendst an Herz legen! Erscheinen Sie, sonst weinen Sie!

Bis zum nächsten Mal,
euer Ritti

Und zur Belohnung für euer Ausdauer gehts hier gleich weiter zur Ga”ll”erie!